Strohmann-Verhältnis

Ganovenuntreue im Apothekenvertrag Alexander Müller, 29.01.2016 10:03 Uhr

Berlin - 

Ende November 2004 fehlen auf dem Konto der Apotheke 165.000 Euro. Wieder ist ein Blankocheck eingelöst worden – von jemandem, der nach eigener Auffassung der eigentliche Inhaber ist. Es ist eine lange Geschichte von Abhängigkeit und Geheimverträgen, Glücksrittern im Apothekenmarkt und Ganovenuntreue.

Der ungefragte Zugriff auf das Geschäftskonto der Apotheke im brandenburgischen Guben war nicht der erste und sollte nicht der letzte gewesen sein. Hintergrund sind Vereinbarungen, die die Apothekerin am 5. Dezember 1997 mit der Firma TKP aus Berlin geschlossen hatte. Sie hatte ein partiarisches Darlehen in Höhe von 200.000 Euro erhalten, musste dafür aber 80 Prozent des Gewinns oberhalb ihres definierten Mindestgewinns abtreten.

Doch die „stillen Gesellschafter“ nutzten ihre Kontovollmacht allzu freihändig aus. TKP-Geschäftsführer Thomas Tennstedt – ein Apotheker aus Ahlen, der sich nach der Wende in Cottbus niedergelassen hatte – war Inhaber von zwei Geschäftskonten der Apotheke. Seine Frau Claudia, zwischen 1992 bis 2001 selbst Geschäftsführerin der Firma, hatte Kontovollmacht. Allein im Jahr 2003 wurde in Form von sechs Schecks oder Blankoschecks eine Summe von 185.000 Euro abgezogen. Im folgenden Jahr waren es sogar knapp 260.000 Euro. Die letzte angegebene Überweisung auf Tennstedts Konto bei einer Sparkasse datiert auf den 4. Mai 2005 über 10.000 Euro.

Im Jahr davor war die Apotheke in einen Neubau umgezogen. TKP hatte am 31. Juli 2003 einen Mietvertrag über die Geschäftsräume geschlossen: spätestens ab April 2004 für 20 Jahre zu einem monatlichen Nettomietzins von 2750 Euro. Die Apothekerin unterzeichnete mit Tennstedt am selben Tag einen Mietvertrag über die Räume zu denselben Konditionen.

Anfang Juni 2004 unterschrieben die beiden wiederum eine Vereinbarung, dass der Mietvertrag lediglich zur Erlangung der Betriebserlaubnis diene und keinerlei Rechtswirksamkeit erlangen sollte. Die Kammer kannte diese Nachträge wohl nicht. Am 9. Juni wurden die Räume übergeben.

Doch zu diesem Zeitpunkt ging es der Apotheke wirtschaftlich schon nicht mehr gut. Die ständigen Entnahmen drückten auf die Liquidität. Im Oktober 2005 zog die Apothekerin die Reißleine und kündigte die Vereinbarung mit TKP – Anfang 2006 übernahm sie eine Apotheke in Cottbus und führte den bisherigen Standort als Filiale weiter. Im Mai 2007 kündigte wiederum TKP den Untermietvertrag mit der Apothekerin zum Jahresende und klagte auf Rückgabe der Fläche vor dem Landgericht Cottbus.

Die Sache wurde im Verfahren aber von beiden Seiten für erledigt erklärt. Aus Sicht des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG) war die Räumungsklage von Anfang an nicht begründet. Denn zwischen den Parteien habe kein wirksames Untermietverhältnis bestanden – wegen der Umgehung des Verpachtungsverbots gemäß Apothekengesetz. Der Räumungsanspruch von TKP verstieß laut OLG zudem gegen das sogenannte Schikaneverbot. Der eigentliche Vermieter hatte den Mietervertrag mit TKP mittlerweile fristlos wegen Zahlungsverzugs gekündigt und direkt an die Apothekerin vermietet.

Weil der Vertrag nichtig war, konnte sich TKP auch nicht darauf berufen, dass die Apothekerin nur „Treuhänderin“ gewesen sei, die Firma hingegen die „eigentliche Eigentümerin“ und damit zur Entnahme der Gelder berechtigt.

Jedenfalls ab Ende 2002 nahm die Apothekerin nach Überzeugung des OLG die Verfügungen der Firma nicht mehr widerspruchslos hin. Ihr Steuerberater hatte sie bei Vorlage der Abschlüsse darauf hingewiesen, „dass mit der Einstellung in das Kapitalkonto die Höhe, aber nicht die Berechtigung der Entnahme bestätigt würden und ein Ausgleich ohnehin erfolgen müsse“.

Am 14. März 2003 sprach die Apothekerin mit ihrem Ehemann persönlich bei Tennstedt vor. Sie besuchten ihn in seinem Wohnhaus in Ahlen und wollen dort ausdrücklich erklärt haben, dass in Zukunft kein Geld mehr ohne Gegenleistung vom Konto eingezogen werden dürfe. Anfang 2004 habe es zwei weitere Gespräche gegeben, in denen sämtliche Verfügungen über Banktransaktionen ohne vorherige Absprache untersagt wurden. Bei einem weiteren Treffen am 6. Oktober desselben Jahres sei es erneut zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen.

Der Ehemann hatte bei seiner Befragung „zusammenhängend und nachvollziehbar“ geschildert, wie er sich mit seiner Frau schon während des Urlaubs in Bayern Gedanken über ihre berufliche Zukunft und die „Probleme mit der Apotheke und den nicht beeinflussbaren Entnahmen“ gemacht hatte. Noch vom Urlaubsort aus vereinbarte er den Termin mit Tennstedt. Einen Tag vor dem eigentlich geplanten Ende des Urlaubs, am 14. März, waren sie zu ihm nach Ahlen gefahren.

Für die Richter klang das alles plausibel, zumal der Ehemann genau schildern konnte, dass man im Haus in Tennstedts Büro gesprochen und dass dessen Frau vorher den Raum verlassen habe. Auch die Schilderung des Gesprächsinhaltes selbst war ohne Widersprüche, die Richter bekamen Details zu hören.

TKP bestritt im Verfahren das Treffen in Tennstedts Wohnhaus. Bis 2005 habe die Apothekerin der einvernehmlichen Buchungs- und Zahlungspraxis nicht widersprochen. Doch das Gericht hielt den Ehemann für glaubwürdig. „Seine Aussage wirkte authentisch, war nach dem Eindruck des Senats nicht von taktischen Erwägungen geprägt“, heißt es im Urteil.

Zunächst wollte die Apothekerin die Differenz aus allen Entnahmen und den TKP aus ihrer Sicht tatsächlich zustehenden Summen einklagen. Auf Hinweis des Gerichts hatte sie im Juni 2010 erstmals die einzelnen aus ihrer Sicht missbräuchlichen Scheckverwendungen der Jahre 1999 bis 2004 tabellarisch aufgeführt und Kontoauszüge vorgelegt. Der Gesamtbetrag belief sich demnach auf knapp 1,5 Millionen Euro. Im Februar 2011 legte sie weitere Belege vor.

Aus Sicht des OLG konnte sich die Apothekerin nicht auf eine ungerechtfertigte Bereicherung stützen, da diese Ansprüche verjährt seien. Bei den Abbuchungen handelte es sich laut OLG aber um eine unerlaubte Handlung. Die Schadensersatzansprüche unterlagen damit einer zehnjährigen Verjährung. Kurz: Die Abbuchungen mussten rückabgewickelt werden, TKP ist zur Zahlung von 420.000 Euro plus Zinsen verurteilt worden.

Weil in der Vereinbarung auch von „Beratungs-, Vertretungs- und Kontrollrechten“ die Rede war sowie wegen der erteilten Bankvollmacht, hatte TKP aus Sicht des OLG eine sogenannte Vermögensbetreuungspflicht für die Apotheke. Dass die Strohmannkonstruktion an sich rechtswidrig war, ändert daran nicht, der Jurist spricht von Ganovenuntreue.

Das OLG hat keine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Tennstedts Anwalt erklärte auf Nachfrage, man prüfe derzeit, ob man in Karlsruhe Nichtzulassungsbeschwerde einlegen werde. Es passt zu diesem Fall, dass alle Beteiligten aufgrund eines Verfahrensfehlers noch länger auf eine endgültige Klärung warten müssen: Der BGH hatte das erste Urteil des OLG vom 15. Oktober 2013 aufgehoben – weil der Senat in Brandenburg seinerzeit nicht richtig besetzt war. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Der BGH hatte damals aber schon darauf hingewiesen, dass die Verträge nichtig seien und die Forderungen der Apothekerin möglicherweise noch nicht verjährt.