Versorgungswerke

Sozialgericht: Industrie bleibt apothekertypisch Patrick Hollstein, 05.01.2016 11:32 Uhr

Berlin - 

Die neue Bundes-Apothekerordnung (BApO) ist noch gar nicht beschlossen, doch schon gibt es ein erstes Urteil, wie die zehn Punkte umfassende Definition der pharmazeutischen Tätigkeiten auszulegen ist. Die Arbeit in der Industrie bleibt auch nach der neuen Regelung apothekertypisch, befand kurz vor Weihnachten das Sozialgericht Aachen (SG). Außerdem bestätigten die Richter, dass Industrieapotheker unter bestimmten Umständen auf eine vorangegangene Befreiung vertrauen dürfen.

Im konkreten Fall ging es um einen Apotheker, der sich Ende 2006 als Pharmaziepraktikant von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen hatte. Nach abgeschlossener Promotion fing er als „Apotheker in der Funktion als Laborleiter computergestützte Wirkstoffentwicklung“ bei einer Pharmafirma an. Als Mitglied der Apothekerkammer Nordrhein zahlte er in das Versorgungswerk der Apothekerkammer Nordrhein ein.

Als das Bundessozialgericht (BSG) Ende 2012 in mehreren Fällen Heilberuflern in der Industrie die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung versagte, stellte der Apotheker im Mai 2013 einen neuen Antrag für seine aktuelle Tätigkeit. Er legte ein Schreiben der Kammer vor, in dem diese die konkreten Aufgaben und Verantwortlichkeiten als pharmazeutische Tätigkeit und berufsspezifische Beschäftigung qualifizierte.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) lehnte ab. Nach der Rechtsprechung praktisch aller Landessozialgerichte sei eine Befreiung nur möglich, wenn „die Tätigkeit objektiv zwingend die Approbation als Apotheker voraussetze und gleichzeitig den typischen, durch die Hochschulausbildung und den entsprechenden Hochschulabschluss geprägten Berufsbild und Tätigkeitsbereich des Apothekers entspreche“. Anders als im Beitragsrecht der Kammern genüge es also nicht, wenn „noch Kenntnisse und Fähigkeiten der pharmazeutischen Ausbildung mit verwendet werden“; vielmehr müsse es sich um eine „approbationspflichtige Tätigkeit“ handeln.

Als auch der Widerspruchsbescheid abgelehnt wurde, klagte der Apotheker. Insbesondere die Argumentation, dass die Position laut Stellenbeschreibung auch mit einem promovierten Chemiker oder Biologen hätte besetzt werden können, sei nicht stichhaltig. Die scheinbar gleiche Tätigkeit sei in der tatsächlichen Ausübung eine andere, je nachdem welcher Fachmann sie ausübe: Der Apotheker sei – im Gegensatz zum Chemiker – der Generalist, welcher die Entwicklung eines Arzneimittels auf seinem gesamten Findungs-, Herstellungs- und Anwendungsweg überblicke.

Aus seinem Aufgabenzuschnitt ergebe sich ein dezidiertes Arbeitsfeld für Apotheker, welches auch nur diese ausüben könnten. Der Umstand, dass in der Stellenbeschreibung alternativ eine Promotion in Chemie, Biologie oder Pharmazie gefordert worden sei, ändere nichts daran, dass er selbst als Apotheker tätig gewesen sei; alleine darauf komme es an. Nirgends sei vorgeschrieben, dass die Approbation als unabdingbare Voraussetzung für die Stellenbesetzung verlangt werden müsse.

Dem schloss sich das SG an. Für die Befreiung komme es nicht auf den Inhalt der Stellenausschreibung an, sondern auf die tatsächlich ausgeübte Beschäftigung. Außerdem habe der Arbeitgeber überzeugend dargelegt, warum die Tätigkeit eines Apothekers in der Wirkstoffentwicklung eine andere Qualität habe, als wenn sie von einem Chemiker oder Biologen ausgeübt worden wäre. Gerade die klinische Wirkung könnten Apotheker deutlich besser und sicherer beurteilen als Biologen und Chemiker. „Genau dies kennzeichnet das Berufsbild des Apothekers, wie es in § 1 BApO beschrieben ist.“

Die Richter verweisen nicht nur auf das jüngste Urteil des SG München zu dem Thema, sondern auch auf die geplante Novellierung der BApO. Gerade unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung des Bundesrates sei die Tätigkeit als pharmazeutisch zu qualifizieren: Die Länderkammer hatte drei über den Regierungsentwurf hinaus gehende Punkte vorgeschlagen, darunter Tätigkeiten in der pharmazeutischen Industrie.

Doch auch nach EU-Richtlinie und dem sich strikt an dieser orientierenden Regierungsentwurf sieht die Sache laut SG nicht anders aus. Selbst wenn der Bundesrat demnächst dem Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zustimmt, ergäben sich demnach für Industrieapotheker keine Änderungen. Und auch nach der aktuellen Version der BApO habe der Kläger seine pharmazeutische Tätigkeit „als Apotheker“ ausgeübt.

Das Urteil enthält aber noch einen weiteren interessanten Aspekt. Die DRV hatte nämlich argumentiert, dass die Befreiung allenfalls ab dem Zeitpunkt der Antragstellung erteilt werden könnte – und nicht rückwirkend zum Beginn der Tätigkeit. Doch auch dem folgten die Richter nicht: Zwar müssten sich Arbeitnehmer laut Sozialgesetzbuch (SGB VI) grundsätzlich drei Monate nach Antritt um eine entsprechende Freistellung kümmern. Doch im konkreten Fall habe die DRV mit ihrem Bescheid das Vertrauen darauf erweckt, dass die darin ausgesprochene Befreiung auch für spätere berufsspezifische Beschäftigungen gelten würde.

Wörtlich hieß es: „Die Befreiung gilt für die oben genannte und weitere berufsspezifische Beschäftigungen/Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht und solange Versorgungsabgaben bzw. Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären.“

Da die Regelung noch vor der Rechtsbehelfsbelehrung aufgeführt und damit Teil des Verfügungssatzes des Bescheides gewesen sei, hätte der Apotheker darauf vertrauen können, so das SG. Jedenfalls dürften ihm aufgrund des falschen oder zumindest missverständlichen Verfügungssatzes keine Nachteile entstehen. Insofern unterscheide sich der Fall von einem früheren Verfahren, in dem das BSG anders entschieden habe. Im Übrigen sei der Apotheker als Pharmaziepraktikant befreit worden – der vor drittem Staatsexamen und Approbation noch gar kein Apotheker sei.

Vor zwei Jahren verständigte sich die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV) mit der DRV darauf, dass Apotheker, die außerhalb der Apotheke arbeiten, bei jedem Jobwechsel ihrem Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht eine Stellen- und Funktionsbeschreibung beifügen. Seitdem gibt es seltener Streit als zuvor; konsistent ist das Vorgehen der DRV aber nicht.

Noch immer landen Fälle vor Gericht. Aktuell sind knapp 20 bei verschiedenen Gerichten anhängige Verfahren bekannt. Vom Clinical Study Manager über den Labor- und Werksleiter bis hin zum QMS-Beauftragten kämpfen Pharmazeuten um die Mitgliedschaft im Versorgungswerk. Zuletzt war das SG München zu dem Ergebnis gekommen, dass fast alle mit Pharmazeuten besetzten Positionen in der Industrie auch dem Berufsbild eines Apothekers entsprechen. Bis zum Bundessozialgericht (BSG) hat es allerdings noch kein Apotheker geschafft.

Welche Folgen die Überarbeitung der BApO für die Frage der Befreiung haben wird, ist noch nicht absehbar. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat in Anlehnung an eine entsprechende EU-Richtlinie eine Definition vorgelegt, bei der exemplarisch zehn Punkte aufgeführt werden.

Während die ABDA wegen der neuen BApO eine Ausgrenzung weiterer Kollegen befürchtet, sieht man bei der DRV die Änderung gelassen: „Nach unserer ersten Einschätzung wird die Anpassung der BApO keine Auswirkungen auf die Befreiungsfähigkeit von Apothekern von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung haben“, teilte ein DRV-Sprecher im Oktober auf Nachfrage mit. „Soweit die Felder, in denen Apotheker pharmazeutisch tätig werden dürfen, künftig differenzierter benannt werden als bislang, liegt dem inhaltlich keine Änderung des Verständnisses einer 'apothekerlichen' Tätigkeit zugrunde.“ Wie die bisherige Regelung sei auch der künftige Katalog nicht abschließend, was sich an der Beibehaltung der Formulierung „insbesondere“ zeige.