Gesundheitsfonds

Kassen und Ärzte tricksen weiter bei Diagnosen APOTHEKE ADHOC/dpa, 08.12.2017 18:27 Uhr

Berlin - 

Auch Jahre nach Bekanntwerden solcher Praktiken sind Einflussnahmen von Krankenkassen auf Arztdiagnosen immer noch üblich. Ein Großteil der gesetzlichen Kassen setzt nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ trotz eines Verbots weiter fragwürdige Softwareprogramme für lukrative Arztdiagnosen ein. Laut Techniker Krankenkasse gaben 82 Prozent von 1000 befragten Medizinern an, schon von Kassen bei ihren Diagnosen beeinflusst worden zu sein.

Dabei geht es um die Diagnose schwerer oder chronischer Krankheiten, für die die Kassen viel Geld aus dem Gesundheitsfonds erhalten. Aus finanziellen Interessen lassen die Kassen Patienten von Ärzten „kränker“ machen, als sie tatsächlich sind, lautet der Vorwurf. Im September hatte das Bundesversicherungsamt die Kassen um Auskunft zu entsprechenden Programmen gebeten, die in Arztpraxen angewendet werden. Laut „Spiegel“ räumten zwei Drittel der Kassen ein, auch möglicherweise nicht legale Programme einzusetzen. Diese würden nun angepasst.

Seit April gilt ein Verbot der Beratung zur Kodierberatung, also zur Zuordnung von Krankheiten zu vorgegebenen möglichen Diagnosen. Anlass waren umstrittene Verträge, in denen gesetzliche Kassen mit Ärztevereinigungen vereinbaren, die Diagnose schwerer oder chronischer Krankheiten besonders zu honorieren. Von 55 dieser Verträge bundesweiter Kassen wurden laut „Spiegel“ nur 35 beendet.

Anfang November berichtete bereits die Techniker Krankenkasse unter Verweis auf eine von ihr in Auftrag gegebene Erhebung unter Medizinern, dass Kassen ungeachtet der Gesetzesverschärfung weiter Einfluss auf die Kodierung der Diagnosen ihrer Versicherten nähmen. Bereits 2009, kurz nach dem Start des Gesundheitsfonds, der Geldsammel- und -verteilstelle der Kassen, hatte der damalige Chef des Bundesversicherungsamts, Josef Hecken, dpa gesagt, dass einzelne Kassen mit Arztgruppen bestimmte Diagnosestellungen vereinbaren.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt schon seit Monaten gegen zwei Krankenkassen wegen des Verdachts des Betrugs. Neben dem seit November bekannten Verfahren gegen die AOK Rheinland/Hamburg laufen auch Ermittlungen gegen den Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, und andere Verantwortliche der Kasse.

Ausgangspunkt war ein Interview von Baas, in dem er im Oktober 2016 Krankenkassen Manipulationen bei Abrechnungen vorgeworfen hatte. Kranke seien auf dem Papier systematisch kränker gemacht worden, als sie tatsächlich waren, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu bekommen. Baas hatte damals eingeräumt: „Es ist ein Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer es schafft, die Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren.“ Dann gebe es mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich. Nach dem Interview waren bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeigen eingegangen, die die Ermittlungen auslösten.

Die TK erklärte, dass sie selbst auf die Einflussnahme von Kassen auf die Codierung der Diagnosen durch Ärzte hingewiesen habe. „Wir sind froh, dass dies nun überprüft wird“, hieß es in einer Stellungnahme. „Gleichzeitig sind wir aber sicher, dass bei der Techniker Krankenkasse immer alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden.“ Auch die AOK hatte bereits im November – nach Bekanntwerden der Ermittlungen – mitgeteilt, sie weise „jeglichen strafrechtlichen Vorwurf entschieden zurück“. Büros der AOK Rheinland/Hamburg wurden Ende September durchsucht. Gegen die Kasse hätten schon relativ konkrete Erkenntnisse vorgelegen, weil bereits das Bundesversicherungsamt ein Verfahren eingeleitet hatte, so die Staatsanwaltschaft. Wie hoch der Schaden sein könnte, war noch unklar.