Viel beworben, wenig erforscht

Warentest: Melatonin nicht auf eigene Faust einnehmen Cynthia Möthrath, 22.09.2022 09:46 Uhr

Dürftige Studienlage: Stiftung Warentest bewertet Melatonin-Produkte zum Einschlafen als „wenig geeignet“. Foto: Tero Vesalainen/Shutterstock.com
Berlin - 

Schlafstörungen sind zu einer Volkskrankheit geworden. Viele Betroffene greifen irgendwann zu freiverkäuflichen Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln, die einen besseren Schlaf versprechen. Stiftung Warentest hat verschiedene Wirkstoffe unter die Lupe genommen. Vom derzeit gehypten Melatonin rät das Institut jedoch ab.

Ein- und Durchschlafstörungen können den Alltag massiv belasten. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Betroffenen deutlich gestiegen. Der Markt für verschiedenste Helferlein zum Schlafen boomt daher regelrecht. Vor allem das Schlafhormon Melatonin erfreut sich immer größerer Beliebtheit – auch weil es als besonders natürlich angepriesen wird.

Denn das Neurohormon wird im Körper aus Serotonin produziert – vorwiegend in der Nacht in der Zirbeldrüse im Epithalamus. Bei Tageslicht nimmt die Ausschüttung ab. Es ist damit zuständig für die Steuerung des Tag-Nacht-Rhythmus und kann dazu beitragen die Einschlafzeit zu verkürzen und das typische „Jetlag-Gefühl“ zu verringern. Da es innerhalb von sieben Stunden vollständig abgebaut wird, sind am nächsten Morgen keine Müdigkeitseffekte zu erwarten.

Viel Werbung, wenig Wirkung?

Die Werbung für melatoninhaltige Kapseln, Sprays und Weichgummis ist in Fernsehen, Internet und Zeitschriften nicht zu übersehen. Allerdings handelt es sich bei den Produkten um Nahrungsergänzungsmittel. „Behördlich geprüft und zugelassen werden sie nicht“, erklärt Warentest. Hersteller müssten daher „weder die Wirksamkeit der Mittel nachweisen noch mögliche Wechsel- oder Nebenwirkungen angeben“. 2018 bewertete Warentest alle Melatonin-Produkte negativ und riet von einer Selbstbehandlung mit selbigen ab.

Auch im aktuellen Test wird Melatonin als „wenig geeignet“ bewertet. „Denn die Studienlage ist insgesamt dürftig.“ Es gebe Hinweise dafür, dass melatoninhaltige Mittel nur in geringem Maß wirken und die Einschlafzeit nur wenig verkürzen. „Nicht untersucht ist, wie sich eine längere Einnahme auswirkt. Seltene, möglicherweise schwerwiegende Nebenwirkungen können nicht ausgeschlossen werden.“ Die Gefahr einer Abhängigkeit bestehe nach derzeitigem Wissen jedoch nicht.

Bessere Alternativen: Antihistaminika & Phytos

Neben Melatonin wurden auch Antihistaminika und pflanzliche Alternativen mit Baldrian im Test bewertet. Warentest weist auf die sedierende Wirkung von Diphenhydramin und Doxylamin hin – allerdings sollten beide Substanzen nur maximal zwei Wochen am Stück eingenommen werden. Ansonsten bestehe die Gefahr eines Gewöhnungseffektes. Zudem verweist Warentest auf mögliche Risiken durch die Einnahme bei Menschen über 65 Jahren. „Sie sollten sie nicht ohne vorherige Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt einnehmen.“

Diese Arzneimittel wurden von Stiftung Warentest bewertet:

Antihistaminika

Bewertung durch Warentest: „geeignet“

  • Diphenhydramin:
    • Betadorm D (Recordati)
    • Halbmond (Cheplapharm)
    • Vivinox Sleep (Dr. Gerhard Mann)
  • Doxylamin:
    • Gittalun (Hermes)
    • Hoggar Night (Stada)
    • Schlafsterne (Retorta)

„Die schlaffördernde Wirkung ist gut bekannt. Die Mittel sollten maximal zwei Wochen zum Einsatz kommen. Wegen erhöhter Risiken sollten ältere Menschen auf die Mittel möglichst verzichten.“

Baldrianpräparate

Bewertung durch Warentest: „mit Einschränkung geeignet“

Warentest weist darauf hin, dass für viele Zubereitungsformen und Herstellungsverfahren mit Baldrian kaum oder keine klinischen Studien vorliegen. Es kämen nur solche Präparate in Frage, die bestimmte Baldrianwurzel-Trockenextrakte in ausreichend hoher Dosierung (300 bis 600 mg) enthalten. „Dass sie wirken, legen wissenschaftliche Studien nahe. Abschließend belegt ist das aber nicht.“ Klarer Vorteil: „Sie verursachen kaum Nebenwirkungen und machen nicht abhängig.“ Allerdings verweist Warentest darauf, dass die Mittel einige Tage oder Wochen eingenommen werden müssen, um tatsächlich schlaffördernd zu wirken.

  • Abtei Baldrian Forte (Omega Pharma)
  • Baldriparan Stark für die Nacht (PharmaSGP)
  • Euvegal Balance (Dr. Willmar Schwabe)
  • Klosterfrau Baldrian Forte Nervenruh (MCM Klosterfrau)
  • Sedonium (MCM Klosterfrau)

„Es liegen Studien vor, die eine schlaffördernde Wirkung nahelegen. Allerdings reichen sie nicht aus, um die therapeutische Wirksamkeit abschließend nachzuweisen.“