Nach Gas droht Abhängigkeit bei Generika

„Dieses Spargesetz darf nicht passieren“ Patrick Hollstein, 03.05.2022 15:40 Uhr

Laut dem BPI-Vorsitzenden Dr. Hans-Georg Feldmeier ist ein Pharma-Spargesetz genau der falsche Weg. Foto: BPI
Berlin - 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Herstellerverbände mit seinen Plänen für ein Pharma-Sparpaket eiskalt erwischt. Denn eigentlich war man davon ausgegangen, dass die Ampel-Koalition die Lieferketten stärken statt weiter schwächen würde. Laut Dr. Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), droht der Industrie ein Ausbluten, sollten die Pläne umgesetzt werden.

Am Freitag hatte sich Feldmeier an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gewandt. In seinem Schreiben an Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) schildert eindrücklich, mit welchen Herausforderungen die Pharmaindustrie derzeit zu kämpfen hat: Nach zwei Jahren Pandemie verschärfe der Angriff Russlands auf die Ukraine die Situation erheblich: „Die Energiekosten explodieren in vielen EU-Ländern, und abbrechende Lieferketten sowie die Sanktionen sorgen aktuell für bisher nie dagewesene Preis- und Verfügbarkeitsturbulenzen.“

Betroffen seien nicht nur einzelne Produktgruppen, sondern alle Arzneimittel: „Es drohen in naher Zukunft Lieferschwierigkeiten in nie dagewesenem Ausmaß“, so seine eindringliche Mahnung. Bedroht sei nicht nur akut die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten, sondern dauerhaft die Existenz der Hersteller in Deutschland und Europa.

Dass Lauterbach am Montag zurückruderte und sein Spargesetz genau mit der Begründung zurückstellte, dass zunächst die Folgen der Ukraine-Krise abzuschätzen seien, ist für Feldmeier kein Grund zur Entwarnung. Denn noch sind die Pläne nicht vom Tisch – was aus seiner Sicht aber alternativlos ist: „Wieder soll ein Spargesetz für die Arzneimittelversorgung treffen – und das in einer Zeit, in der uns die gesamte Situation der Lieferketten große Sorgen macht.“ Ja, die Industrie wolle auch Geld mit dem Verkauf ihrer Präparate erzielen. Aber die Hersteller hätten auch eine Verantwortung für die sichere Arzneimittelversorgung. „Und dieser Job ist derzeit verdammt schwer zu machen.“

Lieferketten in Gefahr

Alleine das offenbar vorgesehen Preismoratorium sei „in höchstem Maße ignorant“, so Feldmeier. Schaue man auf die Marktentwicklung, dann hätten sich die Strompreise am Markt seit 2021 versechsfacht. Die Preise für Glas seien explodiert, Wellpappkartons für den Versand seien am Altpapiermarkt kaum zu bekommen. „Die Probleme mit den Lieferketten haben drastisch zugenommen. Das ist eine Veränderung, die permanent ist.“ Aktuelle sei man nur mit Vorlaufzeiten von zwölf Monaten halbwegs sicher. „Das sind Herausforderungen, die es bislang nicht gegeben hat.“ Erste Unternehmen hätten schon signalisiert, dass sie über kurz oder lang aussteigen müssten. „Da hilft nicht einmal mehr ein Inflationsausgleich.“

Ein Problem ist aus Feldmeiers Sicht die mangelnde Kommunikation mit der Politik. Schon die Koalitionsverhandlungen hätten komplett hinter verschlossenen Türen stattgefunden. „In diesem Klausurformat, das wir so noch nicht kannten, hatten wir als Verbände keine Möglichkeit, Stellung dazu zu nehmen, wie Vorhaben konkret ausgeformt werden könnten“, so Feldmeier. „Also müssen wir das jetzt nachholen.“

Noch immer kein Ministergespräch

Diverse Anläufe zu Gesprächen seien aber im Sande verlaufen. Nach seiner Kenntnis habe es noch kein Gespräch von Verbändevertretern mit dem Minister gegeben, auch nach den von Corona geprägten ersten Wochen seien Gesprächsangebote nicht beantwortet worden. Einzige Ausnahme: Am vergangenen Freitag fand kurzfristig auf Einladung des BMG ein Gespräch mit den Herstellerverbänden statt. Dabei sei es um Spenden für die Ukraine gegangen.

„Ich weiß und sage das in aller Bescheidenheit, dass die allermeisten Unternehmen sich längst auf ganz verschiedenen Ebenen engagieren. Aber die pharmazeutische Industrie kann nur spenden, wenn sie auch noch vor Ort produziert.“ Eine breite Masse an Präparaten werde zu einem geringen Preis vertrieben; seit Jahren diskutiere man darüber, wie man unter diesen Bedingungen die Produktion zurück nach Europa holen könne. „Wir brauchen eine europäische Industrie, die nicht nur entwickelt und vertreibt, sondern auch vor Ort herstellt. In dieser Situation wird doch umso klarer, wie unumgänglich dies ist.“

Aus gutem Grund habe die Pharmaindustrie in der Pandemie zur Kritischen Infrastruktur gehört – dann dürfe man sie aber nicht so weit kaputt sparen, dass sie im Ernstfall ausgeblutet sei. „Dass es in der Corona-Krise funktioniert hat, ist der Tatsache zu verdanken, dass wir noch eine in weiten Teilen funktionierende Industrie haben.“ Mit dem Ukraine-Konflikt bekomme man nun innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal vor Augen geführt, wo nach wie vor die Schwachstellen liegen: „Wollen wir das immer wieder neu erleben?“

Abhängigkeit von Drittländern

Bei Generika gebe es genauso eine Abhängigkeit von Drittländern wie bei Gas, so Feldmeier. „Die Lage ist ernst, und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, in ‚Friedenszeiten‘ Strukturen aufzubauen, die dann auch in einer Krise funktionieren können.“ Dazu gehöre es einerseits, Szenarien zu entwickeln und Vorräte für den Notfall anzulegen, die dann regelmäßig umgewälzt werden. Andererseits müsse man endlich die Produktion in Europa sichern. Man dürfe nicht zulassen, dass weitere Teile der Industrie abwanderten: „Noch gibt es eine Wirkstoffindustrie in Europa, aber es dauert im Durchschnitt acht Jahre, bis eine neue Fabrik eröffnet werden kann. Der zusätzliche Benefit des in der EU produzierten Wirkstoffes muss dann aber auch von den Krankenkassen honoriert werden. Ich glaube nicht, dass sich irgendeine Krankenkasse dann noch daran erinnert.“

Genauso wichtig sei aber die Produktion von Fertigarzneimitteln in Europa: „Ich kann viel leichter den Wirkstoff einlagern für einen bestimmten Zeitraum als einzelne Fertigarzneimittel. Von einem Einstieg des Staates wie etwa in Frankreich bei EuroAPI, der Wirkstoffsparte von Sanofi, hält er nichts. „Der freie Markt kann viele Dinge selbst regeln.“

Was Feldmeier sich wünscht, ist eine breite wissenschaftliche und politische Diskussion darüber, wie man mit cleveren Ideen die strukturellen Probleme und die bestehenden und drohenden Engpässe angehen kann: Seine Beispiele reichen vom digitalen Beipackzettel zum Sparen von Papier über die Energieversorgung der Hersteller bis hin zu effizienten Konzepten für die Lagerhaltung: „Müssen wir wirklich mit viel Aufwand ganze Lagerhallen kühlen, nur weil an ein paar Tagen im Jahr der Temperaturkorridor über- oder unterschritten wird? Oder können wir die wirklich thermolabile Medikamente gesondert betrachten?“

All das seien keine deutschen, sondern europäische Themen, die man mit dem „Selbstbewusstsein einer innovativen Industrie“ angehen wolle. Und zwar gemeinsam mit den anderen Stakeholdern im Gesundheitssystem. „Wir würden sehr gerne in einem solchen Beirat mitarbeiten, denn alle Betroffenen wissen, was die Stunde geschlagen hat.“

Doch statt solche Gespräche führen zu können, müssen sich die Hersteller demnächst wohl erst einmal mit einem Spargesetz auseinandersetzen. Auch hier will Feldmeier einen offenen und kritischen Dialog: „Die Rabattverträge wird wahrscheinlich kein Mensch abschaffen. Aber wir brauchen neue Regelungen, etwa ein Dreipartnermodell, bei dem neben den billigsten Anbietern auch derjenige mit der größten Produktionstiefe in Europa zum Zuge kommt.“

Schallende Ohrfeige

Aus seiner Sicht ist es grundsätzlich nicht der richtige Zeitpunkt, um Einsparungen durchzusetzen. Vielmehr müsse man in das System investieren, um es krisensicher zu machen. „Wir wissen nicht, was drinstehen wird. Aber wenn es Einsparungen geben wird, dann ist das eine schallende Ohrfeige für die Industrie. Er habe selbst zwei Jahre lang erlebt, wie Arzneimittelproduktion unter erschwerten Bedingungen funktioniert. „Wir alle können stolz sein, auch die Apotheken.“ Nun gehe es darum, die erforderlichen Bedingungen zu schaffen und nicht „die Prägung aus der Münze zu ziehen“, wie er formuliert. „Das darf nicht passieren.“