Selbstständigkeit

Schwester ist nicht Pseudo-Chefin APOTHEKE ADHOC, 20.07.2017 15:17 Uhr

Berlin - 

Vor drei Jahren schreckte ein Urteil die Apotheker auf: Das Sozialgericht Duisburg (SG) kam im Streit um Sozialversicherungsbeiträge zu dem Ergebnis, dass Approbierte unter bestimmten Umständen auch in einer fremden Apotheke selbstständig tätig sein können. Jetzt hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) dem Spuk ein Ende gesetzt – und dabei deutliche Worte gewählt.

In dem Streit ging es um eine Apothekerin, die seit Ende der 1970er Jahre in der Apotheke ihres Bruders gearbeitet hatte. In der Buchhaltung wurde sie als Angestellte geführt; außerdem wurden Lohnsteuer, Beiträge zum Versorgungswerk und Pflichtbeiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt. Der Verdienst von monatlich zwischen 1000 und 2000 Euro brutto wurde als Betriebsausgabe verbucht.

Als nach zwei Betriebsprüfungen für die Jahre 2002 bis 2006 Sozialversicherungsbeiträge von mehr als 13.000 Euro nachgefordert wurden, stellte sich der Inhaber auf den Standpunkt, dass seine Schwester nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses für ihn tätig gewesen sei. Vielmehr sei sie gleichberechtigt zu ihm und nicht weisungsgebunden gewesen. Dass sie in den Betriebsunterlagen als Angestellte geführt worden sei, sei ein Fehler des damaligen Steuerberaters gewesen.

Tatsächlich war die Apothekerin nicht nur im Handverkauf tätig, sondern auch für Personalangelegenheiten und die Abrechnung zuständig. Sie verhandelte mit Banken und Dienstleistern und führte Besprechungen mit Ärzten durch. Ihre Arbeitszeit konnte sie frei einteilen, sie verfügte über einen Generalschlüssel für die Apotheke. Für die Modernisierung stellte sie außerdem insgesamt mehr als 300.000 Euro als Darlehen zur Verfügung.

Die Deutsche Rentenversicherung ließ sich davon nicht überzeugen: Das Arbeitsverhältnis möge im Innenbereich durch familienhafte Rücksichtnahme gekennzeichnet gewesen sein. Ausgeschlossen sei das Weisungsrecht damit aber nicht, allenfalls „verfeinert“. Das Darlehen sei zwar ein finanzielles, aber eben kein unternehmerisches Risiko. Daher sei die Apothekerin als Angestellte zu betrachten und damit verpflichtet, in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung einzuzahlen.

Der Apotheker klagte und bekam vor dem SG zunächst recht. Schon die Freiheiten hinsichtlich der Arbeitszeit gingen über verwandtschaftsbedingte Rücksichtnahme deutlich hinaus und deuteten mangels „Eingliederung in die betrieblichen Abläufe“ auf eine selbstständige Tätigkeit hin. Auch sei kein Weisungsrecht erkennbar. „Dies spricht für ein gleichrangiges und gleichberechtigtes Zusammenarbeiten in der Führung des Apothekenbetriebes“, so die Richter. Die Gründung einer gemeinsamen Personengesellschaft sei zwar möglich, aber nicht Voraussetzung für eine selbständige Tätigkeit in einem Apothekenbetrieb, so die Richter.

Das LSG fegte diese Argumente vom Tisch. Zwar gab es keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Dauer, Regelmäßigkeit, Umfang und Betriebsnotwendigkeit der Tätigkeit sowie die Gleichmäßigkeit der gezahlten Entlohnung erlauben laut Urteil aber nur eine Auslegung: dass die Apothekerin nicht – wie die Beteiligten nunmehr glauben machen wollten – aufgrund freiwilliger Mitarbeit, sondern „aufgrund einer mit Rechtsbindungswillen eingegangenen vertraglichen Verpflichtung“ tätig geworden sei.

Verschiedene Einlassungen des Apothekers wies das Gericht als „lebensfremd“, „widersprüchlich“ und als „verfahrensangepassten Vortrag“ zurück. Dass ihr das Geld, wie die Schwester behauptete, gewissermaßen aufgedrängt worden sei, konnte die Richter „nicht im Ansatz überzeugen“. Dass sie keinen Anspruch auf Urlaubsgeld oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hatte, ändere ebenfalls nichts: „Die Überbürdung sozialer Risiken ist allenfalls Rechtsfolge einer rechtsirrigen Einschätzung und eröffnet zudem keine unternehmerischen Chancen.“

Ebenso wenig ergebe sich, dass sie in irgendeiner Weise nach außen als selbstständige Apothekerin aufgetreten sei. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass bei der Einteilung von Teilzeitkräften Wünsche des Arbeitnehmers berücksichtigt würden und dass Approbierte aufgrund ihrer Qualifikation regelmäßig Leitungsaufgaben übernähmen. Das mache sie aber noch nicht zu Selbstständigen.

Anhaltspunkte für eine Beschäftigung nach Sozialgesetzbuch (SGB IV) sind laut Gericht insbesondere die Eingliederung in die Arbeitsorganisation, die Tätigkeit nach Weisungen und die persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Demgegenüber sei die selbständige Tätigkeit charakterisiert durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit.