ALBVVG im Bundestag

„Wo sind die Kämpfer an der Theke?“ Patrick Hollstein, 24.05.2023 18:40 Uhr

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat das ALBVVG in den Bundestag eingebracht. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Die Bundesregierung hat das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) in den Bundestag eingebracht.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte drei Ursachen für die Engpässe: Wegen starker Erkältungswellen nach der Pandemie habe es Lücken speziell bei Antibiotika gegeben. In der Pandemie seien außerdem Lieferketten weggebrochen. Und schließlich sei der Kostendruck bei Generika zu hoch geworden.

Daher werde man dreistufig vorgehen: Die Rückführung der Produktion nach Europa sei die kausale Therapie, bei Antibiotika fange man damit an. Über entsprechende Verordnungen könne man weitere Produktgruppen hinzunehmen, etwa Onkologika. Außerdem werden man die Meldepflichten verschärfen und die Lagerhaltung auf drei Monate ausweiten, um Engpässe zu überbrücken.

„Wir haben die Ökonomieschraube überdreht.“ Die Rabattverträge hätten es ermöglicht, die Versorgung preiswert zu halten, machten aber eine Produktion in Europa unmöglich. Lauterbach sprach von einem „sehr wichtigen und lange überfälligen Gesetz“, insbesondere bei Kinderarzneimitteln werde man kurzfristige Maßnahmen einführen.

Heroischer Einsatz der Apotheken

Dr. Georg Kippels (CDU) warf Lauterbach vor, das Problem zu lange verschleppt zu haben. Schon im Spätsommer vergangenen Jahres habe es Warnungen vor Infektionswellen und Engpässen gegeben. „Geschehen ist nichts.“ Die Union habe hartnäckig für einen Pharmagipfel geworben, weil alleine durch das Drehen an der Rabattschraube das Problem nicht gelöst werden könne. „Leider ein weiterer Fehlstart.“ Schon das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sei falsch gewesen und habe die Industrie belastet.

„Und wo sind denn die Apotheker? Wo sind die Kämpfer an der Theke, die mit aller Kraft versuchen, den Kranken eine Lösung zu bieten und die damit beschäftigt sind, Alternativen zu finden.“ 50 Cent wolle er ihnen zugestehen, dies decke die Kosten nicht, so Kippels mit Verweis auf den Beschluss des Bundesrats, dem nichts hinzuzufügen sei. „Nur durch den heroischen Einsatz der Apothekerinnen und Apotheker funktioniert die Versorgung noch.“

Paula Piechotta (Grüne) findet es „okay“, dass das Gesetz so spröde sei und keine falschen Versprechungen mache. Nicht nur Kippels habe mit den Apothekerinnen und Apothekern gesprochen, sondern sie auch. Aber eben auch mit anderen Stakeholdern, und die hätten den Einwand gebracht, dass man alleine mit den Mitteln der GKV die Abhängigkeiten von China nicht reduzieren könne.

XXL-Briefe überzeugen nicht

Immerhin: Fehlanreize und Hürden könnten im Rahmen der GKV abgebaut werden. Im Zentrum der parlamentarischen Regelung werde es wichtig sein, auf die komplexen Folgewirkungen zu achten. „Gibt es hier vielleicht Mitnahmeeffekte? Wo können wir stärker digitale Instrumente einbinden? Wie schaffen wir, dass wir uns nicht mit den Engpässen einrichten?“ Nicht derjendige Akteur, der am lautesten rufe oder die großformatigsten Briefe schicke, werde sich durchsetzen, so Piechotta mit Blick auf die jüngste Kampagne der Abda.

Jörg Schneider (AfD) sprach von Trippelschritten. Was bringe ein Frühwarnsystem, wenn daran keine Kontingentierung angeschlossen sei. Krankenhausapotheken sollten ihre Lagerbestände deutlich erhöhen, bei regionalen Engpässen müsse man dann Umlagerungen organisieren. Die Austauschmöglichkeiten seien eine gute Idee, das sei im Moment tatsächlich ein komplizierter Prozess. Aber ältere Menschen hätten sich an ihre Medikamente gewöhnt, da müsse viel Beratung geleistet werden. „Hier entsteht nicht nur eine höhere Intensität der Arbeit, sondern auch Mehrarbeit.“ Die geplanten 50 Cent seien nicht ausreichend.

Keine Nullretaxationen mehr

Lars Lindemann (FDP) räumte ein, dass es einen Zielkonflikt gebe zwischen der bestmöglichen Versorgung und den begrenzten GKV-Finanzen. Den Spagat hinzubekommen, darauf werde man als FDP achten. Die Apotheker hätten Großartiges geleistet in der Pandemie, daher könnten und sollten die Abgabeerleichterungen fortgeführt werden. „Wir als Fraktion könnten uns da noch viel mehr vorstellen.“ Nullretaxationen dürfe es nicht mehr geben, maximal Differenzkürzungen

Patientinnen und Patienten verließen sich darauf, dass sie Medikamente unkompliziert in der Apotheke bekämen, so Kathrin Vogler (Linke). Lauterbachs Entwurf adressiere nur Kinderarzneimittel – „als ob nicht auch Erwachsene Medikamente brauchen!“ Einen Tag pro Woche verwendeten Apothekerinnen und Apotheker darauf, mit den Engpässen umzugehen und die Versorgung zu sichern. 50 Cent pro ausgetauschtem Medikament deckten den Aufwand nicht ab, sondern deckten maximal 90 Sekunden Arbeitszeit der allniedrigsten Gehaltsstufe ab. „Mit gutem Willen kann keine Apothekerin ihre Angestellten bezahlen.“

Einer von fünf Bereichen sei der Austausch in der Apotheke, so Martina Stamm-Fibich (SPD). Man werde den Apothekern unter die Arme greifen und unnötige und unbürokratische Schritte abbauen.

Apotheken brauchen Präqualifizierung

Überraschende Aussagen zur Präqualifizierung kamen von Dietrich Monstadt (CDU). Er kritisierte die geplante Streichung bei den Apotheken, denn sie werde durch die Regelungen der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) nicht ersetzt. Außerdem würden andere Leistungserbringer benachteiligt. Das System unter Kontrolle des GKV-Spitzenverbands habe sich bewährt und sollte beibehalten bleiben.

Stephan Pilsinger (CSU) forderte Lauterbach auf, Geld aus unnötigen Projekten wie der Cannabis-Legalisierung oder den Gesundheitskiosken abzuziehen und in die Arzneimittelproduktion zu investieren. „Reine Ankündigungen bringen uns auf Dauer nichts.“

Die Apothekerinnen und Apotheker kämpften am Ende der Lieferkette darum, dass das Medikament oder ein Austauschpräparat beim Patienten ankomme, so Dirk Heidenblut (SPD). Daher seien die Austauschregeln richtig, Retaxationen sollten hier ausgeschlossen werden und Nullretaxationen komplett gestrichen werden. Außerdem brauche es eine Bagatellgrenze, denn mitunter sei das Papier teurer als der Korrekturbetrag. Die Regelungen für Medizinalcannabis müssten überarbeitet und der Genehmigungsvorbehalt gestrichen werden.