Rückkehr zu Muster-16: ABM im Seniorenheim 08.11.2025 08:02 Uhr
Kommt mit Jahresbeginn das große E-Rezept-Chaos? Weil das Verschlüsselungsverfahren in der Telematikinfrastruktur (TI) umgestellt werden soll, befürchten Ärztinnen und Ärzte ein massives Durcheinander im Hinblick auf viele bereits digitalisierte Prozesse – allen voran das E-Rezept. Doch keine Angst: Die Muster-16-Produktion für den Ernstfall läuft auf Hochtouren – nur nicht bei der Bundesdruckerei.
„Rolle rückwärts beim E-Rezept“ lautet das Motto zum Jahreswechsel. Dem Vernehmen nach steht das gute alte Muster-16 kurz vor seinem fulminanten Comeback. Naja, zumindest in der Theorie. In den Praxis gehen den Praxen die Vordrucke langsam aber sicher aus. Wer nutzt schon die schnöden rosa Lappen, wenn er einmal am Tag ganz einfach E-Rezepte signieren kann?
Die Bundesdruckerei, die in digitalem Hochmut die Muster-16-Produktion drastisch heruntergefahren hatte, kann nicht mehr rechtzeitig liefern. Die Drucker werden inzwischen für ganz andere Zwecke genutzt – für Promigazetten vielleicht oder für drollige Stickerbögen – wer weiß das schon!
Muster-16-Basteln für die Rx-Versorgung
Woher also Rezepte nehmen, wenn nicht stehlen? Keine Sorge, es gibt natürlich einen extra dafür entwickelten Notfallplan, ganz getreu dem Motto: „Prittstifte, Scheren und Drucker aller Bundesländer: Vereinigt euch!“ Gefordert wird nichts weniger als ein kreatives, gesamtgesellschaftliche Opfer, oder, um es bürokratischer auszudrücken: Mit sofortiger Wirkung tritt das Muster-16-und-Papierbeschaffungsmaßnahmengesetzt (MuPapbm-G) in Kraft.
Wichtig ist eineinhalb Monate vor dem Jahreswechsel nicht mehr, woher die Vordrucke kommen, sondern nur noch, dass sie kommen. Egal ob jung oder alt, gesetzlich oder privat versichert: Es wird ab sofort gedruckt, gebastelt und verdammt noch mal Papier gespart.
Kinder und Senior:innen zuerst
In Kindergärten lernen die Kleinsten Feinmotorik nicht mehr am Stäbchenspiel, sondern an der perfekt geraden Scheren-Schnittkante für Muster-16-Ersatzformulare aus Tapetenresten. Senior:innen übernehmen das akkurate Linieren mit Lineal und rosa Buntstift – vorausgesetzt Arthritis, Gicht und Tremorgrad lassen das zu.
Ergotherapeut:innen – wer hätte es gedacht – werden in ihren Kompetenzgebieten – wie Feinmotorik, Mobilisierung der Handgelenke und Schönschrift (für die unvermeidliche händische Korrektur) – zu unverzichtbaren Berater:innen im Herstellungsprozess.
Ohne Apotheken geht es nicht
Es geht natürlich nicht ohne die Apotheken vor Ort: Wer im Notdienst wegen Nichtigkeiten wie Gesichtswasser, Einbüschelzahnbürste oder einer Packung Taschentücher stört, darf direkt dableiben – und Rezepte produzieren.
Eine offizielle Abnahme der Formulare bleibt der Bundesdruckerei dennoch nicht erspart – nicht, das zu allem Überfluss auch noch Fälschungsvorwürfe aufkommen.
Glücklicherweise ist als einzige Maßgabe für die Rezeptfarbe „rosa“ angeordnet: Zwischen Alt-, Staub-, Himbeer-, Muschel- und Lachsrosa ist also auch ein ordinärer Schweinchenton möglich – das vereinfacht die Sachlage und das Repertoire in puncto Buntstifte, Filzmaler und Wasserfarben natürlich enorm.
Drucker, wir brauchen Drucker!
Auch wer zwei linke Hände hat, kann damit zumindest eine Versandmarke ausdrucken. Die Bundesdruckerei nimmt unbegrenzt Drucker-Altgeräte an und setzt sie auf Kosten der Steuerzahler instand, um zumindest einen Teil des Druckauftrags bewältigen zu können.
Jeder Haushalt in Deutschland muss mindestens ein Gerät zur Verfügung stellen, Versandkosten trägt der Versender, Stichproben können erfolgen. Wer nachweislich keins organisieren kann, muss – ungeachtet der selbsteingeschätzten Fähigkeiten – Extraschichten im Zusammenkleben der Vorder- und Rückseiten von Muster-16-Rezepten in Gemeindezentren, Schulen oder Sportvereinen leisten.
Wer kann schon Drucker bedienen?
Aber es gibt doch seit Mitte der 2000er die technische Errungenschaft der Duplexdrucker? Naja! Beidseitiges auszudrucken ist und bleibt Königsdisziplin. Wer ist schon in der Lage, das Papier richtig herum in das Gerät einzulegen? Oder das richtige Knöpfchen für die richtige Einstellung drücken? Die Formulargröße ist genormt!
Papier ist heute Mangelware: Wie genau soll eine derartig immense Menge nur beschafft werden? Im MuPapbm-G ist dafür eine große Papier-Soli-Aktion angeordnet. Kurz gesagt: Sankt Martin war gestern: Es wird nicht mehr der Mantel mit dem Bettlern, sondern das Papier mit den Arztpraxen geteilt und gespart, wo es nur geht.
Kassenbons, abgegoltene Alt-Rechnungen, Liebesbriefe aus den 80ern, Fotoalben mit Bildern der buckligen Verwandtschaft, Fehldrucke aus dem Schulsystem: Alles muss zur Herstellung gespendet werden. Mal ehrlich: Entlass- und BtM-Rezepte machen auf vergilbten Fotorückseiten nochmal mehr Eindruck.
Und wenn auch das nicht mehr hilft, müssen Papierrezepte eben mehrfach verwendet werden. Durchstreichen statt einreichen – die daraus resultierenden Probleme stehen auf einem ganz anderen Blatt Papier.
In dieser Woche verklagte ein Patient seine Krankenkasse, weil er die volle Zuzahlung für ein Rabattarzneimittel zahlen musste, das die Kasse selbst sehr günstig eingekauft hatte. Der Kläger sah die volle Zuzahlung als ungerechtfertig an und forderte das Geld zurück.
Außerdem berichtete Inhaberin Annette Sieckmann-Lick von ihrem letzten Mammut-Notdienst in der Easy-Apotheke in Barmbek, in dem sie über 100 Kund:innen bediente: „Ich habe solch einen Andrang in meinen 25 Berufsjahren noch nie erlebt.“
Beantragung, Neubeantragung, Zustellung? Inhaber Rainer Bellmann aus der Salvator-Apotheke in Gunzenhausen wartet seit der Erstbeantragung im August auf seinen elektronische Heilberufsausweis (eHBA). Laut Anbieter D-Trust befinde sich der Ausweis mittlerweile in der Produktion.
In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende!