Modellprojekt

Video-Sprechstunde für gefährliche Häftlinge Lothar Klein, 06.03.2018 09:08 Uhr

Berlin - 

In Baden-Württemberg startet in Kürze ein Modellprojekt der ganz besonderen Art zur Telemedizin: Gefängnisinsassen sollen ab April per Videosprechstunde von Ärzten behandelt werden. Los geht es in fünf Justizvollzugsanstalten. Technik und Ärzte liefert ein privates Unternehmen aus Hamburg. Die Hoffnung: So lässt sich die Fluchtgefahr verringern.

Das baden-württembergische Justizministerium beabsichtigt, ein Modellprojekt „Telemedizin“ auf den Weg zu bringen, welches die Zuschaltung externer Fachärzte mittels Videokonferenztechnik ermöglicht. „Der Justizvollzug bietet sich als Anwendungsfeld für Telemedizin geradezu an“, so das Ministerium.

Damit will das Justizministerium auf die besonderen Herausforderungen im Strafvollzug reagieren. Denn neben einem generellen Anstieg der Gefangenenzahlen stellt die Zunahme der Zahl psychisch auffälliger Gefangener den Justizvollzug vor große Herausforderungen bei der medizinischen Versorgung. Den Regelvollzugsanstalten stehen insbesondere Fachärzte für Psychiatrie nicht in gewünschtem Umfang zur Verfügung. Besonders herausfordernd gestaltet sich die medizinische Versorgung in den Abend- und Nachtstunden sowie an Wochenenden und Feiertagen.

Darüber hinaus müssten viele Gefangene zu externen Ärzten oder Krankenhäusern ausgeführt werden, was neben dem hohen Personal- und Kostenaufwand immer ein „gewisses Gefährdungspotenzial“ und zu Einschränkungen der Sicherheit führt, so das Ministerium. Für das Telemedizin-Modellprojekt im Justizvollzug wurden sechs Anwendungsfelder identifiziert: Psychisch auffällige Gefangene sollen per Videosprechstunde ebenso behandelt werden wie Gefangene mit somatischen Beratungsanlässen. Nach Operationen könnten Gefangene betreut, diagnostische Befunde ausgewertet und eine schnelle Ersteinschätzung bei unklaren Beschwerdebildern vorgenommen werden. Außerdem sollen interdisziplinäre Konsultationen stattfinden.

Der Modellversuch ist auf sechs Monate angelegt und wird ab April in den Gefängnissen in Stuttgart, Rottenburg, Schwäbisch Gmünd, Adelsheim und Hohenasperg durchgeführt. Das Modellprojekt deckt nach Angaben des Ministeriums nahezu das gesamte vollzugliche Spektrum – junge Gefangene, Frauen, Männer, Untersuchungshaft, Strafhaft, große und kleine Anstalten – ab. Teilnehmen werden circa 2000 Gefangene.

Partner des Justizministeriums ist die Firma Videoclinic aus Hamburg. Geschäftsführer Dr. Peter Merschitz hat sich in der Szene bereits einen Namen mit seiner Firma „Videodolmetschen.com“ gemacht. Mit über 500 Dolmetschern arbeitet er mit Arbeitsämtern anderen öffentlichen Verwaltungen und 100 Kliniken zusammen. Pro Monat wickelt die Firma 15.000 Aufträge ab. Per Videoschaltung dolmetschen die Übersetzer in verschiedenen wichtigen Lebensangelegenheiten.

Jetzt steigt Merschitz mit Videoclinic in die Telemedizin ein. Die Zusammenarbeit mit dem Justizministerium ist sein erstes Projekt. Videoclinic will dazu 30 Ärzte gewinnen. Sechs davon sollen bei Videoclinic als angestellte Ärzte arbeiten, der Großteil als Freiberufler. Alle Ärzte müssen bei der Ärztekammer Baden-Württemberg registriert sein. Die Ärzte werden speziell geschult. Für Merschitz ist der erste Schritt im Ländle nur der Einstieg ins neue Geschäftsfeld. Es liegen bereits weitere vier Anfragen aus anderen Bundesländern vor.