Innovationen brauchen Verlässlichkeit 22.05.2025 14:32 Uhr
Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege hat Empfehlungen zur Arzneimittelpreisgestaltung vorgelegt, darunter die Orientierung der Preise am Zusatznutzen und die Berücksichtigung neuer Evidenz – beides sei laut Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) bereits durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) möglich. Vorschläge wie ein Gesamtbudget für Arzneimittel führten jedoch vom nutzenorientierten System weg und riskierten Rationierung, warnt der Verband. Auch Pharma Deutschland, die AOK und BKK äußern sich zum Gutachten.
„Wer das Gesundheitssystem nachhaltig und zukunftsfest machen will, braucht einen ganzheitlichen Blick – und einen verlässlichen Rahmen für Innovation. In Zeiten des verschärften globalen Wettbewerbs ist dies wichtiger denn je“, betont vfa-Präsident Han Steutel.
Vieles von dem, was der Sachverständigenrat vorschlage, sei im bestehenden Erstattungsrecht bereits möglich – etwa die strikte Orientierung der Preise am Zusatznutzen oder die Berücksichtigung neuer Evidenz in der Nutzenbewertung. Die Einführung eines Gesamtbudgets für innovative Arzneimittel bedeute nach Einschätzung des vfa eine Abkehr vom nutzenorientierten System und führe zwangsläufig zu Rationierung. Eine Verschärfung beim Umgang mit seltenen Erkrankungen gefährde zudem die Versorgung in einem besonders vulnerablen Bereich.
Seit 2011 regelte das AMNOG den Erstattungsrahmen neuer Arzneimittel in Deutschland: Die Nutzenbewertung erfolge unter strengsten Kriterien, Preise werden auf Basis des Zusatznutzens mit dem GKV-Spitzenverband verhandelt. „Das ist ein effektives und international anerkanntes Modell“, sagt Steutel.
„Natürlich braucht es auch Neuerungen im System“, heißt es vom Verband. So sei die vorgeschlagene Stärkung innovativer Erstattungsmodelle, zum Beispiel pay for performance, richtig.
Der vfa betont die Rolle der Industrie als Innovationsmotor. Investitionen in Forschung, Digitalisierung und Hightech-Produktionskapazitäten seien aus Sicht des Verbandes zentral für Versorgungssicherheit, Standortattraktivität und wirtschaftliche Wertschöpfung. Erst kürzlich hätten forschende Pharmaunternehmen zudem auf den Innovationsrückstand Deutschlands gegenüber den USA aufmerksam gemacht.
Verlässliche Rahmenbedingunge
„Wer pharmazeutischen Fortschritt will, muss gute Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung bieten. Das ist eine Aufgabe, die weit über die Gesundheitspolitik hinaus geht und deshalb auch nicht allein innerhalb eines lernenden Gesundheitssystems erfüllt werden kann“, betont Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland.
Auch die Auswahl der Expert:innen verwundere, da Sichtweisen außerhalb des Kostenträger-Umfelds meist fehlten oder unterrepräsentiert seien, kritisiert Brackmann. Dabei seien diese Perspektiven für den Pharmastandort Deutschland unerlässlich. „Dort, wo Forschung, Entwicklung und Versorgung auf hohem Niveau stattfinden sollen, braucht es ein verlässliches wirtschaftliches Fundament – dazu gehört auch eine faire und innovationsfreundliche Preisgestaltung mit gesamtwirtschaftlichem Blick und nicht nur die Abbildung einer lang bekannten Wunschliste der Kostenträger“, so Brakmann.
Angesichts globaler Herausforderungen hänge die Investitionsbereitschaft von Transparenz, Planungssicherheit und wirtschaftlicher Attraktivität ab. Eine Abkopplung von Preisen und Investitionen beeinträchtige langfristig Versorgungssicherheit, Forschungsqualität und Produktionskapazitäten. Die empfohlenen Maßnahmen, wie Bürokratieentlastungen, reichten nicht aus.
Pharmazeutische Innovationen brauchten verlässliche Rahmenbedingungen und kluge Investitionsentscheidungen. „Dazu gehört auch, dass aktuelle Preise ein zentrales Signal für zukünftige Investitionsentscheidungen sind, wer den Innovationsstandort stärken will, muss diese wirtschaftliche Realität anerkennen. Wir brauchen übergreifende Impulse statt reiner Sparmaßnahmen“, erklärt Brakmann.
Lob von den Kassen
Die AOK-Gemeinschaft begrüßt das aktuelle Gutachten: „Angesichts der steilen Ausgabendynamik in der Arzneimittelversorgung brauchen wir zeitnah Maßnahmen für mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit.“ Das Expertengremium stelle klar, dass ab Marktzugang neue Regeln zur Sicherung von Wirtschaftlichkeit und Evidenz erforderlich seien. Statt des Herstellerpreises setze sich das Gutachten für einen Interimspreis ein, der rückwirkend ausgeglichen werde. Zudem plädiere es für die Möglichkeit, in Einzelfällen keinen Erstattungsbetrag zu vereinbaren, um die Verhandlungsmacht zwischen GKV und Herstellern auszugleichen.
„Die Sachverständigen sprechen sich auch für eine verbesserte Wirtschaftlichkeit durch wirkstoffübergreifende Ausschreibungen aus, wie sie in anderen Ländern längst praktiziert werden. Die AOK unterstützt diese Vorschläge, mit denen die Breite der Versorgung aufrechterhalten wird, wenngleich nicht für jedes Präparat und zu jedem Preis“, betont die AOK.
Auch die Vorschläge des Gutachtens zur Förderung der Evidenz seien sehr zu begrüßen. Die empfohlene Stärkung der Dateninfrastruktur könne ebenso beitragen wie die vollständige Einbeziehung seltener Arzneimittel in die Nutzenbewertung und eine konsequente Re-Evaluation bewerteter Präparate. Neben mittelfristigen Maßnahmen seien auch kurzfristige Regelungen zur Ausgabendämpfung nötig. Daher unterstützt die AOK-Gemeinschaft den Vorschlag zur Anhebung des Herstellerabschlags, dessen Höhe perspektivisch an ein Arzneimittelbudget für Patentarzneimittel gekoppelt werde.
Auch die Betriebskrankenkassen (BKK) loben das Gutachten. „Eine stärkere Transparenz und Kopplung der Preise an den belegten Zusatznutzen, wie vom Sachverständigenrat gefordert, ist das probate Mittel, um dem entgegenzusteuern und Fehlanreize abzustellen“, sagt Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes. „Gerade bei den hochpreisigen Arzneimitteln – etwa im Bereich der Gen- und Zelltherapien – braucht es diese Kopplung.“