Zukunft gesichert oder gefährdet?

Abda feiert VOASG – Michels widerspricht APOTHEKE ADHOC, 30.10.2020 11:55 Uhr

Rettungsanker oder Dammbruch? Abda und AVNR haben unterschiedliche Meinungen zum VOASG. Foto: Jean-Marie Tronquet/AVWL
Berlin - 

„Deutschlands Apotheker begrüßen das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG), das gestern vom Bundestag beschlossen wurde und eine zukunftsfähige Arzneimittelversorgung ermöglichen soll“, schreibt die Abda – aber sind es wirklich alle Apotheker? Zumindest beim Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) klingt das ganz anders: Das VOASG sichere die flächendeckende Arzneimittelversorgung nämlich keineswegs, heißt es da. Vielmehr warnt Verbandschef Dr. Klaus Michels vor den Folgewirkungen des Gesetzes.

Der Bundestag hat am Donnerstag das VOASG verabschiedet – vier Jahre politischer Kampf der Apothekerschaft finden damit einen vorläufigen Abschluss. Ob erfolgreich oder nicht, darüber gehen die Meinungen in der Standespolitik auseinander: Während aus Berlin warme Worte kommen, warnt Münster vor einem regulatorischen Dammbruch.

„Vier Jahre haben wir für dieses Gesetz gekämpft. Endlich ist die Hängepartie beendet“, sagt Abda-Präsident Friedemann Schmidt am Tag nach der Abstimmung. „Mit dem Apothekenstärkungsgesetz bekommen die Apotheken einen klareren ordnungspolitischen Rahmen und können wieder mit mehr Zuversicht nach vorne schauen. Angesichts rückläufiger Apothekenzahlen brauchen gerade junge Apotheker eine Perspektive, wie sie ihre Patienten in zehn oder zwanzig Jahren versorgen können. Dazu trägt das Gesetz bei.“

Ein solcher Beitrag sei die Einführung pharmazeutischer Dienstleistungen wie der Medikationsanalyse: Damit könnten die Apotheker „Versorgungsdefizite beheben, die Arzneimitteltherapie der Patienten sicherer machen und mit Blick auf vermeidbare Klinikeinweisungen wahrscheinlich sogar Kosten im System einsparen“, lobt Schmidt – auch wenn die Verhandlungen mit den Krankenkassen voraussichtlich schwierig würden. Finanziell schwierig wird es für Apotheken auch mit dem Botendienst-Honorar. Mit 2,50 Euro pro Fahrt bleibe der Botendienst auch in Zukunft wirtschaftlich defizitär, so Schmidt. Trotzdem begrüße er die dauerhafte Bezuschussung „verhalten positiv“: „Es ist gut, dass diese Versorgungsleistung endlich vergütet wird.“

Ein Wermutstropfen sei allerdings, dass die Preisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten künftig zwar auch im Versandhandel gilt, jedoch nur für die Gesetzliche Krankenversicherung gilt, nicht jedoch bei Privatpatienten. „Trotzdem hilft sie dabei, eine flächendeckende Arzneimittelversorgung für die Patienten zu sichern“, so Schmidt.

Michels hingegen sieht das weit weniger optimistisch. „Wir halten diese Ungleichbehandlung der Patientengruppen nicht nur für verfassungswidrig, sondern das VOASG am Ende auch für gänzlich kontraproduktiv, um die Preisbindung im Rahmen eines erneuten Verfahrens vor dem EuGH rechtfertigen zu können“, kritisiert der Verbandschef. „Unseres Erachtens droht daher absehbar der gänzliche Wegfall der Preisbindung.“ Er sieht die uneinheitliche Preisbindung als möglichen ersten Schritt zur weiteren Aufweichung der Spielregeln. Der „Verlust weiterer fundamentaler Prinzipien“ für die Vor-Ort-Apotheke wie beispielsweise das Fremd- und Mehrbesitzverbot sei dann nur eine Frage der Zeit, was zu gravierenden Folgen für die Arzneimittelversorgung und darüber hinaus für das gesamte bewährte Gesundheitssystem führen werde. Namhafte Rechtsexperten würden diese Sorge bestätigen.

Statt das Gesetz zu loben, kündigt Michels deshalb verstärktes Engagement an: „Wir werden die Entwicklungen auch und gerade mit Blick auf die Einführung des E-Rezeptes genau beobachten und die Politik mit den eintretenden Folgen, insbesondere einem sich immer weiter zulasten der Vor-Ort-Apotheken verzerrenden Wettbewerb mit dem ausländischen Versandhandel konfrontieren.“ Parallel werde der Verband an Konzepten arbeiten, um die Apotheken vor Ort zukunftssicher aufzustellen und so eine gute Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln und pharmazeutischer Beratung zu garantieren. „Dass mit dem Gesetz die Möglichkeit geschaffen wird, künftig honorierte pharmazeutische Dienstleistungen anzubieten, ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung“, so Michels. „Die Auswirkungen des Verlusts der Preisbindung werden dadurch allerdings nicht annäherungsweise kompensiert werden.“

Der Bundestag hatte das Gesetz am Donnerstag mit den Stimmen von Union und SPD beschlossen. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sorgt die Bundesregierung damit „für einen fairen Wettbewerb zwischen Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken“. Das Gesetz soll noch in diesem Jahr in Kraft treten. Der Bundesrat muss noch zustimmen.