Schwere Verläufe und Komplikationen

Covid-19: Alzheimer-Gen als Risikofaktor? APOTHEKE ADHOC, 03.06.2020 07:57 Uhr

Risikofaktor für schwere Covid-19-Verläufe: Schuld soll der Genotyp E4 im Gen für das sogenannte „Apolipoprotein E“ sein, welches ebenfalls mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko einhergeht. Foto: obeastsofierce/shutterstock.com
Berlin - 

Menschen, die ein bestimmtes Alzheimer-Gen besitzen, scheinen einer Untersuchung zufolge auch ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe aufzuweisen – auch wenn sie noch nicht an Demenz erkrankt sind. Die Ergebnisse der Analyse wurden im Journal of Gerontology veröffentlicht.

Bei einer Demenzerkrankung werden nach und nach Nervenzellen im Gehirn zerstört, was zu einem Verlust der geistigen Fähigkeiten führt. Bei den meisten Betroffenen tritt die Erkrankung zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr oder danach auf. Im Laufe der Zeit nehmen die kognitiven Fähigkeiten ab. Für Alzheimer-Erkrankte ist es daher besonders schwer, die aktuelle Situation rund um das Coronavirus zu begreifen und entsprechend zu handeln: Regelmäßiges Desinfizieren oder Waschen der Hände sowie das Tragen einer Maske können sowohl den Erkrankten wie auch Angehörige oder Pflegepersonal vor Herausforderungen stellen. Vorsichts- und Hygienemaßnahmen machen für die Erkrankten häufig keinen Sinn und werden entsprechend nicht beachtet oder umgesetzt.

Gen für Alzheimer erhöht auch Covid-Risiko

Forscher aus England wollen nun jedoch einen weiteren Risikofaktor gefunden haben, der mit Alzheimer in Verbindung gebracht wird. Genetische Gründe könnten demnach eine Ursache für schwere Erkrankungsverläufe mit Sars-CoV-2 darstellen. Schuld soll der Genotyp E4 im Gen für das sogenannte „Apolipoprotein E“ sein, welches ebenfalls mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko einhergeht. Nun fanden die Wissenschaftler heraus, dass es auch für den Schweregrad von Covid-19 verantwortlich sein könnte – auch wenn die Betroffenen noch gar nicht an Alzheimer erkrankt sind.

Für ihre Analyse werteten die Forscher Daten der UK Biobank-Studie aus, welche seit 2006 die Gene von mehr als einer halben Million Briten untersucht hat: Von den rund 398.000 Teilnehmern europäischer Herkunft hatten 90.469 den Genotyp E4 im Apolipoprotein E – das entspricht einem Anteil von 28 Prozent.

Das Protein ist unter anderem am Fettstoffwechsel und der Funktion des Immunsystems beteiligt. Außerdem sollen Träger des Genotyps E4 ein bis zu 11-fach erhöhtes Risiko haben an Alzheimer zu erkranken. Von den Teilnehmern aus der Analyse mit Genotyp E4 sind bisher 37 an Covid-19 erkrankt (410 auf 100.000 Personen) – verglichen mit den Personen vom Genotyp E3 (179 auf 100.000 Personen) ist die Prävalenz damit deutlich höher.

Demenzerkrankung nicht als direkte Ursache

Zunächst dachten die Forscher an einen Zusammenhang zwischen Demenz und Covid-19. Keiner der Genotyp E4-Träger war jedoch bisher an Alzheimer erkrankt. Demnach können die schweren Verläufe nicht auf die Gebrechlichkeit und das Krankheitsbild unter Demenzerkrankungen zurückgeführt werden. Ebenso konnte kein Zusammenhang zwischen Komorbiditäten wie Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit (KHK) und Typ-2-Diabetes hergestellt werden – Träger des Genotyps E4 hatten auch ohne diese Risikofaktoren ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe von Covid-19. Ursache muss den Forschern zufolge also der genetische Faktor sein: Wie genau der Genotyp dieses Risiko jedoch erhöht, bleibt unklar. Er beeinflusse nicht nur die Lipoproteinfunktion und greife in die Funktion der Makrophagen ein – das Gen würde zudem in den Typ-2-Alveolarzellen exprimiert, die zu den ersten Angriffszielen von Sars-CoV-2 im Körper gehören, erläuterten die Autoren.

Da Demenz-Patienten grundsätzlich eine Risikogruppe darstellen, hat die „Alzheimer Forschung Initiative“ vor kurzem eine Übersicht zum Thema Alzheimer in Zeiten von Covid-19 veröffentlicht: Sie rät unter anderem, dass die Patienten das Haus nur in Begleitung verlassen sollten. Damit der Alltag weiterhin strukturiert und abwechslungsreich bleibt, sollte jedoch in keinem Fall auf Spaziergänge an der frischen Luft verzichtet werden – sofern dies den Patienten körperlich möglich ist.

Alzheimer-Forschung leidet unter Corona

In Bezug auf Alzheimer wird vielseitig geforscht, denn bis heute gibt es keine kausale Therapie gegen die Erkrankung. Doch in Zeiten der Covid-19-Pandemie leidet auch dieser Forschungsbereich: Denn derzeit sind viele Labore geschlossen. Wenn möglich gehe es jedoch im Homeoffice – beispielsweise mit der Datenauswertung – weiter, erläutert die Initiative. Viele Wissenschaftler aus der Alzheimer-Forschung haben nun umgesattelt und unterstützen im Bereich Corona. Dennoch behalte die Erforschung von Alzheimer ihre Dringlichkeit, erklärt Dr. Hermann Altmeppen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Grundsätzlich bin ich – trotz aller Gefahr durch die aktuelle Pandemie – allerdings auch der Meinung, dass andere Erkrankungen und deren Erforschung deshalb jetzt nicht vernachlässigt werden dürfen. Es ist ein Balanceakt und dürfte es wohl auch noch für eine ganze Weile bleiben.“