Reaktion auf Spahn-Gesetz

Wehrpflicht als Vorbild: Rx-VV in Reserve Lothar Klein, 29.04.2019 14:54 Uhr

Neue Idee: Apotheker Aristide Reidel will wie bei der Wehrpflicht das Rx-VV in Gesetz schreiben einführen, aber aussetzen solange es Gleichpreisigkeit gibt. Foto: Reidel
Berlin - 

Kein gutes Haar am Apothekengesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lässt Apotheker Aristide Reidel von der Rathaus-Apotheke in Saulheim: Nett formuliert, aber mangelhaft bis ungenügend findet Reidel ganz ohne diplomatische Umschweife das Gesetzeswerk. Aber der Apotheker meckert nicht nur rum, Riedel bringt einen eigenen Vorschlag in die Debatte: Man könne das Rx-Versandverbot doch ins Gesetz schreiben und so lange aussetzen, wie die Gleichpreisigkeit mit anderen Instrumenten gesichert sei.

Die Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz hatte Riedel gebeten, seine Meinung zum Apothekenstärkungsgesetz niederzuschreiben. Kammerpräsident Dr. Andreas Kiefer zählt bekanntermaßen auch zu den Kritikern der Abkehr vom Rx-Versandverbot (Rx-VV). Reidel antwortete, dass das Ziel „Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ nett formuliert sei: „Die Ausarbeitung des Entwurfes ist, meiner Meinung nach, mangelhaft bis ungenügend.“

Die Apotheken sollten zwar mehr Geld bekommen. Dieses Geld sei nur für zusätzliche Leistungen gedacht. „Es fehlt der Inflationsausgleich für die letzten 15 Jahre“, so der Apotheker. Diese pharmazeutischen Zusatzleistungen benötigten mehr Arbeitskräfte: „Wir konkurrieren mit anderen Branchen um gut ausgebildete Angestellte. Die Sparpolitik macht unseren Beruf und die Arbeitsplätze in der Apotheke unattraktiv.“ Die Grundaufgaben in der Apotheke seien schlecht bezahlt. Zudem erbrächten Apotheker tagtäglich Zusatzleistungen wie die Beantragung von Hilfsmittelbelieferungen, die Bearbeitung von Securpharm-Konfliktfällen, das Einziehen der Rezeptgebühren, das Aussuchen und Beraten von Rabatt-Arzneimitteln und Reimporten und die zusätzlichen Dokumentationspflichten für QM-Systeme, die nicht ausreichend honoriert würden.

„Eine regelmäßige, indexierte Dynamisierung der Honorare ist notwendig sowie ein finanzieller Anteil an den Einsparungen durch Reimporte und Rabattverträge. Das deutsche Modell vom ‚Apotheker in seiner Apotheke‘ kann so nicht erhalten werden. Die wirtschaftlichen Risiken für die Übernahme und Gründung von Apotheken sind zu groß. Junge Menschen werden sich andere Arbeitsplätze suchen“, sieht Reidel den Apothekerberuf ausbluten.

Spahns Apothekenstärkungsgesetz verschlimmbessere die Lage, es führe „real zu einer (gewollten) Schwächung der Vor-Ort-Apotheken“, schreibt Reidel an Kiefer: „Wenn diese Basis ausreichend durch die Politik zerstört sein wird, kann das Fremd- und Mehrbesitzverbot begründet fallen, da die zukünftige Apothekenstruktur die Versorgung nicht mehr aufrecht erhalten kann.“ Inhabergeführte Apotheken könnten auf Dauer nicht mit Kapitalgesellschaften konkurrieren. Deshalb und zum Schutz der Patienten gebe es ein Fremdbesitzverbot.

Die wirtschaftlichen Zwänge bedrohten den Pharmazeuten: „Wenn ich jeden Umsatz machen muss, um wirtschaftlich zu überleben, kann ich kein freier Heilberufler mehr sein.“ Apotheker müssten beispielsweise von einer Selbstmedikation abraten können. Das Ziel eines Apotheker-Patienten-Gespräches sei, die beste Lösung für den Patienten zu finden. Das sei nicht immer die Abgabe eines Produktes, sondern oft die Verweisung zum Arzt.

Probleme sieht Reidel mit dem Rx-Boni-Verbot. Die Arzneimittelpreisverordnung dürfe nur zusätzlich ins Sozialgesetzbuch geschrieben werden: „Der § 78 AMG muss erhalten bleiben!“ Nach den Spahn-Plänen werde sonst die Gleichpreisigkeit „noch schneller zerstört“. Für zwingend nötig hält Reidel ein Rx-Versandverbot im Gesetz. Wie bei der Wehrpflicht könne der Vollzug ausgesetzt werden, „wenn und solange die Gleichpreisigkeit funktioniert, muss aber sofort einsetzen, wenn die Gleichpreisigkeit durch Gerichtsurteile oder Verstöße von Versandhändlern ausgehebelt wird“.

Auch das E-Rezept und das „verlängerte Rezept“ dienten nur der „geplanten Verschiebung von Umsätzen zu Versand-Apotheken“. Die wirtschaftliche Basis der Vor-Ort-Apotheken werde damit gezielt beschädigt. Beim E-Rezept müsse sichergestellt werden, dass keine weiteren Umsätze zu „Doc-Morris & Co. verschoben werden“. Gleichzeitig müsse es technisch sicher sein: „Ich möchte meine Apotheken-EDV nicht mit Smartphones in direkten Kontakt bringen, die Vektoren für Computerviren aller Arte sind. Welche rechtlichen Folgen hat das für uns in Bezug auf Datenschutz und Haftung?“

Kein Freund ist Reidel auch vom Spahn-Vorschlag, Apotheken in Modellregionen impfen zu lassen: „Unnötiger Ärger mit den Ärzten ist die Folge.“ Die Beschaffung von Grippeimpfstoffen sei schon jetzt ein Zuschussgeschäft. Was müssen wir pro Impfung an Honorar bekommen, damit sich das rechnet? Wie wirkt sich dass auf unsere Haftpflichtversicherungen aus?

Nach der Lektüre des Entwurfes könne er nur die folgenden Schlüsse ziehen: Ziel sei die Zerstörung der heutigen Arzneimittelversorgung, um in wenigen Jahren „gute“ politische Argumente für Apothekenketten und noch mehr Versandhandel zu haben. Das Arzneimittel sei dann ein „normales“ Wirtschaftsgut. Der freie Heilberuf des Apothekers als Bremse des „Durchverkaufens“ der Industrie an den Patienten solle mittelfristig abgeschafft werden. OTC-Umsätze würden dann wahrscheinlich über Drogerien und Supermärkte getätigt. Die bestehenden Apotheken würden durch Spahns Gesetz gezielt geschwächt und „den Risikokapitalgesellschaften zum Fraß vorgeworfen. Die Vernichtung des deutschen Apothekensystems ist das Ziel“, so Reidel.