Arzneimittelsicherheit

Jagd auf die Pillenfälscher Alexander Müller, 12.06.2015 14:17 Uhr

Berlin - 

Gefälschte Arzneimittel sind für Versandapotheken kein einfaches Thema. Zwar sind die legalen Versender hierzulande so sicher wie ihre Kollegen vor Ort, dennoch gibt es im Internet einen gewaltigen Schwarzmarkt. Und die Unterscheidung ist für Verbraucher nicht immer einfach. Ein EU-weit einheitliches Logo soll die Sicherheit im Netz erhöhen, ab dem 26. Oktober wird die Verwendung verpflichtend. Später sollen die Arzneimittelpackungen fälschungssicher gemacht werden. Bis dahin jagen Hersteller wie Bayer die Fälscher auf eigene Faust.

Nach Schätzungen der US-Arzneimittelbehörde FDA sind 10 Prozent aller Medikamente gefälscht. Selbst in hoch entwickelten Ländern seien es demnach zwischen 1 und 5 Prozent, berichtet der Arzneimittelrechtsexperte Dr. Elmar Mand beim Jahreskongress des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA).

Auf EU-Ebene werden derzeit die Sicherheitsmerkmale für Arzneimittelpackungen definiert. Künftig wird es einen 2D-Code als individuelles Erkennungsmerkmal geben. Im März 2016 könnten die neuen Vorschriften in Kraft treten, schätzt Mand. Nach einer dreijährigen Übergangsfrist sowie einer Ausnahme für zuvor hergestellte Produkte mit langer Haltbarkeit sollen danach nur noch sicher gekennzeichnete Arzneimittelpackungen im Markt sein.

Bis es soweit ist, gehen große Pharmahersteller wie Bayer das Problem Arzneimittelfälschungen selbstständig an – nach eigenen Angaben vor allem wegen der Patientensicherheit. Aber auch der mögliche Imageschaden spielt eine Rolle: Die eigenen Produkte sollen schließlich nicht in Verruf geraten, besonders oft gefälscht zu werden. Nicht zuletzt erleiden die Konzerne durch Fälschungen natürlich auch wirtschaftliche Schäden.

Kriminalitätsbekämpfung sei zwar nicht die originäre Aufgabe eines Pharmaherstellers, so Marina Bloch, die bei Bayer die Anti-Fälschungseinheit leitet. Dennoch hat der Konzern ein eigenes Konzept entwickelt: Neben der engen Zusammenarbeit mit den Behörden wie Interpol, Europol oder BKA stellt Bayer eigene Ermittlungen an.

Eine Einheit beim Leverkusener Konzern durchsucht permanent das Internet nach illegalen Angeboten, unternimmt Testkäufe oder holt Wirtschaftsauskünfte zu verdächtigen Unternehmen ein. Zum Teil gibt es Bloch zufolge sogar „operative Untersuchungen vor Ort“ – natürlich im Rahmen der geltenden Gesetze und in Abstimmung mit den Behörden. Gerade bei grenzüberschreitenden Fällen habe ein international tätiger Konzern hier sogar Vorteile gegenüber staatlichen Ermittlern, die immer erst Amtshilfeersuchen stellen müssten.

Alle Fälle werden standardisiert dokumentiert und in mögliche Verfahren gegen die Fälscher eingebracht. Bayer stellt Strafanzeigen und tritt teilweise sogar als Nebenkläger vor Gericht auf. So geschehen zuletzt in einem Fall, bei dem ein Levitra-Fälscher zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Mehr als von möglichen Haftstrafen ließen sich Kriminelle allerdings von zivilrechtlichen Klagen abschrecken – wenn es um Schadensersatz geht.

Parallel versucht der Konzern, die eigenen Produkte mit unterschiedlichen Sicherheitsmerkmalen fälschungssicher zu machen. Einige davon sind offen und werden zur Wiedererkennung an die Patienten kommuniziert, andere sind versteckt.

Maximale Sicherheit sollen später die 2D-Codes auf EU-Ebene bringen. Betroffen sind nach aktuellen Plänen alle Rx-Arzneimittel, wobei Ausnahmen möglich sind (White List). Bei OTC ist es genau umgekehrt: Sie sind von der Pflicht generell freigestellt, es sei denn, diese wird explizit ausgesprochen (Black List).

Freiverkäufliches Omeprazol könnte nach dem Fälschungsskandal ein Kandidat für die Black Liste sein, schätzt Mand. Für die Apotheken wäre es dem Juristen zufolge besser, wenn alle Packungen gekennzeichnet würden. Schließlich vereinfache der 2D-Code auch die Warenwirtschaft – ein positiver Nebeneffekt der Sicherheitsmerkmale.

Das System funktioniert so: Der Hersteller schaltet die Packung „aktiv“, die Apotheke trägt sie erst bei Abgabe an den Patienten aus dem System aus. Danach darf das Arzneimittel nie mehr zurück in die Lieferkette. Damit sind auch Retouren dieser Produkte unmöglich. Versandapotheken könnten auf diese Weise von ihrem Widerrufsrecht befreit werden, sagte Mand.

Eine Schwachstellen hat der Jurist im Bereich der Krankenhausapotheken ausgemacht. Hier ist ein Abscannen der Packungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Abgabe – also am Krankenbett – kaum möglich. Daher werde es vermutlich eine Ausnahmeregelung geben, dass die Packungen beim Wareneingang „ausgetragen“ werden. Nach zehn Tagen dürfen sie in diesem Fall nicht mehr zurück in die Lieferkette, selbst wenn sie noch nicht beim Endverbraucher waren.

Jörg Geller, Vize beim Reimporteur Kohl, fände Ausnahmen in diesem Sektor nicht gut. Schließlich sei bei dem Fälschungsskandal in Italien Krankenhausware gestohlen worden. „Deswegen sollte Krankenhausapotheken unbedingt eingebunden werden“, so Geller beim BVDVA-Kongress.

Dass sich Fälschungen mit Sicherheitssystemen oder Ermittlungen der Hersteller ganz verhindern lassen, ist kaum vorstellbar. Dafür ist das Geschäft viel zu lukrativ: Aus 1000 Euro investierten Euro ziehen Fälscher nach Schätzungen einen Gewinn von 500.000 Euro. Zum Vergleich: Bei Zigaretten sind es 43.000 Euro, bei Heroin 20.000 Euro. Die Pharmaindustrie sieht sich Bloch zufolge einer organisierten Kriminalität mir mafiösen Strukturen gegenüber. So tauche die PZN einer bestimmten in Asien gefälschten Packung weltweit immer wieder auf – „wie bei einem Franchise-System“, so die Bayer-Juristin.