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330.000 Euro: AbbVie lässt Apotheker warten Alexander Müller, 29.10.2015 12:01 Uhr

Berlin - 

Fehler passieren überall. Aber wenn ein eigener Fehler das Konto eines anderen mit 330.000 Euro belastet, sollte zumindest schnell Abhilfe geschaffen werden. Nicht so beim Pharmakonzern AbbVie. Der lässt Apotheker Erik Tenberken aus Köln seit mehr als zwei Wochen auf der enormen Forderung sitzen. Jetzt hat sich der deutsche Finanzchef persönlich entschuldigt und angekündigt, jeden erlittenen Schaden auszugleichen.

Tenberken hatte bei AbbVie 20 Packungen des HIV-Präparats Norvir (Ritonavir) bestellt. Geliefert wurden am 9. Oktober jedoch 20 Packungen des Hepatitis-Präparats Viekirax im Wert von knapp 330.000 Euro. Trotz der retournierten Falschlieferung wurde der Betrag per Lastschrift von Tenberkens Konto eingezogen.

Am 20. Oktober stellte AbbVie online vorab eine Gutschrift aus. Auf erneute Rückfrage erhielt Tenberken am Dienstag die Auskunft, das Geld sei gestern überwiesen worden; mit Eingang auf dem Konto sei am Donnerstag oder Freitag zu rechnen. Heute erhielt der Apotheker Rechnung und Gutschrift im Original. Auf das Geld wartet er immer noch.

Tenberken hatte Glück, dass er sein Konto kurzfristig ausgleichen konnte. Neben seiner Kölner Birken-Apotheke betreibt er die Firma Kölsche Blister. Viele Kollegen hätten bei einem solchen Vorfall finanziell auf dem Rücken gelegen, ist Tenberken überzeugt: „Da würden dann andere Lastschriften platzen und die Apotheke hätte sehr schnell einen Schufa-Eintrag. Und so etwas bekommt man nur sehr zäh wieder raus.“ Er sorgt sich, dass kleinere Apotheken die Versorgung bald nicht mehr sicherstellen könnten, wenn sie mit solchen Risiken konfrontiert würden.

Über das Vorgehen von AbbVie hat sich Tenberken besonders geärgert, weil der Hersteller selbst sehr kurze Zahlungsfristen von drei Tagen habe und die Summen fast immer schon vor Zustellung der Rechnung abbuche. Seine Einverständnis zur Firmenlastschrift hatte er mit sofortiger Wirkung vorerst zurückgezogen. Am Mittwoch erhielt er dann einen Anruf von Stefan Geldmeyer, Finanzchef von Abbvie in Deutschland, der sich für den Vorfall entschuldigte.

AbbVie bestätigte den Vorfall auf Nachfrage. Der Hersteller will einem Sprecher zufolge auch alle bei Tenberken entstandenen Kosten übernehmen. Außerdem prüfe man intern, was zu tun sei, damit so etwas künftig nicht mehr passiert. Dass der Konzern seine komplette Finanzabteilung nach Polen ausgelagert hat, wollte der Sprecher auf Nachfrage zwar nicht bestätigen, es habe aber eine Umstellung im Einkauf und im Rechnungswesen gegeben, sagte er.

Tenberken wurde von AbbVie außerdem zugesichert, dass die Abbuchung künftig zumindest immer erst nach Rechnungslegung erfolge, damit er notfalls Widerspruch einlegen könne. Denn eine falsche Kontobelastung kann für Apotheken richtig teuer werden, wenn der Betrag nicht ausgeglichen werden kann. Tenberkens Bankberater hat ausgerechnet, dass eine Apotheke mit durchschnittlicher Kreditlinie wegen Überziehung in diesem Fall etwa 18 Prozent Zinsen hätte zahlen müssen.

Tenberken ist zusammen mit Niedersachsens Kammerpräsidentin Magdalene Linz im Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAH²KA). Entsprechend spezialisierte Apotheken laufen Linz zufolge eher Gefahr in eine solche Situation zu geraten, letztlich könne es aber jeden Kollegen treffen, so die Kammerpräsidentin.

Linz hatte in ihrer Filialapotheke zuletzt einen Fall mit Wachstumshormonen für ein Zwillingspärchen. Das Mittel sei über den Großhandel nicht zu beziehen, sondern nur direkt beim Hersteller. „Und die Firma verlangt von uns, dass wir dem Lastschriftverfahren zustimmen“, so Linz. Die Präparate kosteten jeweils 20.000 Euro, das Rezept sei von Anfang Oktober. Da der Hersteller sofort abbucht, wartet die Apotheke rund einen Monat auf ihr Geld, bis das Rechenzentrum überweist. „Das ist in meinen Augen keine Partnerschaft mehr, das ist quasi Erpressung“, empört sich Linz.

Denn die Apotheken hätten einen Versorgungsauftrag und müssten die Mittel zu den Bedingungen des Herstellers beziehen. „Einige Firmen regeln ihre Finanzen auf Kosten des Gesundheitswesens“, so Linz. „Fair wäre es, wenn die Industrie in diesen Fällen Zahlungsziele von fünf bis sechs Wochen setzen würde, und nicht wie derzeit nur drei Tage“, so die Kammerpräsidentin weiter.

Linz hat mit dem Problem schon bei Gesundheitspolitikern in Berlin vorgesprochen: „Die haben alle große Augen gemacht, als sie davon gehört haben.“ Jetzt hofft die Kammerpräsidentin, dass auch tatsächlich etwas passiert und die Apotheker bei der steigenden Anzahl hochpreisiger Arzneimittel nicht weiter die „Bank der Pharmaindustrie“ sein müssten.

Die DAH²KA hatte im Sommer mobil gemacht, weil die Versorgung von Aids-Patienten über kurz oder lang in Gefahr sei. Apotheker liefen Gefahr, im Spannungsfeld zwischen Krankenkassen, Großhandel, Pharmaindustrie und der Pflicht gegenüber den Patienten zerrieben zu werden, so Tenberken. „Vereinfacht kann man sagen: Weil die Produkte teuer sind, wird die Lagerhaltung auf uns Apotheker abgewälzt. Das ist mit den heutigen Fixzuschlägen aber nicht finanzierbar.“

Alle Beteiligten sollten gemeinsam an einer Lösung arbeiten, so die Forderung der Apotheker. Die Politik sollte die Hersteller zu einer gewissen Lagerhaltung verpflichten, die Kassen sollten die Daumenschrauben lockern und die Firmen sollten dafür sorgen, dass genügend Ware vorhanden sei. „Wir sind in Kontakt mit den Unternehmen und sehen auch Gesprächsbereitschaft. Aber es müssen dringend alle Interessenvertreter an einen Tisch.“

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