Bioäquivalenzstudien

Zweifelhafte Studien: Hexal und Ratiopharm betroffen APOTHEKE ADHOC, 30.07.2016 09:26 Uhr

Berlin - 

Europaweit droht dutzenden Generika der Entzug der Zulassung. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat eine Liste mit Produkten veröffentlicht, bei denen Zweifel über die Daten zur Marktzulassung bestehen. Auch 44 in Deutschland zugelassene Produkte stehen auf der Liste. In der Kritik stehen erneut Bioäquivalenzstudien aus Indien.

Die EMA hat Bioäquivalenzstudien des Zulassungsdienstleisters Semler Research in Bangalore untersucht. Laut der Arzneimittelbehörde bestehen Zweifel am Qualitätsmanagementsystem von Semler. Daher sei auch die Verlässlichkeit der für die EU-Marktzulassung relevanten Daten zweifelhaft.

Die Behörde empfiehlt, dass Arzneimittel, deren Zulassung ausschließlich auf Semler-Studien beruht, nicht mehr verwendet werden sollen. Das gilt nicht für Produkte, für die von den Herstellern andere Studien vorgelegt werden können. Auch zu diesen Arzneimitteln wurde eine Liste veröffentlicht.

Die EMA-Liste muss erst noch von der EU-Kommission bestätigt werden, ehe sie den Mitgliedstaaten angewendet wird. Wird die Sperre von der Brüsseler Behörde bestätigt, könnten die betroffenen Präparate binnen Monatsfrist vom Markt verschwinden. Die nationalen Aufsichtsbehörden haben aber die Möglichkeit, die Produkte auf dem Markt zu belassen, wenn es keine Alternative gibt.

In Deutschland könnten 44 Arzneimittel betroffen sein. Die EMA listet die Präparate nach Wirkstärke, Packungsgröße und Darreichungsform. Bei einigen Wirkstoffen sind Hersteller genannt. Unter den Wirkstoffen finden sich Antibiotika und Sartane.

Auf der Liste für den deutschen Markt stehen: Amoxicillin, Irbesartan und Rasagilin von Micro Labs, Celecoxib von Glenmark und Bristol als Import von Axcount, Duloxetin von Hormosan/Lupin, Eprosartan von Aristo, Erlotinib von Hexal, dem Schwesterunternehmen 1A Pharma und Ratiopharm, Malacomp und Saquinavir ebenfalls von Hexal, Etoricoxib von Pharma Resources und Pregabalin von Hormosan sowie die Kombination Atovaquon/Proguanilhydrochlorid von Ratiopharm und 1A Pharma.

Die Arzneimittelbehörden aus Deutschland, Großbritannien, Spanien, Dänemark und den Niederlanden hatten im April 2016 beim Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) einen Bericht angefordert.

Vorangegangen war zudem eine Untersuchung der US-Arzneimittelbehörde FDA. Demnach wurden Proben, die in den Semler-Studien verwendet wurden, ersetzt oder manipuliert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte nach einer Begehung ähnliche Bedenken geäußert.

Der Rückruf könnte alle EU-Mitgliedstaaten betreffen – aber in unterschiedlicher Intensität. Deutschland liegt mit 44 betroffenen Arzneimitteln nach Anzahl an der Spitze, gefolgt von Frankreich (28), Großbritannien (24) und den Niederlanden (23).

Es folgen Portugal (16), Luxemburg (15), Belgien (12), Kroatien (11), Italien, Schweden und Spanien (10), Rumänien (9), Dänemark, Litauen und die Slowakei (8), Lettland, Polen und Ungarn (7), Tschechien (6), Estland und Bulgarien (5), Finnland (4), Griechenland, Irland, Norwegen und Slowenien (3) sowie Island und Malta (2).

Die WHO hatte zwei Standorte von Semler Research im Januar und im Dezember 2015 unter die Lupe genommen. Dabei stellten die Prüfer kritische und gravierende Verstöße gegen die Gute Herstellungspraxis (GMP) und die Gute Klinische Praxis (GCP) fest. Auch wenn bei den folgenden Gesprächen einige Punkte aus der Welt geschafft werden konnten, bleibt die WHO dabei, dass die übrigen Abweichungen Anlass zur Sorge sind.

Semler habe eingeräumt, dass die Studien zweifelhafte Daten enthielten, so die WHO. Dass der Dienstleister nicht erklären konnte, wie es dazu gekommen sei, beruhigte die Prüfer nicht. Aus ihrer Sicht sind die Erkenntnisse ein Indikator für Betrug. Immerhin sei davon auszugehen, dass mehrere Mitarbeiter verschiedener Unternehmensbereiche zusammengearbeitet hätten, um die Studien zu manipulieren.

Es ist bereits das vierte Mal, dass indische Zulassungsdienstleister in die Kritik geraten: Der Dienstleister Alkem soll Elektrokardiogramme gefälscht haben. Im Juli 2015 hatte die WHO bereits eine Verwarnung an das indische Unternehmen Quest Life Sciences geschickt – mehr als zwei Drittel der verwendeten EKG-Aufnahmen sollen Duplikate gewesen sein. Wegen dieses Vorwurfs wurden Anfang 2015 europaweit mehr als 700 Zulassungen für ruhend erklärt, die auf Studien des Dienstleisters GVK Biosciences beruhten.