Krankenkassen

Spahns erstes Gesetz: Verheißung und Provokation dpa, 21.04.2018 09:24 Uhr

Berlin - 

Für die Beitragszahler ist der erste Gesetzentwurf von Jens Spahn ein Grund zur Vorfreude. Für Krankenkassen ist es eine Provokation. Ob Spahn damit durchkommt, ist noch offen.

Gleich mit seinem ersten großen Gesetzentwurf verspricht der neue Gesundheitsminister sinkende Beiträge – und legt sich mit den Chefs großer Krankenkassen an. Kassen mit hohen Finanzreserven sollen ihr Geldpolster innerhalb von bis zu fünf Jahren bis zu einer Obergrenze abschmelzen. Dafür haben sie ein probates Mittel: die Senkung des Zusatzbeitrags, der ab Anfang 2019 nicht mehr allein von den Kassenmitgliedern, sondern von Arbeitgebern und -nehmern zu gleichen Teilen bezahlt werden soll. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht über einen Zwangsabbau von Kassenreserven nichts – entsprechend kontrovers sind die Reaktionen.

Stark betroffen sind davon einzelne AOKen, aber auch die Techniker Krankenkasse. Sie müsste rechnerisch jeden Versicherten pro Jahr um 123 Euro entlasten, die AOK Sachsen-Anhalt sogar um 742 Euro. TK-Chef Jens Baas pocht darauf, „dass nicht alleine die Rücklagen abgebaut werden, sondern dass zeitgleich dringend Änderungen an dem Verteilmechanismus, über den die Kassen die Gelder aus dem Gesundheitsfonds erhalten, durchgeführt werden“.

Wegen der konjunkturbedingt sprudelnden Einnahmen haben die Kassen 2017 Rekordreserven von insgesamt 19,2 Milliarden Euro angehäuft. Laut Ministerium könnten die Kassen ihre Beiträge um im Schnitt 0,3 Prozentpunkte absenken und hätten dann immer noch das Vierfache der bislang vorgeschriebenen Mindestrücklage. Doch seit Langem schon beschweren sich vor allem die Ersatzkassen: Das Geld ist ungleich verteilt, weil manche Kassen vom gesetzlich vorgeschriebenen Finanzausgleich weit mehr profitierten als andere.

Barmer-Chef Christoph Straub hat unlängst sogar vor der Insolvenz von Kassen mit insgesamt 15 Millionen Versicherten gewarnt. So habe das Vermögen bei der Barmer zuletzt 135 Euro pro Mitglied betragen – bei Ortskrankenkassen teils 1200 Euro und mehr.

Spahn dürfte mit seinem energisch daherkommenden und bereits in Formulierungen eines Gesetzentwurfs gegossenen Vorschlag auf wenig Begeisterung beim Koalitionspartner stoßen. Die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar hat bereits vorrangig eine Reform des Kassen Finanzausgleichs angemahnt. „Solange es bei den finanziellen Rahmenbedingungen keine Klarheit gibt, ist es unseriös, von den Kassen Beitragssenkungen zu fordern“, sagte sie Anfang der Woche.

Doch Spahn habe seine Pläne bereits bei der SPD vorgestellt, hieß es in Regierungskreisen. Die Botschaft, dass die Bürger entlastet werden, steht aus Sicht des Ministers der gesamten Koalition gut zu Gesicht. Auf rund vier Milliarden Euro beziffert das Ministerium das Entlastungsvolumen für Kassenmitglieder sowie Rentner, Arbeitgeber und Rentenversicherung durch einen Abbau hoher Reserven. Was aus dem Projekt nun wird, dürfte sich in den kommenden Wochen im Gesetzgebungsverfahren zeigen.

Ziemlich sicher ist dagegen, dass die Kassenmitglieder und Rentner um 6,9 Milliarden Euro entlastet werden. Das ergibt sich, wenn Spahn wie geplant mit demselben Gesetz den Zusatzbeitrag wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Kassenmitgliedern zahlen lässt. Darauf hatte die SPD in den Koalitionsverhandlungen gedrängt. Heute sind die Unternehmen hier fein raus, die Mitglieder müssen den Zusatzbeitrag allein zahlen. Im Gegenzug würden Arbeitgeber und Rentenversicherung um 6,9 Milliarden Euro belastet.

Dass Spahn Konflikte auch mit mächtigen Funktionsträgern im Gesundheitswesen nicht scheut, ist bekannt. Schon 2015 kritisierte er die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen: Immer auf die Expertise von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen zu setzen, „klappt derzeit nicht besonders gut“. Sein Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) beließ es bei Appellen an die Kassen, ihre Rücklagen zugunsten der Beitragszahler abzubauen. Spahn will nun offensichtlich durchgreifen.

Sein Credo: „Wir wollen, dass die Verbesserungen im Gesundheitswesen für die Versicherten, für die Patienten schnell spürbar werden im Alltag, dass es konkrete Verbesserungen gibt“. Nach dem nun vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Beitragsentlastung der Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ komme ein Sofortprogramm Pflege und ein Vorstoß gegen lange Wartezeiten beim Arzt, kündigt der 37-Jährige schon einmal an.