Tablettenpresse in der Offizin

„Wir werden die gesamte Apothekenbranche umkrempeln“ Tobias Lau, 13.08.2019 09:07 Uhr

Berlin - 

Privmed hat große Pläne, sehr große sogar: „Wir werden die gesamte Apothekenbranche umkrempeln“, kündigt Geschäftsführer Ingo Krause an. Sein Geschäftsmodell: digitale Tablettenpressen für personalisierte Medikation. Apotheken sollen in der Lage sein, die Wirkstoffstärke individuell auf den Patienten zuzuschneiden. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) konnte Krause damit offenbar überzeugen, es fördert das norddeutsche Start-up mit einem sogenannten Innovationsgutschein.

Die Idee hinter Privmed ist denkbar einfach: Patienten sollen bei ihren Tabletten die Wirkstoffstärke erhalten, die sie individuell benötigen. „Wir wollen den gesamten Pharmamarkt aufräumen, denn jeder Patient hat das Recht auf eine personalisierte Medikation“, sagt Krause selbstbewusst. Die Problemanalyse ist ebenfalls einfach, aber einleuchtend: Bisher seien vor allem Chroniker permanent überdosiert. Die meisten Arzneimittel hätten nur zwei Dosisstärken. Der Arzt verschreibe dann die höhere Dosis, um sicherzugehen, dass die Wirkstoffkonzentration hoch genug sei. Als Resultat erhielten viele Patienten mehr Wirkstoff als sie benötigten und Arzneimittel würden massenhaft zu vermeidbarem und problematischem Abfall.

Da will Privmed Abhilfe schaffen. Das Unternehmen ist eine Ausgründung von KG-Pharma, einem Hersteller von Tablettenpressen und Peripheriegeräten für den Bereich Forschung und Entwicklung. Dessen Gründer, Alleineigentümer und Geschäftsführer ist Krause. Zuvor hatte der studierte Chemieingenieur für mehrere große Hersteller von Produktionsanlagen gearbeitet. „In der Zeit erhielt ich mehrere Anfragen für Produktionsanlagen zu Forschungszwecken. Da dachte ich mir, es gibt da wohl Bedarf.“ Also gründete er 2006 KG-Pharma und wurde zum Spezialisten in seiner Nische.

Seine neue Geschäftsidee ist ihm nach eigenen Angaben durch seinen Sohn Timo gekommen: Der leidet an ADHS und einer autistischen Grunderkrankung, muss deshalb Psychopharmaka einnehmen. „Wir hatten immer Probleme mit der Dosierung“, erzählt Krause. So habe die Dosierung oft wöchentlich angepasst werden müssen, mit den wenigen unterschiedlichen Wirkstoffstärken habe man dem aber nie gerecht werden können.

Krauses Vision ist deshalb, dass Ärzte konkret auf den Patienten angepasste Dosen verschreiben und dabei auch deren individuelles Feedback auf die bisherige Medikation einfließen lassen. Der Patient geht dann mit dem Rezept in die Apotheke, die dann im Handumdrehen Tabletten in genau der richtigen Wirkstoffstärke herstellt. Dazu haben Krause und seine Mitarbeiter eine ultrakompakte Tablettenpresse mit digitalem Interface entwickelt, die ein- und zweischichtige Tabletten herstellen kann. Dort gibt der Apotheker Dosierung und Tablettenzahl ein, setzt oben einen Wirkstoffcontainer auf und stellt unten eine Tablettenflasche in die Ausgabe. Fertig.

Doch so einfach das Konzept klingt, so viele Fallstricke birgt es, beispielsweise bei Haftungsfragen und möglichen Anpassungen, die im Arzneimittelrecht und der Apothekenbetriebsordnung nötig werden könnten. Solche bürokratisch-technischen Bedenken schiebt Krause beiseite. „Möglicherweise müssen Gesetze im Detail noch angepasst werden“, sagt er. Prinzipiell sehe er jedoch keine großen Hindernisse. Um die Umsetzung in den Apotheken zu pushen, habe er bereits versucht, sich an die Apothekerschaft zu wenden – mit wenig Erfolg: „Ich habe vergangenes Jahr versucht, Kontakt mit dem Deutschen Apothekerverband aufzunehmen, aber das war schwierig“, erzählt er. „Die Branche ist erzkonservativ – aber der Handlungsdruck steigt.“

Ebenso selbstbewusst blickt er auf mögliche wirtschaftliche Widerstände in den beteiligten Branchen. „Im gesamten Apothekengeschäft hat sich seit Jahrzehnten nichts getan, alle suchen ein neues Geschäftsmodell – das hier ist es!“, sagt er. Auch mit Blick auf die Arzneimittelhersteller zeigt er sich zutiefst überzeugt von der disruptiven Kraft seiner Erfindung. „Auch die Pharmahersteller werden ihr gesamtes Geschäftsmodell ändern. Sie werden sich auf die Entwicklung ihrer Produkte konzentrieren und die Produktion dezentralisieren“, prophezeit er.

Statt nur Arzneimittel mit vorherbestimmten Wirkstoffstärken zu produzieren und vertreiben, würden dann Behältnisse mit den Wirkstoffen an die Apotheken oder Großhändler versendet – in gesicherten Behältnissen samt Tracking-Modul. Das könne sich für Hersteller durchaus lohnen, beispielsweise durch Einsparungen in der Produktion. Um Privmed zu bewerben, will Krause auf das Netzwerk zurückgreifen, das er durch KG-Pharma bereits aufgebaut hat. „Fast alle großen Pharmafirmen sind bereits unsere Kunden“, erklärt er. „Die meisten warten jetzt erst mal auf den Prototypen, um dann zu schauen, wie sie ihn einbinden können.“

Seine Vorstellung ist, dass die in den Apotheken abgegebenen Arzneimittel dann „übergeordnet regional“ produziert werden: Mehrere Apotheken oder eine Apothekenkooperation haben dann Herstellbetriebe für die örtlichen Apotheken, in denen die Bestellungen produziert werden. Größere Apotheken könnten sich demnach auch eine eigene Privmed-Maschine leisten. Die werde voraussichtlich 30.000 bis 35.000 Euro kosten. „Das ist eine lachhafte Summe“, sagt Krause. „Schon die kleinste Rotationsmaschine kostet 150.000 Euro.“ Außerdem könnten die Apotheken demnach nur profitieren: „Sie haben dadurch einen völlig neuen Zugang zum Patienten.“ Das gelte auch mit Blick auf das Marketing. So sei es problemlos möglich, beispielsweise das Logo der jeweiligen Apotheke auf die Tabletten zu drucken. Welche Kostensteigerung Patienten durch die individuelle Herstellung zu erwarten hätten, sei hingegen noch nicht absehbar.

Anfang des Jahres schaffte Privmed es bereits auf die Shortlist für die VISION.A Awards. Auch das BMWi sieht Potential in Krauses Firma. Bereits vergangenes Jahr erhielt Privmed den Zuschlag für einen sogenannten Innovationsgutschein. „Eigentlich haben wir bisher immer alles aus privaten Mitteln finanziert“, erklärt er. Er allein habe in den letzten fünf Jahren 250.000 Euro eigenes Geld in die Entwicklung seines Produkts gesteckt. Von einer Bewerbung beim BMWi habe er deshalb anfangs nicht viel erwartet. „Doch dann kam sogar eine Staatssekretärin aus dem Ministerium, um sich unser Konzept anzuschauen.“ Es schien ihr auch überzeugend: Am Ende steht die Summe von 50.000 Euro, für die sich Privmed externe Beratungsleistungen einkaufen kann.

So gewappnet blickt Krause nun umso optimistischer in die Zukunft. Zwei bis drei Monate wird es noch dauern, dann soll der Prototyp nach rund fünf Jahren fertig sein und Krause kann Klinken putzen gehen. Auch das Patent ist schon eingereicht. Dass er direkt auf dem Rx-Markt durchstarten kann, glaubt er allerdings nicht. „Das wird erst mal ein Quereinstieg“, sagt Krause – beispielsweise mit Nahrungsergänzungsmitteln. Da hat er nämlich schon einen Kunden. Den Namen dürfe er noch nicht verraten, aber es handele sich um „einen sehr, sehr großen Schweizer Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln“, der bereits 40 bis 50 Geräte geordert habe.

Dabei denkt er nicht nur an den deutschen Markt, sondern will weiter hinaus. Er werde auch in Verhandlungen mit der US-Arzneimittelbehörde FDA gehen, kündigt Krause an. „Denn Privmed ist genau das Werkzeug, um den unkontrollierten Verschreibungszwang zu brechen, der in den USA zur Opioid-Krise geführt hat“, sagt er. „Und wir wissen alle, dass innovative Ideen in den USA schneller umgesetzt werden.“

Das kommende Jahr dürfte also entscheidend für Privmed werden. Für Krause ist das kein Grund für Selbstzweifel. „2020 starten wir komplett durch“, sagt er. „Bisher ist die Resonanz gigantisch. Ich bin mir sicher, dass das schnell eine große Dynamik entwickelt.“