Porträt

Hoechst: Von der Weltapotheke zum Industriepark dpa/APOTHEKE ADHOC, 24.05.2013 09:35 Uhr

Berlin - 

Vor 150 Jahren wurde im Frankfurter Industriepark Höchst das Stammwerk des späteren Hoechst-Konzerns gegründet – heute sind rund 90 Firmen in dem Park angesiedelt. Vom zwischenzeitlich größten Pharmakonzern der Welt sind aber nach Zerschlagung und Fusionen nur noch die Produktionsstätten übrig.

Modernisierung, Innovation und teils erzwungene Gesellschaftswechsel prägen die Unternehmensgeschichte seit der Gründung der „Theerfabrik Meister Lucius&Co“ 1863 im nassauischen Hoechst am Main. Ausgehend von Textilfarben entwickelte sich ein vielfältiges Portfolio: Medikamente, Dünger, Farbstoffe, Pflanzenschutzmittel, Folien, Fasern, Kunststoffe und Chemikalien aller Art sind über die Jahre in Höchst hergestellt worden.

Als besonders einträglich erwies sich die 1883 gestartete Produktion von Arzneimitteln. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Deutschland als „Apotheke der Welt“. Herausragende Chemiker wie Robert Koch, Emil von Behring und Paul Ehrlich arbeiteten mit den Höchstern zusammen, die unter anderem das erste synthetische Hormon und das erste Mittel gegen die Syphilis marktreif machten.

Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die deutschen Chemie-Unternehmen Absatzmärkte verloren und neue Konkurrenz insbesondere aus den USA bekommen. Die Höchster schlossen sich 1925 unter Sanierungsdruck der „Interessengemeinschaft Farben AG“ an, die sich später von den Nationalsozialisten immer enger in die Vorbereitungen für den Zweiten Weltkrieg einbinden ließ. Die Ausbeutung und Vernichtung von Zwangsarbeitern ist untrennbar mit der IG Farben und dem Höchster Werk verbunden, wo nach offizieller Firmengeschichte rund 8500 sogenannte „Fremdarbeiter“ eingesetzt waren.

Statt einer Vielzahl von Kleinunternehmen – wie ursprünglich von den Amerikanern geplant – wurden 1951/1952 drei große IG Farben-Nachfolger, nämlich Bayer, BASF und Hoechst, in die Selbstständigkeit entlassen. Neben dem unter US-Lizenz hergestellten Penicillin und weiteren Blockbuster-Medikamenten entwickelten die Höchster erfolgreiche eigene Produkte, wie die Polyester-Faser Trevira oder die Kunstseide Perlon.

Der einstmals kleinste IG-Farben-Nachfolger Hoechst entwickelte sich zum Chemie-Riesen und zwischenzeitlich größten Pharmahersteller der Welt mit 170.000 Mitarbeitern in verschiedenen Sparten. Nach seinem Amtsantritt als Hoechst-Chef 1994 begann der Volkswirt Jürgen Dormann damit, den längst nicht mehr so erfolgreichen Gemischtwarenladen in seine Einzelteile zu zerlegen: Die Behring-Impfstoffe gingen an Novartis, die Lacke an Dupont, PVC an Advent, die Wacker-Chemie zurück an die Gründerfamilie und die Schwarzkopf-Haarpflege an Henkel. Das gemeinsam mit Klosterfrau gegründete Gemeinschaftsunternehmen Cassella-med geht 1998 komplett an den Kölner OTC-Hersteller, der damit endgültig den Sprung in die Apotheke schafft.

Die Beerdigung der Hoechst AG fand im Juli 1999 bei der letzten Hauptversammlung statt. Gegen den Widerstand von Kleinaktionären drückten die großen Anteilseigner die Fusion mit Rhone-Poulenc durch: Die Gemeinschaftsfirma hieß künftig Aventis, der Hauptsitz wanderte nach Straßburg. Fünf Jahre später übernahm die wesentlich kleinere Sanofi die Führung bei dem Pharmakonzern.

In Höchst organisiert seit 1998 die Dormann-Gründung Infraserv den Betrieb des 460 Hektar großen Industrieparks, der noch rund 50 Hektar freie Fläche für Neuansiedlungen hat. Das Unternehmen liefert Strom, Wärme und Dampf, kümmert sich um die Entsorgung und die Sicherheit. Heute sind rund 90 Firmen in dem Industriepark ansässig, darunter Sanofi, Sandoz und Bayer CropScience.