Focus-Weihnachtsgespräch mit Spahn

„Wir sagen doch alle mal nicht die ganze Wahrheit“ APOTHEKE ADHOC, 21.12.2020 15:38 Uhr

Teufels Werk und Gottes Strafe: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nutzt die Vorwehnachstzeit, um sich als guter Katholik zu präsentieren. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Das Private ist politisch – außer es geht ums Geld. So lässt sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahns Haltung wohl auf den Punkt bringen. Spahn vereint einige Widersprüche in sich, und zwar nicht nur finanziell: Von Flüchtlingspolitik bis Sterbehilfe bedient er den konservativen Markenkern der CDU. Gleichzeitig ist er mit einem Mann verheiratet und stellt damit das Familienbild seiner Partei auf die Probe. Mit Hilfe des Focus – der zum Burda-Verlag gehört, dessen Berlin-Büro just Spahns Ehemann Daniel Funke leitet – nutzt der Minister nun die Weihnachtszeit, um sich als guter Katholik zu präsentieren, der gelegentlich auch mit seiner Kirche hadert.

Es weihnachtet im Hause Spahn. „Der Bundesgesundheitsminister tritt an einen Opferlichtständer, zündet eine Kerze an und verharrt einige Minuten in stillem Gebet. Dann geht er langsam durch das Kirchenschiff, verweilt vor einem Seitenaltar, neben dem eine Statue der heiligen Schwester Faustina wacht“, beschreibt der Focus in seinem „Weihnachtsgespräch mit Jens Spahn“ anschaulich einen gemeinsamen Kirchenbesuch. „Bevor er die Kirche verlässt, will Jens Spahn seine Hand in das Weihwasserbecken tauchen, um sich zu bekreuzigen. Aufgrund der Pandemie ist das Becken mit einem weißen Tuch bedeckt.“ Im Besprechungsraum der Kirche stellt der Focus Spahn dann die wirklich großen Fragen des Lebens.

Ist die Covid-19-Pandemie Teufels Werk oder Gottes Strafe? „Weder noch“, sagt der Minister. „Sie ist eine Naturkatastrophe, Schicksal.“ Die mittelalterliche Sicht der Dinge von Sünde und Strafe sei ihm jedenfalls zu einfach. Zumindest hadere er wegen der Pandemie nicht mit Gott. „Ich finde, das ist keine Frage von Schuld oder Unschuld. Ich glaube nicht an einen Gott, der straft. Ich glaube vielmehr an einen Gott, der einen nimmt, wie man ist. Der einen so gedacht hat, wie man ist. Der vergibt. Und zwar immer. Das ist für mich der entscheidende Gedanke des Christentums.“ Ohnehin habe er im Moment kaum Zeit für diese großen Fragen. „Die meiste Zeit beschäftige ich mich im Moment mit ganz weltlichen Dingen. Mit Schnelltests, damit, wie das Impfen vorankommt, oder mit FFP2-Masken.“

Ganz weltlich sind jedoch auch die institutionellen Strukturen der Kirche, die Spahn von Kindergarten über Grundschule und Gymnasium bis zur Tätigkeit als Messdiener schon ein ganzes Leben begleitet. Und diese Strukturen stehen durchaus im Widerspruch zu seinem Lebensmodell, wie er ausführt: „Ich trenne den Glauben von dem, was daraus in der kirchlichen Logik oft folgt“, so Spahn. „Da gibt es gerade in der Sexualmoral und im Familienbild relativ viele Themen, bei denen ich denke: Das, was die Kirche vertritt, passt nicht zu dem, woran ich als Christ glaube oder warum ich Christdemokrat bin.“ Christsein bedeute auch, den Menschen so zu nehmen, wie er ist, sagt der Minister – und insinuiert im selben Atemzug, dass seine Homosexualität als Schwäche ausgelegt werden könnte. „Der Mensch ist nicht perfekt. Der Mensch lässt sich in Versuchung führen. Der Mensch hat Fehler, macht Fehler. Gerade der Versuch, die Sexualität einer strikten Moralvorstellung zu unterwerfen oder sie gar zu tabuisieren, passt nicht zu meinem religiösen Selbstverständnis. Mit diesen Regeln habe ich mich nie anfreunden können. Als schwuler Mann steht man mit der Kirche leider oft in einem Konflikt.“

Dass ihn dieser Widerspruch zum Kirchendogma belastet, räumt Spahn hingegen offen ein. „Gott wird sich doch etwas dabei gedacht haben, dass ich so bin, wie ich bin. Wenn die Kirche das nicht akzeptiert, dann fehlen Trost, Halt und Geborgenheit. Das verspüre ich gelegentlich so.“ Ein schlechtes Gewissen, entgegen der Regeln seiner Kirche seinen Mann geheiratet zu haben, habe er jedenfalls nicht. Und die Kirche hat ihm offensichtlich auch keinen Grund dazu gegeben: Es habe sich bei der Hochzeit 2017 kein Geistlicher gefunden, der der Ehe seinen Segen geben wollte. „Damit wird uns, aber auch vielen anderen, vermittelt: Da ist etwas falsch, da ist etwas zu verändern, ihr seid nicht so gewollt, wir ihr geschaffen seid. Dabei sind wir zwei Menschen, die Verantwortung füreinander übernehmen und zugleich im Glauben wachsen wollen. Warum sollte ich deshalb ein schlechtes Gewissen haben?“

Verletzt habe ihn das trotzdem. „Immerhin segnet die Kirche auch Motorräder und Hamster. Da sollte es eigentlich möglich sein, zwei Menschen zu segnen, die sich versprechen, lebenslang füreinander da zu sein.“ Mit dieser Haltung verprellt die Kirche heutzutage viele Gläubige, das betont auch Spahn. „Eine Kirche, die im Jahr 2020 keine Frauen im Priesteramt zulässt oder Ehepaaren den Segen verwehrt, macht es vielen Mitgliedern schwer, ihr zu folgen. Auch der Umgang mit den Missbrauchsfällen hat viel kaputt gemacht.“ Er selbst habe allerdings nie mit dem Gedanken gespielt, auszutreten, betont er: „Die Kirche ist ein Teil von mir, auch wenn sie mich manchmal ärgert.“

Geärgert hat sich wahrscheinlich auch Spahns Interviewpartner, als er ihn nach der größten Sünde seines Lebens fragte. „Die wollen Sie doch gar nicht wissen“, versucht der abzuwiegeln. Doch der Focus hakt nach und kriegt zu hören: „Als Kind habe ich meinem Bruder mal fünf Mark geklaut.“ Nahezu folgerichtig hakt der Focus nach, wie Spahn es mit der Wahrheit hält – konkret: ob er lügt. „Wir sagen doch alle mal nicht die ganze Wahrheit. Das ist vielleicht verwerflich, aber sehr menschlich.“