Kommentar

Der perfekte Copilot Patrick Hollstein, 29.04.2014 11:36 Uhr

Berlin - 

Frieder Bangerter wird neuer Alliance-Chef. Das ist eine gute Nachricht. Denn auch wenn er bei Gehe als Finanz- und IT-Geschäftsführer nicht an der „Front“ tätig war: Nach 17 Jahren beim Stuttgarter Pharmagroßhändler kennt er die vielen Facetten des Großhandelsgeschäfts aus dem Effeff. So besteht Hoffnung, dass in Frankfurt Ruhe einkehrt – und dass auch die geplanten Sanierungsmaßnahmen mit Augenmaß umgesetzt werden.

Dass man bei Alliance nicht unbedingt eine Führungsfigur mit einer eigenen Vision für den Pharmagroßhandel gesucht hat, ist kein Geheimnis. Wer Vorgaben aus London umsetzen muss, der braucht kein überbordendes Ego. Andererseits kann man in Frankfurt nicht auf einen Statthalter verzichten, der die Vorgaben halbwegs glaubwürdig vertritt.

Wie groß das Vakuum nach dem Abgang von Dr. Ralf Lieb, der Absage von Dr. Michael Lonsert, der Debatte um Vicesco/Alphega und dem Vor und Zurück bei den Konditionen derzeit ist, zeigen die öffentlichen Einlassungen von Konzernchef Stefano Pessina Ende vergangener Woche. Der ehemalige Vorstands- und heutige Aufsichtsratschef Dr. Thomas Trümper scheint wenig Lust zu verspüren, in die Schusslinie zu geraten. Also musste der Patriarch persönlich nach vorne, um Alliance zu etwas Würde zurück zu verhelfen.

Mit Bangerter könnte Pessina & Co. den Richtigen für ihr Deutschlandgeschäft gefunden haben. Von Hause aus sozusagen Buchhalter, dürften von ihm keine Allüren zu erwarten sein. Ehemalige Kollegen beschreiben ihn als bodenständigen und verlässlichen Charakter – und einen, der Ahnung vom Großhandel hat. Immerhin hat er bei Gehe die kleinen und großen Sünden verbuchen müssen.

Im Tandem mit seinem ehemaligen Gehe-Kollegen Wolfgang Mähr könnte er die ehemalige Anzag wieder auf Kurs bringen. Dem Vernehmen nach hat der Frankfurter Großhändler zuletzt zwischen 35 und 40 Millionen Euro Umsatz verloren und ist auf einen Marktanteil von rund 13 Prozent abgesackt. Hätte sich die Konkurrenz nicht zurückgehalten, hätte die Wut der Apotheker Alliance vermutlich mit mehr Wucht getroffen.

Doch auch für den anstehenden Restruktuierungsprozess, der angesichts erheblicher Einschnitte auch mit harten Auseinandersetzungen mit der Belegschaft verbunden sein dürfte, ist der 49-Jährige genau der Richtige. So wie man Lonsert zugetraut hätte, einen solchen Prozess strukturiert und zielorientiert umzusetzen, werden auch Bangerter Qualitäten als Sanierer nachgesagt.

Als Verbündeter von Mähr könnte Bangerter aber auch in den Gesprächen mit Ornella Barra Flankenschutz geben. Denn auch wenn Pessina die „gute Verfassung“ des deutschen Marktes lobt: Den britischen Pharmagroßhandel hat er seit 2007 als willfähriger Auftragslogistiker selbst kaputt gemacht. Um Befindlichkeiten kümmert sich der Globalisierungspionier des Pharmahandels bekanntlich nicht. Je mehr Großhandelskompetenz auf deutscher Seite, desto größer die Chance auf ein Korrektiv.