USA

Radicava gegen ALS Nadine Tröbitscher, 10.05.2017 15:04 Uhr

Edaravone ist 20 Jahre nach der Einführung von Riluzol der zweite Wirkstoff, der in den USA zur Behandlung der degenerativen Erkrankung ALS zugelassen ist. Screenshot
Berlin - 

Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) stehen nur wenige Behandlungsoptionen zur Verfügung. Der einzige zugelassene Wirkstoff ist Riluzol. Die US Food & Drug Administration (FDA) hat nun erstmals seit 20 Jahren einen neuen Wirkstoff zur Behandlung der seltenen Erkrankung zugelassen. Radicava 30 mg/100 ml (Edaravone, Mitsubishi Tanabe) kann nun auch in den USA gegen den schleichenden Neuronenuntergang eingesetzt werden.

Edaravone wird bereits seit zwei Jahren in Japan und Südkorea zur Behandlung von ALS eingesetzt. Der Wirkmechanismus ist noch nicht geklärt, der Nutzen des Antioxidans jedoch in einer Studie belegt. Die FDA bezieht sich in ihrer Entscheidung auf eine in Japan durchgeführte Studie mit 137 ALS-Patienten, deren Diagnose weniger als zwei Jahre zurücklag. Die Probanden erhielten über einen Zeitraum von sechs Monaten Verum oder Placebo als Infusion. Nach 24 Wochen wurde eine klinische Beurteilung vorgenommen. Die mit Edaravon behandelten Patienten wiesen eine Reduktion der Rate funktionaler Verluste um etwa ein Drittel auf.

Radicava wird derzeit nur intravenös verabreicht. Patienten erhalten zu Beginn der Behandlung an 14 Tagen eine Infusion über etwa eine Stunde. Im Anschluss folgen 14 medikamentenfreie Tage. Dann schließt sich erneut ein 14-tägiger Zyklus an, indem die Betroffenen an zehn variablen Tagen eine Infusion erhalten, gefolgt von einem Intervall ohne Edaravone. Die Infusion kann Nebenwirkungen wie Blutergüsse, Gangstörungen, Kurzatmigkeit oder Nesselsucht zur Folge haben. Der Zusatz von Natriumbisulfit verursacht möglicherweise auch anaphylaktische Symptome.

Edaravone war zuvor in Japan als Neuroprotektivum für Schlaganfallpatienten auf dem Markt, die Wirkung kommt möglicherweise auch in diesem Fall durch antioxidative Eigenschaften zustande. In den Niederlanden wird bereits an der Entwicklung einer oralen Darreichungsform mit dem Wirkstoff gearbeitet. Die Arbeiten daran sind jedoch noch nicht abgeschlossen.

ALS ist eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Die motorischen Zellen in Gehirn und Rückenmark sterben bei den Betroffenen ab. Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen 50 und 70 Jahren, dabei sind Männer häufiger betroffen als Frauen. Etwa zwei bis acht Menschen von 100.000 leiden an ALS. Der Krankheitsverlauf ist schleichend und fortschreitend – abhängig davon, welche Zellen betroffen sind. Leichte Ungeschicklichkeiten, Stolpern oder schmerzlose Lähmungen können den Beginn der Erkrankung markieren. Bei etwa 30 Prozent der Betroffenen sind Sprach- und Schluckstörungen die ersten Anzeichen, in diesem Fall spricht man von einem bulbären Beginn.

Im Laufe der Erkrankung treten schmerzlose Lähmungen mit einer Erhöhung der Muskelspannung auf. Unwillkürliche Zuckungen sind deutliche Anzeichen. Es kommt zu Krämpfen und Versteifungen bis hin zu allgemeiner Kraftlosigkeit und Muskelschwund. Betroffen von der Erkrankung können alle Muskelpartien sein, ausgenommen Augen-, Herz- und Schließmuskel.

Seit 1997 ist Riluzol zur Behandlung der Erkrankung zugelassen. Seit Februar ist neben den Tabletten auch eine Lösung im Handel, die die Einnahme bei Patienten mit Schluckbeschwerden erleichtert. Als Natrium-Kanal-Blocker schwächt Riluzol die Wirkung des Neurotransmitters Glutamat ab und gilt somit als Glutamat-Antagonist. ALS-Patienten weisen eine hohe Glutamatkonzentration im Liquor auf. Der erregende Neurotransmitter spielt eine wichtige Rolle für die Pathogenese der Erkrankung. Riluzol verlangsamt die Krankheitsprogression und kann das Überleben der Patienten verlängern.