Brexit

Eurovision EMA Contest Patrick Hollstein, 10.11.2017 14:19 Uhr

Flucht aus London: Die EMA sucht ein neues Zuhause, die EU-Minister stimmen ab. Auch Bonn hat eine Bewerbung abgegeben.
Berlin - 

Wo werden künftig Arzneimittel zugelassen? Heute in zehn Tagen entscheiden die EU-Minister darüber, wo die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) künftig ihren Sitz haben soll. Mit dem Brexit braucht die Behörde einen neuen Standort. Drei Abstimmungsrunden sind vorgesehen, die Zeit dazwischen werden die Diplomaten nutzen, um Mehrheiten zu organisieren und Deals zu vereinbaren.

Am 20. November stehen gleich zwei Abstimmung an: Neben der EMA braucht auch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) ein neues Zuhause. Beide Behörden sollen an unterschiedliche Mitgliedstaaten vergeben werden – dass über die EMA zuerst abgestimmt wird, macht die Sache für Deutschland nicht leichter. Denn mit Frankfurt und Bonn gibt es Bewerber für beide Behörden.

Seit Monaten läuft das Rennen um die EMA bereits, im Juni hatte die EU-Kommission dann alle 27 Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre offiziellen Bewerbungen abzugeben. 19 Länder haben laut Dr. Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), entsprechende Unterlagen eingereicht. Die Kommission hat alle Dokumente bewertet und einen Beurteilungsbericht erstellt.

Entscheiden müssen die Vertreter der Mitgliedstaaten, wahrscheinlich die EU- oder Außen- oder die Gesundheitsminister. Jeder Bewerber bekommt die Möglichkeit, seinen Standort in drei Minuten kurz vorzustellen. Dann geht es in die Abstimmung. Jedes Mitgliedsland muss drei Bewertungen abgeben und drei, zwei beziehungsweise einen Punkt vergeben.

Da die Bewerber wahrscheinlich für sich selbst stimmen werden, zählt die Gunst der kleinen Länder. Die baltischen Staaten haben laut Kroth keine Bewerbung abgegeben, genauso wie Tschechien und Zypern.

Hat ein Bewerber mehr als die Hälfte der Höchstbewertungen eingesammelt, ist das Verfahren beendet. Ansonsten kommen die drei besten weiter, bei Stimmgleichheit entsprechend mehr. In der zweiten Runde hat jedes Land nur noch eine Stimme, auch hier kann das Rennen mit einer absoluten Mehrheit entschieden werden. Ansonsten kommen die beiden Gewinner in die finale Runde.

Zu den Favoriten gehören laut Umfragen Amsterdam, Kopenhagen, Mailand und Wien. Barcelona wurde lange als Kandidat Nummer 1 gehandelt, war die spanische Metropole doch bei Gründung vor knapp 35 Jahren London nur knapp unterlegen. Nach dem Katalonien-Streit dürfte sie jedoch aus dem Rennen sein. Brüssel ist ebenfalls im Rennen, als Sitz der EU-Kommission aber eigentlich blockiert.

Mit weitreichenden Zugeständnissen versuchen insbesondere die weiter hinten rangierenden Kandidaten, ihre Erfolgsaussichten zu verbessern. Warschau etwa geht mit 25 Jahren Mietfreiheit ins Rennen – wohlwissend, dass dies bei der EMA ein neuralgischer Punkt ist. Der Mietvertrag in London läuft noch bis 2039, insgesamt 347,6 Millionen Euro sind mangels Ausstiegsklausel bis dahin noch zu zahlen.

„Nicht nördlicher als Amsterdam, nicht östlicher als Wien“, soll ein geflügeltes Wort im Zusammenhang mit der EMA sein. Stockholm wäre damit aus dem Rennen, die osteuropäischen Städte wie Sofia sowieso. Auch Mailand und Lille gelten angesichts der schlechten Erreichbarkeit nicht als Kandidaten.

Für diejenigen, die für oder mit der EMA arbeiten müssen, stehen praktische Erwägungen im Vordergrund. Bei Wien überwiegt die Lebensqualität – wenngleich einige Lobbyisten die österreichische Hauptstadt zu provinziell finden. Die Niederlande haben dagegen bei der Erreichbarkeit die Nase vorn: Der vorgeschlagene Standort am Flughafen Schiphol wird als unschlagbar gesehen, immerhin wäre hier sogar ein Hotel im Haus.

Die Behörde selbst hat ihre Mitglieder befragt, an welche Standorte sie denn mitziehen würden. Fazit: Zwischen 3 und 85 Prozent ist je nach Stadt alles drin. Auch der Pharmaverband EFPIA hat eine Bewertung in Auftrag gegeben. Für die Verbände geht es ebenfalls darum einen Standort zu finden, der eine gute Anbindung hat und für die Lobbyisten attraktiv ist.

Und Bonn? Die ehemalige Bundeshauptstadt landet in den Bewertungen durchweg auf Rang 6 oder 7. Geplant ist, dass die Behörde in einen Neubau gegenüber dem ehemaligen Kanzleramt einzieht. Erst im Frühjahr war hier das ehemalige Bonn-Center gesprengt worden, bei den Planungen könnte die Behörde als mitreden. Für den Übergangszeitraum sind zwei mietfreie Objekte in Bad Godesberg beziehungsweise am Probsthof im Gespräch.

Kroth wäre dafür, dass die EMA an den Rhein zieht. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als eine der größten Zulassungsbehörden in Europa habe dort seinen Sitz, so sein Verband. Zudem säßen viele Hersteller „an der sogenannten Rheinschiene“. Bonn sei bereits ein bedeutender Standort für die Zulassung und Sicherheit von Arzneimitteln.

Dass die Stadt den Zuschlag bekommt, ist allerdings unwahrscheinlich. Denn die Bundesregierung will vor allem die EBA nach Frankfurt holen. Da über die Bankenaufsicht aber zuletzt abgestimmt wird, könnte die EMA-Bewerbung geopfert werden. Es sei denn, Paris schnappt sich rechtzeitig die EBA.