Fliegender Botendienst

Pilotprojekt: Apotheke liefert per Drohne aus APOTHEKE ADHOC, 24.01.2021 10:17 Uhr

Fliegender Botendienst: Inhaber Martin Grünthal aus Dessau hat ein Drohnenprojekt auf die Beine gestellt, um die Belieferung seiner Kunden aus der Luft zu erproben. In Berlin läuft bereits ein Modellprojekt.
Berlin - 

Wie kann man persönlich sein, aber trotzdem schneller und bequemer als jeder Versender? Blitzzulieferungen wie die von Arzneipost sind ein Weg, sich regional als innovativer Gesundheitsdienstleister zu profilieren. Apotheker Martin Grünthal aus Dessau geht einen Schritt weiter: Er will seine Arzneimittel künftig per Drohne ausliefern. Das ist keine fixe Idee, sondern ein von der Bundesregierung gefördertes Projekt, das er gemeinsam mit zwei Hochschulen, einer Merseburger IT-Firma und einem Berliner Drohnenbauer aufgezogen hat. Anfang des Jahres ist ein erstes Modellprojekt an der Charité gestartet.

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Wie so viele innovative Ideen wurde auch das Dessauer Drohnen-Projekt aus der Not heraus geboren: „Wir hatten im Frühjahr überlegt, wie wir angesichts der Coronapandemie neue Wege finden können, eine kontaktfreie Übergabe zu ermöglichen“, erzählt der Inhaber der Bauhaus-Apotheke. Zum Glück hat er gute Freunde: unter anderem Sirko Scheffler, Geschäftsführer des IT- und Mediendienstleisters Brain-SCC im nahegelegenen Merseburg. Gemeinsam mit ihm dachte er über allerlei digitale Lösungen nach, bis ihnen die Idee mit der Drohne kam. Ganz neu ist die freilich nicht, in den USA erproben Apothekenketten wie Walgreens bereits die Rx-Auslieferung mittels der kleinen Propellermaschinen, die DHL hat in Ostafrika bereits eine abgelegene Region so versorgt und auch in Deutschland gab es schon erste Drohnenprojekte.

Der Gedanke war also weder neu noch abwegig. Bisher war es jedoch außerordentlich schwierig, die kleinen Geräte regelkonform zum Fliegen zu bringen. Denn es gab keine Regeln. Das änderte sich allerdings zum Jahresende, weil am 31. Dezember die EU-Drohnenverordnung in Kraft trat, die erstmals Anwendungsszenarien und Drohnenklassen definiert, also welche Drohne was wo darf – sozusagen die STVO für den Himmel zwischen Straße und Verkehrsflughöhe. Der Weg ist damit frei und so schmiedeten Grünthal und Scheffler eine Koalition für ihr Projekt: Das Berliner Drohnen-Start-up Diaven liefert die Hardware, Brain-SCC die Software zur Anbindung an die Apotheke, die Hochschule Anhalt und die Universität Halle begleiten die Erprobung wissenschaftlich. Für Mitte des Jahres sind die ersten Testflüge auf dem Flughafen Cochstedt geplant. Der ehemalige Airport nahe Magdeburg – die nahe Lage ist glücklicher Zufall – wurde von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt gekauft und soll zum größten Drohnenversuchszentrum Europas werden.

Bis die Drohnen aus Dessau in die Regelversorgung übergehen, wird es also selbst im besten Fall noch ein Weilchen dauern. Doch auch wenn die Drohne nicht mehr rechtzeitig kommen wird, um Kontakte während der Covid-19-Pandemie zu reduzieren, wird sie nach Grünthals Sicht in Zukunft eine sinnvolle Rolle spielen können: „Die Technologie könnte helfen, gerade in unterversorgten Gebieten eine schnelle Belieferung zu gewährleisten“, sagt er. Dass davon auch große Versandkonzerne wie Amazon ausgehen, ist ebenfalls keine theoretische Überlegung, sondern wird bereits erprobt. Es wird also Zeit, dass sich auch die Vor-Ort-Apotheken Gedanken machen, ob und wie sie in Zukunft solche Services anbieten können.

„Es sind schon ziemlich konkrete Vorstellungen da, wie das funktionieren kann“, sagt Grünthal. Daran hat nicht zuletzt Tim Fischer seinen Anteil, denn die Drohne gibt es bereits. Fischer hat 2017 am Fachbereich Luftfahrzeug- und Leichtbau der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit Juri Bieler und Kolja Klein ein Drohnenprojekt geleitet. 2019 hoben die drei als Ausgründung der TU das Unternehmen Diaven aus der Taufe. Eine ihrer ersten Entwicklungen ist die Drohne Labfly, die für den Transport von Laborproben und Arzneimitteln ausgelegt ist und seit Anfang des Jahres bereits in einem Pilotprojekt der Krankenhausapotheke der Berliner Charité erprobt wird. „Die meisten Drohnen sind eigentlich dafür gebaut, in der Luft zu schweben und beispielsweise eine Kamera zu halten“, erklärt er. „Labfly hingegen ist dafür optimiert worden, auch längere Strecken zu fliegen.“ 25 Kilometer Reichweite hat sie, kann also in einem Radius von 12,5 Kilometern ausliefern. Bei rund 60 km/h Fluggeschwindigkeit braucht sie also rund 12 Minuten für eine Strecke – das könnte mit Packen und Abflug theoretisch eine Belieferung innerhalb von 30 Minuten ermöglichen.

Wie genau die Belieferung funktionieren wird, ist bisher in Ansätzen erkennbar: Die Drohne selbst kann bei 5 Kilogramm Gewicht rund 500 Gramm Nutzlast in einem „K Load Compartment“ transportieren – das heißt, die Drohne hat einen Kofferraum: „Der ist in die Drohne integriert. Bei den meisten anderen Modellen ist die Box darunter aufgehängt, aber das halten wir nicht für sinnvoll.“ Unter anderem biete der mit Tsyropor als Dämmmaterial ausgekleidete Kofferraum einen besseren Schutz vor Witterungsbedingungen und anderen möglichen äußeren Einflüssen. „Im Endeffekt ist es eine fliegende Schaumstoffbox“, sagt Fischer.

Damit die Schutzfunktion erst gar nicht benötigt wird und angesicht der sensiblen Waren größtmögliche Sicherheit gewährleistet werden kann, setzen die Ingenieure um Fischer vor allem auf das Prinzip doppelter Boden: Neben Ersatzakkus ist die Drohne mit acht Propellern ausgerüstet, obwohl sie nur vier zum Fliegen braucht. „Wir haben an allen Stellen des Systems auf Redundanz geachtet, um möglichst hohe Sicherheit zu gewährleisten“, so Fischer. Und selbst wenn alles schiefgeht, stürzt das Kleinflugobjekt nicht einfach ab: Dann öffnet sich automatisch ein eingebauter Fallschirm.

Was noch nicht ganz geklärt ist, ist die Anlieferung selbst erfolgen wird. Fischer schätzt, dass es am ehesten eine Seilwinde wird: Die Drohne landet dann gar nicht, sondern lässt die Ladung einfach aus der Luft herab, bis der Kunde sie abnehmen kann. Wie genau Kunde und Drohne zusammenkommen, ist ebenfalls eine Frage, die noch im Detail konzipiert werden muss. Hier kommt IT-Dienstleister Brain-SCC ins Spiel, der für die Anbindung an Apotheke und Kunde eine Lösung entwickelt. Denkbar ist eine App-basierte Lösung samt Ortungsfunktion.

Stellt sich das Konzept in der auf zwei Jahre angelegten Pilotphase als praktikabel heraus, könnte das Konsortium aus Bauhaus-Apotheke, Brain-SCC und Diaven irgendwann ein Angebot für alle Apotheken machen. „Vielleicht wird das in den nächsten vier, fünf Jahren zu einem echten Produkt“, sagt Grünthal. „So viel Zeit wird es aber noch brauchen, allein schon aufgrund der Vorgaben und der Erfahrungen, die man sammeln muss.“ Für das Sammeln und Auswerten dieser Erfahrungen sind die Hochschule Anhalt und das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle zuständig: Dr. Markus Holz, Professor für Logistik- und Luftverkehrsmanagement an der HS Anhalt, hat bereits vor anderthalb Jahren mit der „Medi-Drohne“ ein ähnliches Projekt geleitet und schaut nun auf die betriebswirtschaftlichen Kenndaten. Kurz gesagt: Er schaut, ob sich der Betrieb der Drohne rentieren kann. Dr. Patrick Jahn, Professor für Versorgungswissenschaften, bettet den Labfly-Teslauf in ein größeres Projekt zur digitalen Gesundheitsversorgung ein und soll eruieren, ob das Projekt einen Mehrwert leisten kann und ob es bei den Patienten auf Akzeptanz stößt. Die Bundesregierung zumindest scheint an das Projekt zu glauben: Das Bundesforschungsministerium hat das Projekt nicht nur genehmigt, sondern fördert es auch.

Und dann ist da noch die liebe Bürokratie: Die EU-Drohnenverordnung ist zwar in Kraft getreten, aber wie genau man dann als Dienstleister so einen Service anbieten kann, muss noch geklärt werden. „Es werden Flüge beantragbar sein, die bisher nicht erlaubnisfähig waren“, erklärt Fischer. „Es wird voraussichtlich darauf hinauslaufen, dass wir als Unternehmen uns als Drohnenbetreiber zertifizieren lassen und dann unter festgelegten Bedingungen Flüge durchführen dürfen“, erklärt Fischer. Er rechnet damit, dass die Verordnung den Durchbruch für die junge Branche bedeutet – An- und Auslieferung per Drohne dürfte demnach auch und vor allem im Gesundheitswesen eine wachsende Rolle spielen. „Die Verordnung wird viele Projekte erst ermöglichen. Es gibt viele Unternehmen, die da in den Startlöchern stehen. Das gibt der Branche die Möglichkeit, sich zu öffnen und zu entfalten“, sagt Fischer. „Vor allem im Medizinsektor wird da sehr viel passieren, denn der hat einen besonderen Stellenwert, wenn man sich die bisherigen Drohnenprojekte ansieht.“