EuGH-Urteil

Apotheken in der Rabatt-Falle Patrick Hollstein, 07.12.2016 10:55 Uhr

Berlin - 

Die Apotheken sind in einer bizarren Zwickmühle: Sie sollen ihren Kunden Rx-Boni gewähren – nur annehmen sollen sie selbst keine. Während in der breiten Öffentlichkeit über eine Freigabe der Apothekenverkaufspreise als Reaktion auf das EuGH-Urteil diskutiert wird, laufen parallel drei Verfahren, mit denen die Einkaufspreise festgezurrt werden sollen. Absurd finden Jörg Geller und Dominik Klahn die Situation. Die Geschäftsführer von Kohlpharma beziehungsweise Avie fordern die Politik dringend zum Handeln auf.

An zwei Fronten hatte die Wettbewerbszentrale für die Preisbindung gekämpft: Mit einer Klage gegen die Deutschen Parkinson-Vereinigung (DPV) sollte die Gewährung von Rx-Boni durch ausländische Versandapotheken unterbunden werden. Parallel sollten im Streit mit den Großhändler AEP die Einkaufskonditionen der Apotheken auf das angeblich gesetzlich zulässige Maß zurückgeführt werden. Ähnliche Verfahren leitete der Wettbewerbsverein Integritas gegen die Reimporteure Kohlpharma und Eurim ein.

Aktuell steht es 1:3 gegen die Apotheken. Der EuGH hat am 19. Oktober bekanntlich Rx-Boni ausländischer Versandapotheken für zulässig erklärtmit der Begründung, dass diese einen Wettbewerbsnachteil ausgleichen müssten. Am 29. Juni fuhr die Wettbewerbszentrale vor dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg den ersten Sieg gegen AEP ein; vor dem Landgericht (LG) Aschaffenburg hatte sich noch der Großhändler mit seinen Konditionen durchsetzen können.

Am 31. August verbot das OLG Saarbrücken das Partnerprogramm „Clever+“ von Kohlpharma. Mit verdeckten Preisnachlässen und einem unechten Skonto gingen die Konditionen über den variablen Teil des Großhandelszuschlags hinaus, so die Richter. Dagegen wurde das Bonusprogramm „EurimSmiles“ Anfang Juli vom LG Traunstein für zulässig erklärt – mit der Einschränkung, selbst nur eine Durchgangsstation zu sein.

Bei Kohl sieht man die Entwicklung mit Sorge: Durch den Wegfall marktüblicher Skonti in Höhe von 2 bis 3 Prozent entgehe der Apotheke etwas weniger als die Hälfte des zu versteuernden Einkommens, rechnen Geller und Klahn vor. Verstärkt werde dieser negative Effekt auf das Betriebsergebnis durch die zu erwartende „Rabattschlacht“ um Patienten durch ausländische Versandapotheken in der Folge des EuGH-Urteils.

„Mit derartigen Einschnitten beim Betriebsergebnis lassen sich zahlreiche Apotheken künftig nicht mehr wirtschaftlich betreiben und werden schließen müssen“, warnen Geller und Klahn. Dies gefährde das im Apothekengesetz (ApoG) definierte Ziel der Sicherstellung einer bedarfsorientierten, flächendeckenden Arzneimittelversorgung.

Der zunehmende wirtschaftliche Druck auf die Apotheken habe in den vergangenen Jahren bereits zu einer „fortgesetzten Ausdünnung des Angebotes in der Fläche“ geführt, so die beiden Manager. „Insbesondere in ländlichen Gebieten dünnt sich die Versorgung zu Lasten der Patienten zunehmend aus und gefährdet nicht zuletzt auch gesundheitspolitische Ziele.“

Der betriebswirtschaftliche Druck der Apotheken betreffe daher über kurz oder lang auch die Verbraucher: „Mittelständische Betriebe in der Größenordnung der typischen Apotheke haben in Folge sinkender Liquidität beziehungsweise Kapitaldeckung zunehmend Schwierigkeiten, das altersbedingte Ausscheiden von Personal mit qualifiziertem Nachwuchs aufzufangen. In der Folge sinkt auch die Versorgungsqualität.“

Geller und Klahn weiter: „Gleichzeitig steigt die Gefahr der Fremdbestimmung durch eine steigende Abhängigkeit der Apotheken von ihren Lieferanten wie dem Großhandel, die ihrerseits unter zunehmenden wirtschaftlichen Druck stehen.“ Die wirtschaftliche Unsicherheit habe zudem Folgen für den Generationenwechsel bei den Apothekenleitern.

„Alles in allem sehen wir die Gefahr, dass der wirtschaftliche Druck auf die Apotheken durch die zu erwartende Interpretation der Skontofrage durch die Gerichte bis hin zum BGH verstärkend zunimmt“, so der Kohlpharma- und der Avie-Chef. „Der Apotheker als Muss-Kaufmann und die Apotheke als Gewerbebetrieb müssen auch die Möglichkeit haben, als solche zu agieren, um ihren Versorgungsauftrag im Sinne der Patienten auch erfüllen zu können.“ Eine wirtschaftlich solide Basis sei sowohl für die Apotheken als auch für die Patienten „unmittelbare und zwingende Voraussetzung für den Erhalt der flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Deutschland“.

Laut Geller und Klahn sind Skonti in der kaufmännischen Praxis keine unzulässigen Rabatte auf preisgebundene Arzneimittel. „Die Fehlinterpretation der Gerichte muss der Gesetzgeber im Sinne einer nachhaltig, stabilen und flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch die inhabergeführte Präsenzapotheke klarstellen.“

Dem Apotheker müssten auch weiterhin die kaufmännischen Grundlagen und Instrumente zur Verfügung stehen. „Marktübliche Skonti für verabredete Zahlungsziele beteiligen die Apotheken anteilig an den Effizienzvorteilen, die deren Lieferanten durch Zinsersparnis, geringeres Vorfinanzierungsvolumen oder erhöhte Liquidität gewinnen und für eine dauerhaft stabile Arzneimittelversorgung einsetzen.“

Was das EuGH-Urteil angeht, halten Geller und Klahn ein Rx-Versandverbot für schwierig. Ihrer Meinung nach liegt die Lösung im Rahmenvertrag, dem die EU-Versender beigetreten sind. Da in der Vereinbarung die Preisbindung vorgesehen sei, sollten GKV-Spitzenverband oder Deutscher Apothekerverband (DAV) Vertragstreue einfordern. „Daraus könnte ein nicht zu unterschätzender politischer Druck resultieren. Das Pfund der flächendeckenden Vor-Ort-Versorgung durch die Vor-Ort-Apotheken wird auch für die Krankenkassen im Sinne des Gemeinwohlauftrages ein nicht zu unterschätzendes Gewicht haben.“

Laut Geller und Klahn spalten Rx-Boni das Solidarsystem: „Sie kommen den Individuen und nicht dem Solidarsystem zu Gute. Letztendlich sollte nicht der Einzelne, sondern das Kollektiv in der umlagefinanzierten GKV profitieren.“ Anders sehe die Sache aus, denn die Kassen mit EU-Versandapotheken Verträge gemäß § 140e Sozialgesetztbuch (SGB V) schlössen: „Aus diesen Einzelverträgen könnten solidarisch und preiswettbewerblich korrekte Rabatte beziehungsweise Preisvorteile resultieren.“

Dann bliebe für DocMorris & Co. immer noch das Problem des Herstellerrabatts: „Vieles spricht dafür, dass die pharmazeutischen Unternehmen nach dem EuGH-Urteil für von ausländischen Versandapotheken vertriebene Arzneimittel keine Herstellerabschläge zahlen müssen, da diese grundsätzlich nur anfallen, wenn die Preisvorschriften aus dem Bundesrahmenvertrag Anwendung finden. Da der EuGH diese im grenzüberschreitenden Verkehr nicht für anwendbar hält, entfällt aus unserer Sicht der Anspruch auf den Herstellerrabatt.“ Die Hersteller hätten also die Möglichkeit, über diesen Hebel den deutschen Apotheken den Rücken zu stärken und auch politisch Zeichen zu setzen.