BtM-Handel in sozialen Medien

Diazepam, Codein, Morphin: Instagram als illegale Apotheke APOTHEKE ADHOC, 19.08.2020 12:42 Uhr

Von Gras bis Morphin: Recherchen des NDR zufolge ist Instagram zu einem Umschlagsplatz für Drogen geworden. Screenshot: YouTube/ STRG_F
Berlin - 

Instagram ist die größte Lifestyle-Plattform der Welt. In vielen Subkulturen gehört zu diesem Lifestyle der Drogenkonsum, der dort offen zur Schau gestellt wird. Eine Recherche des Norddeutschen Rundfunks (NDR) hat nun offengelegt, dass es in Wahrheit weit darüber hinausgeht: Auf der Social-Media-Plattform wird im großen Stil mit Drogen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gehandelt. Und das geht erschreckend einfach. Mit ein paar Messages kann sich jedermann mit Diazepam, Codein, Morphin, Promethazin oder Benzodiazepinen eindecken. „Während Instagram jeden Nippel löscht, konnten wir all das auf der Plattform finden“, sagt NDR-Journalistin Inga Mathwig.

Die Ware präsentieren, den Käufer kontaktieren, das Geschäft anbahnen, Bestellung und Bezahlung abwickeln: Klingt eher nach Ebay-Kleinanzeigen, ist aber Instagram. Und es geht nicht um gebrauchte Fahrräder, sondern Drogen und verschreibungspflichtige Arzneimittel. Über hunderte Instagram-Accounts werden offenbar Drogengeschäfte abgewickelt und zwar nicht nur zwischen Dealer und Konsument, sondern auch eine Nummer größer. Das NDR-Onlineformat „Strg_F“ hat sich in seiner aktuellen Ausgabe dem Drogenhandel auf der Foto- und Videoplattform von Facebook gewidmet und erschreckende Ergebnisse zutage gefördert.

Dass es vor allem im Hip-Hop und Gangster-Rap zum guten Ton gehört, mit Drogen zu posieren und den eigenen Konsum auf Instagram offen zur Schau zu stellen, hat sich bereits herumgesprochen. Doch auf der Plattform geht es nicht nur visuell hart zur Sache: Wer Cannabis, Opioide oder Benzodiazepine sucht, wird dort schnell fündig. Wie schnell, hat der NDR mit einem Experiment belegt: In Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Instagram-Drogenkäufer, der anonym bleibt und sich nur „The Wiz“ nennt, hat sich Mathwig in die Abgründe der sonst so schillernden Seite begeben. Drogenverkäufer zu finden, ist alles andere als schwer. Mathwig und „The Wiz“ haben einen Account eröffnet, ihm den „Wannabe Gangster Look“ gegeben und mit dem ein paar Hip-Hop-Seiten geliket und solche, die offen ihre Ware zur Schau stellen. Es beginnt noch vergleichsweise harmlos mit Cannabis. Händler präsentieren dort stolz ihre Ware. Über Direktnachrichten lässt sich mit kurzen Dialogen der Handel anbahnen. Bezahlt wird per Bitcoin, die Ware liegt kurz darauf im Briefkasten.

Doch schon dort zeigt sich, dass es sich mitnichten „nur“ um die Endkundenakquise handelt. Ein spanischer Account beispielsweise präsentiert in professionell anmutenden Hochglanzbildern riesige Cannabisplantagen. Dort können nicht Konsumenten bestellen, sondern Großkunden. Die Spanier sind quasi der Hersteller, der über Instagram an die Großhändler verkauft, die wiederum an die Konsumenten verticken. Doch die beiden kommen sehr schnell an viel härteren Stoff – und zwar, ohne dafür selbst allzu viel tun müssen. Der Algorithmus übernimmt die Arbeit.

Denn hat man einmal die richtigen Seiten geliket, verselbstständigt sich die Drogensuche zunehmend. „Ich bin einmal in dieser Blase und dann bin ich in meiner eigenen Echokammer, die ich mir da geschaffen habe. Und die wird immer weiter verstärkt dadurch, dass der Algorithmus immer mehr Dinge ausspielt von Leuten, die mir gefallen, oder Leuten, die ähnlich agieren wie ich“, erklärt der anonyme Informant. „Und dann habe ich irgendwann Postings hier, in denen bergeweise Crystal auf dem Tisch liegt.“ Bereits 24 Stunden nach Anmeldung folgen dem Test-Account dutzende weitere, nach einem Monat sind es mehr als 230. Und die Drogenhändler kommen zum potenziellen Konsumenten, nicht umgekehrt. „Mein Posteingang explodiert. Ich kriege hunderte Nachrichten von Leuten, die mir etwas andrehen wollen“, sagt „The Wiz“.

Von zehn verschiedenen Accounts bestellen die beiden dann ein Potpourri an harten Drogen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln: Morphin, Diazepam, Ketamin, Oxycodon, Ecstasy. „Uns geht es dabei nicht darum, zu zeigen, wie so ein Deal abläuft. Wir wollen damit belegen, dass eine kommerzielle Plattform offenbar Drogenhandel ermöglicht“, sagt Mathwig.

Die Pakete, die aus Deutschland und Großbritannien verschickt wurden, enthalten auch Arzneimittel aus der Schweiz, nämlich den codeinhaltigen Hustensaft Makatussin, der seit Anfang 2019 auch in der Eidgenossenschaft verschreibungspflichtig ist. Er kommt in Originalverpackung. Ebenfalls in einer Art „Originalverpackung“ kommt eine in der Hip-Hop-Szene beliebte Droge: Purple Drank, auch bekannt als Lean oder Syrup. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Sprite, Promethazin und Codein. Das Gemisch kommt in einer Plastikflasche mit einem eigens designten Label: „Dirty Sprite“.

Mathwig will wissen, was wirklich in der lila Flüssigkeit ist, und fährt dafür an die Medizinische Hochschule Hannover (MHH), wo sie sie vom dortigen Direktor der Rechtsmedizin, Professor Dr. Michael Klintschar, analysieren lässt. Ergebnis: Sie enthält neben Hydrocodein und Promethazin auch Spuren von Kokain. Klintschar geht davon aus, dass es sich um Verunreinigungen handelt, weil der Hersteller zuvor mit Kokain hantiert hat.

Auch einer der Dealer kommt anonymisiert zu Wort. Er berichtet vom Wandel seiner Absatzkanäle: „Die alten Leute sind geblieben, die das auf der Straße bei mir geholt haben. Aber ein sehr großer Teil meines Geschäfts, der Hauptteil, läuft auf jeden Fall über Instagram. Da ist viele neue Kundschaft hinzugekommen, viele Leute aus ganz unterschiedlichen Ecken.“

Und was sagt die Instagram-Muttergesellschaft Facebook dazu? Ein Sprecher verweist darauf, dass Drogenhandel auf Instagram verboten ist. Instagram entferne derartige Inhalte, sobald man sie finde. „Zwischen Januar und März hat die Plattform 1,3 Millionen Inhalte entfernt, die im Zusammenhang mit Drogenverkäufen standen“, so der Facebook-Sprecher. Davon habe man 95 Prozent proaktiv gefunden, bevor sie jemand gemeldet habe.

Man investiere zudem in Technologien und die Zusammenarbeit mit Sicherheitsexperten, um das Verfahren zu verbessern. Die Stichprobe des NDR macht jedoch nicht den Eindruck, dass das bisher allzu gut funktioniert: Von den zehn Accounts, über die Mathwig und „The Wiz“ bestellt haben, waren nach vier Monaten noch acht online.