Kommentar

Apotheke sticht Online-Arzt Patrick Hollstein, 04.10.2022 11:06 Uhr

Lieber in die Apotheke als zum „Online-Arzt“. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Sildenafil soll in die Selbstmedikation entlassen werden – das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will den OTC-Switch entgegen der Empfehlung des Sachverständigenausschusses durchziehen. Das macht Sinn, denn um einem Missbrauch zu begegnen, braucht es andere Ansätze.

Es gibt viele gute Gründe, die gegen einen OTC-Switch von Sildenafil & Co. sprechen. Zu den Neben- und Wechselwirkungen kommt vor allem das hohe Missbrauchspotenzial. Seit Viagra auf den Markt kam, interessieren sich auch jüngere Männer ohne erektile Dysfunktion (ED) für das Produkt. Nicht von ungefähr hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in der Sitzung auf das Thema „Chemsex“ hingewiesen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Verschreibungspflicht zunehmend weniger geeignet ist, den mittlerweile institutionalisierten Missbrauch von Viagra & Co. zu verhindern: Musste man sich die „blaue Tablette“ früher auf dem Schwarzmarkt besorgen, kann man sie heute ganz legal im Internet „kaufen“. Auf Facebook, Instagram & Co. werben Plattformen wie GoSpring offensiv damit, dass man durch Ausfüllen eines Fragebogens schnell und diskret an die gewünschte Ware kommen kann. Promo-Code für einen Sparrabatt oder Dauerabo inklusive.

In den USA kommen die Vorbilder für GoSpring & Co. schon auf Milliardenbewertungen, hier scheint es in gewissen Kreisen längst üblich zu sein, im Portemonnaie für den Fall der Fälle ein Kondom samt Einzeltablette Sildenafil vorkonfektioniert bei sich zu tragen. Eine unangenehme Entwicklung. Doch auch hierzulande haben sich seriöse Firmen wie Dermapharm, Holtzbrinck, ProSiebenSat.1 und HDGF (Queisser/Doppelherz) an entsprechenden Plattformen beteiligt – wohl weil sie glauben, dass im Bereich der Lifestyle-Medikamente viel Geld zu verdienen ist.

Wenn man es ernst meint mit der Arzneimittelsicherheit, müsste man also eher Plattformen wie GoSpring angehen, statt die Rezeptpflicht künstlich am Leben zu halten. Wie in anderen Ländern auch könnte man flankierend den Versandhandel verbieten, sodass Viagra & Co. dann wirklich nur noch in der Apotheke erhältlich wären. Hier wäre die Beratung gesichert: denn bei Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie instabiler Angina pectoris oder schwerer Herzinsuffizienz sowie bei Patienten, die Nitrate oder NO-Donatoren in irgendeiner Form einnehmen, ist Viagra streng kontraindiziert.

Kunden würden auch finanziell profitieren: Denn das Zurverfügungstellen des Fragebogens und das Ausstellen der sogenannten „Online-Rezepte“ durch irische Ärzt:innen lassen sich die Plattformen fürstlich bezahlen. Ausgerechnet der OTC-Switch könnte ein erster Schritt sein, um diesen Wildwuchs trocken zu legen.