Kemmritz: „In vielen Fällen reine Marketingmaßnahme“

Lieferdienste: Verdrängungswettbewerb auf Apothekenkosten? APOTHEKE ADHOC, 26.10.2021 14:10 Uhr

Kampf um einen kleinen Markt: Die Berliner Kammerpräsidentin Dr. Kerstin Kemmritz hält die Geschäftsmodelle der Liefer-Start-ups für wenig nachhaltig. Foto: Apothekerkammer Berlin
Berlin - 

Im Windschatten der E-Rezept-Einführung formiert sich ein neuer Branchenzweig: Lieferdienste, die Produkte von der Apotheke zum Verbraucher bringen. In kürzester Zeit sind mehrere Anbieter aufgetaucht, die aus der Same Day Delivery ein Geschäftskonzept machen wollen. Hotspot sind die Metropolen und unter ihnen besonders Berlin. Was kommt da auf die Apotheken zu? Eine Marktverteilungsschlacht, inklusive Preiskämpfen? Die Berliner Kammerpräsidentin Dr. Kerstin Kemmritz hat Zweifel, dass sich die Kurierdienste behaupten werden – einen Nutzen für die Apotheken könnten sie jedoch haben.

Lebt man in einer Stadt wie Berlin, Hamburg oder München, hätte man es schon länger für eine Frage der Zeit halten können: Fahrradkuriere sind mittlerweile selbstverständlicher Anblick im Großstadtalltag, zahlreiche Anbieter von Wolt bis Gorillas liefern mittlerweile nicht mehr nur Essen, sondern auch Supermarkteinkäufe und allerlei andere Waren an die Haustür. Die Idee, das auch mit Arzneimitteln und anderen Apothekenprodukten zu tun, ist da naheliegend – vor allem mit Blick auf den Digitalisierungsschub samt E-Rezept, den die Branche derzeit durchlebt.

Entsprechend sind die Marktaussichten wohl vor allem für Außenstehende und Investoren gleichermaßen. 15 Millionen Euro konnten allein die McMakler-Gründer für ihren Fahrradlieferdienst Mayd einsammeln. Die Gründer Liefer-App Phaster Pharmacy wiederum haben finanzielle Rückendeckung unter anderem vom Teleclinic-Mitgründer Professor Dr. Reinhard Meier. Was Mayd und Phaster mit der Konkurrenz von First A, Medikamendo oder Joom verbindet, sind die Versprechen an die Kunden: Die Lieferung solle in kürzester Zeit eintreffen, meist innerhalb von 30 Minuten.

Doch ist der Markt dafür wirklich groß genug? Darauf würde Kammerpräsidentin Kemmritz nicht wetten. „Ich halte solche Lieferdienste momentan für nicht notwendig“, sagt sie. Schließlich hätten die Apotheken in Berlin eine sehr gute Abdeckung, seien mit entsprechend langen Öffnungszeiten persönlich erreichbar und hätten meist einen eigenen Botendienst. „Es mag da aus Convenience-Perspektive bei manchen Kunden zu bestimmten Zeiten noch Lücken geben, die nun gefüllt werden sollen. Das ist aber ein sehr kleiner Markt. Daraus ein ganzes Geschäftsmodell zu machen, erschließt sich mir nicht. Ich glaube nicht, dass das in der jetzigen Form nachhaltig ist.“

Behält Kemmritz recht, könnte schon bald ein Verdrängungswettbewerb in der Stadt beginnen. Dass Arzneimittellieferungen für Gründer und Investoren überhaupt ein interessantes Spielfeld zu sein scheinen, verrate aber auch viel über die Apotheken selbst. „Es sind ja keine Apothekenplattformen, die sich da tummeln, sondern eher Start-ups, die aus anderen Branchen kommen“, sagt sie. Die Angebote würden auf Kunden zielen, die das System der Apotheken-Botendienste nicht kennen. „Ob deren Zahl ausreicht, mag ich aber bezweifeln.“ Dennoch verdeutliche das, woran es in den Vor-Ort-Apotheken bisher anscheinend gemangelt hat, nämlich „dass wir als Apothekerschaft vielleicht noch nicht ausreichend verdeutlicht haben, dass es auch eigene Liefer-Angebote gibt. Da müssen wir uns also auch ein Stückweit an die eigene Nase fassen und überlegen, ob wir da nicht aktiver werden sollten.“ Im eigenen Umfeld der jeweiligen Apotheke sollte das Liefer-Angebot bekannt sein, aber darüber hinaus gebe es wohl noch Lücken bei der Werbung.

Das sei auch der Nutzen, den eine Apotheke aus dem Angebot ziehen kann – denn finanziell, so schätzt Kemmritz, kann bei den derzeitigen Geschäftsmodellen nicht allzu viel zu holen sein. Für die Patienten möge es an manchen Stellen praktisch erscheinen, wenn man sich Nasensprays oder Hustenmittel fast rund um die Uhr einfach per Fahrradkurier liefern lassen kann, sagt sie. „Es ist aber fragwürdig, ob man als Apotheke oder Lieferant damit Geld verdienen kann. So wird es in vielen Fällen eine reine Marketingmaßnahme sein, mit der man kein Geld verdient, sich aber gegenüber einer speziellen Zielgruppe modern darstellen kann.“

Ob sich das lohnt, müsse allerdings jeder Inhaber für sich selbst entscheiden. „Ob eine Apotheke diese Angebote nutzen sollte, kann man kann nicht allgemein sagen.“ Das sei eine individuelle Entscheidung, die auch ganz wesentlich vom Standort, der eigenen Aufstellung und der Kundschaft vor Ort abhänge. „Jeder sollte sich informieren und überlegen, ob es sich für ihn lohnt“, fordert Kemmritz. Es werd auch viele Apotheken geben, die das überhaupt nicht brauchen. „Das Tolle in der jetzigen Zeit ist doch, dass Apotheken noch nie so individuell waren wie jetzt und ihr Angebotsspektrum selbst zusammenstellen können.“