Droht der Engpass im Winter?

Zu wenig Grippeimpfstoff 2022/23: PEI schlägt Alarm Cynthia Möthrath, 04.04.2022 13:21 Uhr

Die EMA hat ihre Empfehlungen für die Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe für die Saison 2022/23 bekanntgegeben. Foto: KucherAV/shutterstock.com
Berlin - 

Bis Ende März konnten Ärzte über die Apotheken Grippeimpfstoffe für die kommende Saison bestellen. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) schlägt aufgrund der geringen Bestellzahlen Alarm und warnt vor einem Engpass im Herbst.

Am 31. März endete die Bestellfrist der Arztpraxen und Apotheken für die Grippeimpfstoffe der kommenden Saison. Die Herstellung der Vakzine orientiert sich dann an den Bestellungen. „Derzeit weicht die Anzahl der vorbestellten Impfstoffdosen noch signifikant von dem ermittelten Bedarf für die kommende Grippesaison ab, was schlimmstenfalls zu Einschränkungen der Impfstoffverfügbarkeit führen könnte“, warnte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in der vergangenen Woche. „Dies gilt sowohl für Standarddosis- als auch insbesondere für Hochdosis-Impfstoffe.“ Werden in dieser Saison geringere Mengen bestellt und produziert, könnte eine erhöhte Nachfrage im Herbst möglicherweise nicht gedeckt werden.

Diskrepanz bei Bedarfsermittlung

Das PEI erklärt, wie die Bedenken zustande kommen: Seit 2020 wird jeweils zu Jahresbeginn der Bedarf für Influenzaimpfstoffe gemäß § 132 e Absatz 2 Sozialgesetzbuch (SGB V) ermittelt: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) meldet bis zum 15. Januar den Bedarf an saisonalen Grippeimpfstoffen auf Grundlage der durch die Vertragsärzt:innen geplanten Bestellungen an das PEI. Dieses prüft daraufhin den übermittelten Bedarf unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Reserve von 10 Prozent – in den Jahren 2020 und 2021 von 30 Prozent. Dabei werden auch die Planungen der Hersteller abgeglichen. Die Prüfung erfolgt in Abstimmung mit dem Robert Koch-Institut (RKI). „In diesem Jahr ergab sich eine Diskrepanz zwischen den mitgeteilten Mengen, die dazu geführt hat, dass das Paul-Ehrlich-Institut erneut zur Bestellung aufgerufen hat.“

Ab etwa Mitte August werden die Impfstoffchargen sukzessive nach Chargenprüfung und -freigabe durch das PEI ausgeliefert. „Angesichts des weltweiten Bedarfs stehen auch keine Zusatzkontingente bereit, die von ‚Nachzüglern‘ abgerufen werden könnten“, mahnt das PEI. „Die Versorgung der Bevölkerung mit Grippeimpfstoffen kann nur sichergestellt werden, wenn rechtzeitig ausreichend Impfstoffe vorbestellt werden.“

Keine Angaben machte das PEI zunächst dazu, wie viele Dosen bislang vorbestellt wurden. In den letzten beiden Jahren sind die Zahlen deutlich in die Höhe geschnellt: Wurden vor Beginn der Corona-Pandemie pro Jahr zwischen 15 und 20 Millionen Dosen freigegeben, waren es 2020/21 rund 26 Millionen Dosen und 2021/22 sogar knapp 34 Millionen Dosen. Aus Angst vor eine doppelten Infektionswelle aus Corona und Influenza hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Frühjahr 2020 erstmals eine sogenannte nationale Reserve vorbestellt. Doch die zusätzlich beschafften sechs Millionen Dosen wurden zu spät ausgeliefert, sodass sie am Ende in den Apotheken liegen blieben und diese eine Erstattung erhielten. Im vergangenen Jahr hatte das BMG erneut knapp sieben Millionen Dosen zusätzlich bestellt. Zusammen mit der Reserve der Hersteller von 30 Prozent ergibt sich eine Gesamtmenge von knapp 34 Millionen Dosen, die freigegeben wurden. Nicht bekannt ist aber, wie viele Dosen auch verimpft wurden.

Wieder Hochdosis-Impfstoff für Senioren

Gemäß Stiko-Empfehlung erhalten Menschen über 60 Jahren seit der Saison 2021/22 einen hochdosierten Grippeimpfstoff. „Im Vergleich zu konventionellen Influenza-Impfstoffen wurde für den Influenza-Hochdosis-Impfstoff eine geringfügige, aber signifikante Überlegenheit der Impfeffektivität bei älteren Menschen nachgewiesen“, erläuterte die Stiko ihre Empfehlung. Aktuell steht in Deutschland dafür nur Efluelda von Sanofi zur Verfügung.

Bei der Zusammensetzung für die kommende Saison liegt besonderes Augenmerk auf den Stämmen, deren Kursieren in der bevorstehenden Grippewelle zu erwarten ist. Da in den vergangenen Jahren die Grippewelle vergleichsweise niedrig ausgefallen ist, könnte die Entscheidung über die neue Zusammensetzung schwierig gewesen sein. Sie basiert auf Beobachtungsdaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Wie in jedem Jahr sind sowohl bekannte Stämme wie auch neue Vertreter dabei, um ein möglichst großes Spektrum der Virusstämme abdecken zu können. Folgende Stämme wurden für die bevorstehende Saison empfohlen:

Klassische Vakzine auf Eibasis:

  • A/Victoria/2570/2019 (H1N1)pdm09
  • A/Darwin/9/2021 (H3N2)
  • B/Austria/1359417/2021 (B/Victoria-Linie)
  • B/Phuket/3073/2013 (B/Yamagata-Linie)

Impfstoffe auf Zellbasis:

  • A/Wisconsin/588/2019 (H1N1)pdm09
  • A/Darwin/6/2021 (H3N2)
  • B/Austria/1359417/2021 (B/Victoria-Linie)
  • B/Phuket/3073/2013 (B/Yamagata-Linie)

Bis zum 13. Juni müssen die Zulassungsinhaber nun die Anträge auf Änderung der Zusammensetzung zentral zugelassener saisonaler Grippeimpfstoffe einreichen.