Apothekenzubereitungen

Gericht verbietet Rezepturen für Ärzte Patrick Hollstein, 12.04.2017 10:10 Uhr

Berlin - 

Wenn Ärzte eine individuelle Zubereitung verordnen, muss die Apotheke liefern. Aber gilt dieser Grundsatz auch im Praxisbedarf? In Fällen, in denen Mengen auf dem Rezept stehen, die offensichtlich für die Behandlung zahlreicher verschiedener Patienten genutzt werden? Nein, entschied jetzt das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht (VG). Die Richter untersagten einem Apotheker aus Kiel die weitere Auslieferung seiner Spezialpräparate. Der Pharmazeut warnt vor dramatischen Folgen für die Versorgung.

Thomas Steffens, Inhaber der Kronen-Apotheke am Dreiecksplatz, hat sich unter Kollegen überregional einen Namen gemacht. Nicht nur wegen seines besonderen Temperaments, sondern vor allem wegen seines galenischen Fachwissens, mit dem er seit Jahrzehnten im Bereich der Rezepturherstellung neue Maßstäbe setzt. Wenn der 75-Jährige sich zur Ruhe setzen würde, hätten Praxen in ganz Deutschland ein Problem. Oder wenn er seinen seit Jahren schwelenden Streit mit dem Landesamt für soziale Dienste nun endgültig verlieren würde.

Seit 1979 stellt der Apotheker beispielsweise eine 10-prozentige Fluorescein-Injektionslösung für die Fluoreszenzangiografie her. Damals sei ein Professor von der Uniklinik auf ihn zugekommen, erinnert sich Steffens. Dieser habe sterile Einwegspritzen gewünscht, weil es bei den in Bördelflaschen abgefüllten Fertigarzneimitteln immer wieder Probleme mit der Auskristallisation des Wirkstoffs gegeben habe. Diese sei vor allem bei der Lagerung im Kühlschrank nach Anbruch aufgetreten.

So stellte Steffens fortan regelmäßig einen größeren Ansatz her, den er unter Stickstoff in jeweils 64 Einwegspritzen à 5 ml abfüllte. Einmal pro Monat kam ein Rezept aus der Klinik, meist freitags habe er sich dann gemeinsam mit einer PTA um die Anfertigung gekümmert, erinnert sich der Apotheker. Nach der Wende seien auch Ärzte aus den neuen Bundesländern auf ihn aufmerksam geworden, sodass sein Einsatz alle zwei Wochen gefragt gewesen sei.

Doch nach einer Apothekenbesichtigung im Januar 2014 verbot das Landesamt als Aufsichtsbehörde dem Apotheker die weitere Herstellung der Injektionslösung als Rezepturarzneimittel für den Praxisbedarf. Parallel wurde ihm die Zubereitung verschiedener Darmspülpulver untersagt. Steffens legte Widerspruch ein, der Fall ging vor Gericht.

Im Grundsatz ging es um die Frage, ob die Anfertigungen als Rezepturen einzustufen sind oder nicht. In der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) heißt es dazu: „Rezepturen werden in der Apotheke im Einzelfall auf Grund einer Verschreibung oder auf sonstige Anforderung einer einzelnen Person und nicht im Voraus hergestellt.“

Das Landesamt war der Meinung, dass Rezepturen als individuelle Zubereitung anzusehen sind, die nur hergestellt werden dürfen, wenn der jeweilige Patient auf dem Rezept benannt ist. Auch mit Blick auf den Herstellungsprozess seien die Präparate nicht als Rezeptur-, sondern allenfalls als Defekturarzneimittel von der Zulassungspflicht befreit. In diesem Fall sei aber der Apotheker seinen Prüfpflichten nicht nachgekommen. Außerdem gingen die Ansätze über das Höchstmaß von 100 abgabefertigen Packungen hinaus. Immerhin hatte Steffens zuletzt 100 Spritzentrays mit jeweils 64 Einmalglasfertigspritzen hergestellt.

Steffens vertrat dagegen die Auffassung, dass der Arzt bei Rezepten mit der Kennzeichnung „für den Praxisbedarf“ oder „ad manu medici“ als Verbraucher anzusehen sei – auch wenn er sich das jeweilige Arzneimittel beschaffe, um es im Rahmen der Behandlung in seiner Praxis anzuwenden. In diesem Fall dürfe auch die namentliche Nennung der jeweiligen Patienten auf dem Rezept entfallen.

Als Apotheker sei er grundsätzlich verpflichtet, ihm vorgelegte ärztliche Verschreibungen zu bedienen, argumentierte Steffens weiter. Das hergestellte Arzneimittel müsse der Verschreibung entsprechen – entsprechend werde der Umfang einer abgabefertigen Packung durch die Verschreibung bestimmt. Das könnten eben auch 64 aufgeteilte Applikationen oder Portionen sein. Insofern sei er gar nicht berechtigt, die Herstellung als Defektur auszulegen – zumal er hier laut Gesetz ohnehin die häufige ärztliche Verschreibung nachweisen müsste.

Das VG folgte dieser Argumentation nicht: „Wesentliches Kennzeichen des Rezepturarzneimittels ist es, dass der Empfänger des herzustellenden Arzneimittels schon bei Beginn des Herstellungsvorgangs bekannt ist und es eine patientenindividuelle Herstellung gibt.“ Alles andere widerspreche dem Zweck der gesetzlichen Regelung, heißt es im Urteil. Mit Rezeptur und Defektur gebe es bereits ein abgestuftes Programm, das „den praktischen Bedürfnissen der Ärzte“ angepasst sei.

Auch entsprechend einer EU-Richtlinie scheide die Herstellung als Rezepturarzneimittel auf die Verschreibung „für den Praxisbedarf“ aus: Hier sei sogar wörtlich definiert, dass Rezepturen in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet würden. Wie der EuGH festgestellt habe, komme es dabei auf alle drei Voraussetzungen an.

Für den Praxisbedarf komme die Defekturherstellung in Frage. Allerdings sind als abgabefertige Packungen laut Gericht solche Einheiten anzusehen, die zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt sind – und keine „überdimensionierten Klinikpackungen“. Dafür gebe es auch gar keine Notwendigkeit: „Der Praxisbedarf lässt sich mit einer Begrenzung der täglichen Herstellung auf 100 Patientenportionen decken.“

Auch hier zogen die Richter frühere EuGH-Urteile heran. Die Richter in Luxemburg hatten die Defektur als handwerkliches Verfahren in Abgrenzung zur Fertigung im großen Maßstab gesehen, bei der ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt. Ein Indiz für die nicht mehr handwerkliche, sondern bereits industrielle Herstellung von „Fluorescein-Na (Inj.) 10 %“ bilden laut Gericht bereits die für die Befüllung der 64 Einmalglasfertigspritzen auf den Spritzentrays notwendigen Apparaturen.

Den Richtern in Kiel ging es erkennbar darum, einen Missbrauch der Privilegierung des üblichen Apothekenbetriebs zu vermeiden. Dies verlange eine restriktive Anwendung auf klar umgrenzte Ausnahmefälle, die durch die ApoBetrO klar definiert seien. „Die für Rezepturarzneimittel bestehenden Abgrenzungsmerkmale […] dürfen nicht durch von den Ärzten erfolgende Verschreibungen ‚für den Praxisbedarf‘ aufgegeben und in das Belieben der verschreibenden Ärzte überführt werden.“

Auch die Defekturherstellung behalte nur den handwerklichen Charakter, wenn die hergestellten Mengen in einem „klar umgrenzten Rahmen“ blieben. In Ländern wie den USA haben sich in den vergangenen Jahren dank der Ausnahmevorschriften Compounding-Zentren zu einem dritten Wirtschaftszweig etabliert. Auch Steffens mischt – neben Anbietern wie Aposan oder der Privilegierten Rats-Apotheke aus Uslar – überregional in großem Stil mit. Er einzelt nicht nur aus, sondern stellt spezielle Rezepturen für den Praxisbedarf her. Seine Firma Medio-Haus-Medizinprodukte liefert ihre Riboflavin-Augenprodukte sogar weltweit aus.

Die Injektionslösung aus seiner Apotheke, über die jetzt vor Gericht gestritten wurde, hat der Apotheker 2012 zum letzten Mal hergestellt – weil er keinen Ausgangsstoff mehr bekommt, seit der Originalhersteller Alcon seinen Lieferanten übernommen hat. Trotzdem will er nicht aufgeben. Allzu oft schon hat er mit Konzernen wie Alcon oder Norgine vor Gericht gestanden, die ihren Markt gegen die Konkurrenz aus der Apotheke verteidigen wollten.

Vor allem aber treibt ihn die Sorge um, dass Ärzte überall in Deutschland Probleme bekommen, wenn sie keine Zubereitungen aus der Apotheke mehr für den Praxisbedarf anfordern können. Desinfektionsmittel seien noch das geringste Problem. Steffens kennt Fälle, in denen Ärzte bei Katarakt-Operationen mit den gängigen Fertigarzneimitteln nicht zurecht gekommen seien und seine Einzeldosen angefordert hätten.

Mit Verwunderung hat Steffens auch die Diskussion um das Rx-Versandverbot verfolgt. Auch wenn er kein Anhänger des Versandhandels sei: Ein Verbot ohne eine Ausnahmeregelung für Spezialrezepturen beziehungsweise Defekturen hätte nach seiner Ansicht die Versorgung gefährdet. Ähnlich hatten auch andere Apotheker sowie – etwas überraschend – auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) argumentiert. Dass die ABDA in ihrer Stellungnahme erstmals anerkannt habe, dass es spezialisierte Apotheken gebe, sei immerhin ein Fortschritt, so Steffens.

Der Apotheker ist überzeugt, dass er Ärzten nicht nur den besseren Preis bieten kann, sondern oft auch das bessere Produkt. Er verweist exemplarisch auf eine NRF-Vorschrift zu Polihexanid-Augentropfen, in denen zur Vermeidung einer Infektionsübertragung in der Sprechstunde nur Einzeldosen empfohlen werden. Außerdem gebe es Präparate, die wegen kurzer Haltbarkeit oder anderer Probleme nicht als Fertigarzneimittel angeboten werden könnten. „Wenn die Industrie solche Produkte nicht liefern kann, da müssen wir Apotheker liefern können“, sagt er. Auch wenn es einmal mehr als 100 Teilmengen seien.