Rezept-Zuweisung

„Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt“ Alexander Müller, 05.11.2015 15:10 Uhr

Berlin - 

Eine Arztpraxis in Sachsen-Anhalt darf laut einem Urteil des Landgerichts Dessau/Roßlau Rezepte digital an zwei Apotheken verschicken, wenn die Patienten darum bitten. Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen erklärt im Interview mit APOTHEKE ADHOC, was das Urteil für Apotheken bedeutet, wann ein hinreichender Grund vorliegt und warum auch Apotheken manchmal einen Arzt empfehlen müssen.

ADHOC: Wann darf ein Arzt eine Apotheke empfehlen?
DOUGLAS: Wenn der Patient von sich aus seinen Arzt bittet, ihn im Rahmen der Therapie zu unterstützen, ist dieser berechtigt, der Bitte nachzukommen. Er kann unter bestimmten Bedingungen sogar dazu verpflichtet sein im Sinne seiner Fürsorgepflicht aus dem Behandlungsvertrag. Darum geht es aber in den meisten Fällen mit einer Zuweisungsproblematik nicht, das wäre allenfalls relevant, wenn der Arzt erkennt, ohne seine Unterstützung wird der Patient die Therapie nicht beginnen.

ADHOC: Wo ist die Grenze?
DOUGLAS: Viele Heilberufskammern gehen davon aus, dass immer ein hinreichender Grund vorliegen muss, damit der Arzt eine Apotheke oder anderen Leistungserbringer empfehlen darf oder umgekehrt. Tatsächlich darf er dies jedoch immer dann, wenn der Patient von sich aus fragt – ganz egal aus welchem Grund. Das hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 2011 schon unmissverständlich in diesem Sinn entschieden. Einen hinreichenden Grund benötigt der Leistungserbringer für eine Empfehlung nur, wenn er von sich aus aktiv werden möchte.

ADHOC: Ist denn in der Praxis immer so eindeutig, wer aktiv geworden ist?
DOUGLAS: Wenn eine Vielzahl von Patienten einer Praxis angeblich immer an eine bestimmte Apotheke verwiesen werden möchte, stimmt das den Mitbewerber misstrauisch. Das ist in einem etwaigen Rechtsstreits dann immer eine Frage des Beweises und häufig schwer festzustellen.

ADHOC: Was sind „hinreichende Gründe“ für eine Empfehlung?
DOUGLAS: Der BGH hat in seiner Entscheidung auf die speziellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten abgestellt. Vereinfacht gilt für die Praxis die Aussage: Der Therapieerfolg ist das oberste Gebot. Empfehlungen müssen allerdings im Einzelfall nachvollziehbar sein. Das Landgericht Dessau/Roßlau hat in seiner Entscheidung etwa darauf verwiesen, dass die Vermeidung weiter Wege für gehbehinderte Patienten als Grund ausreicht ist. Neu ist allerdings der Gedanke des Gerichts, dass ein hinreichender Grund schon mit den Konsequenzen einer geringen Apothekendichte begründet werden kann.

ADHOC: Was ist unter Versorgungsgesichtspunkten so schlimm daran?
DOUGLAS: Im Einzelfall vielleicht nichts. Aber genau da beginnt das Problem: Wie werden Apothekendichte und zumutbare Entfernung zur Apotheke gemessen? Die Arztpraxis mag weit entfernt von der Apotheke liegen, der Wohnort des Patienten aber nicht. Die Apothekendichte ist zudem ein sehr unbestimmter Begriff. Nicht zuletzt ist hier auch an die Versandapotheken zu denken, auch wenn das Landgericht diese bei seinen Überlegungen anscheinend nicht berücksichtigt hat.

ADHHOC: Das heißt, die versteckte Zuweisung würde zum Regelfall werden?
DOUGLAS: Die Zuweisung, auch die versteckte, ist verboten. Aber wenn die Apothekendichte als hinreichender Grund bestätigt wird, öffnet das die Tür für eine Menge anderer denkbarer Gründe. Es gibt Apotheken, in denen man, vorsichtig ausgedrückt, trotz des Kontrahierungszwangs nur noch sehr schwer besonders hochpreisige Arzneimittel erhält, in anderen sind sie vorrätig. Wenn der Arzt davon weiß, dürfte oder müsste er seine Patienten nach dieser Logik auf diesen Umstand hinweisen dürfen. In diese Richtung sind der Fantasie dann keine Grenzen gesetzt.

ADHOC: Darf sich eine Apotheke digital Rezepte schicken lassen?
DOUGLAS: Wenn eine Apotheke – außerhalb der Arztpraxis – auf ihren Service aufmerksam macht und Patienten auffordert, ihre Arztpraxis darauf anzusprechen, hat sie nichts falsch gemacht. Natürlich kann das mit Blick auf den Versandhandel problematisch werden, aber die aktuelle Rechtslage lässt dies zu, sofern das Papierrezept im Original der Apotheke zugestellt wird.

ADHOC: Dürfen Apotheker Ärzte empfehlen?
DOUGLAS: Diese Fälle sind in der Praxis selten relevant. Gleichwohl kennt der Apotheker die Problematik aus seinem Alltag. Wenn er einem Kunden wegen dessen Ausschlag die Konsultation eines Spezialisten empfiehlt, wird der Patient häufig nach einem Tipp fragen. Hier darf der Apotheker aus seiner Erfahrung heraus natürlich Auskunft erteilen. Würde er hier den Patienten nicht unterstützen, würde er Gefahr laufen, den Kunden zu verlieren – und auch diesen Aspekt hat der BGH bereits in seiner Entscheidung zugunsten der Heilberufler berücksichtigt.