Sorge um Industriestandort

Roche-Chef: Versorgungsengpässe „eine politisch ausgelöste Krise“ Julia Germersdorf, 08.03.2023 14:19 Uhr

Dr. Hagen Pfundner, Deutschland-Geschäftsführer bei Roche Pharma, berichtete im Interview mit der Bild über seine Sorge der Deindustrialisierung Deutschlands. Foto : vfa
Berlin - 

Roche ist mit vier Standorten und knapp 18.000 Mitarbeiter:innen in Deutschland vertreten – weltweit die zweitwichtigste Länderorganisation innerhalb des Pharmakonzerns. Deutschland-Geschäftsführer Professor Dr. Hagen Pfundner bangt um den Standort und warnt im Bild-Interview vor einer schleichenden Deindustrialisierung Deutschlands.

Die eigentlich guten Voraussetzungen, um sich in Deutschland erfolgreich in die medizinischen Versorgungsstrukturen zu integrieren, würden eine besorgniserregende Dynamik zeigen und durch mehrere Faktoren gefährdet werden. Pfundner spricht beispielsweise den enormen Bürokratieaufwand und mangelnde Digitalisierung im Gesundheitswesen an. In Deutschland seien Genehmigungsverfahren extrem lang. Hinzu kämen die akute Inflation und die steigenden Energiekosten.

„Die Politik reagiert viel zu langsam“

Grundsätzlich fehlt es Deutschland nach Pfundners Einschätzung an Orientierung. Es entstehe der Eindruck, dass sich die Politik in erster Linie auf die Verteilung staatlicher Wirtschaftshilfen konzentriere. Statt Subventionen lege die Branche Wert auf ein Umfeld, das Zukunfts- und Erhaltungsinvestitionen und ein gutes Maß an Digitalisierung bietet. Es sei statt einer grundsätzlichen Abwehrhaltung eine Willkommenskultur für Innovationen nötig.

Wenn wir wollen, dass in Deutschland Forschung und Wertschöpfung stattfindet, dann kann man nicht nur auf billig setzen. Das treibt die heimische Wirtschaft aus dem Land.

Man könne keine Strahlkraft nach außen erhalten, ohne dass Wertschöpfung im Land durch gute Bedingungen ermöglicht wird. Made in Germany müsse wieder mehr wert sein. Im Krisenmodus sei dieser Gedanke verloren gegangen. Die Konzentration solle vor allem auf Sektoren gerichtet sein, die auf Subventionen (noch) nicht angewiesen sind, betont der Geschäftsführer gegenüber der Bild.

Diesem Titel Exportweltmeister wolle man weiterhin gerecht werden. Denn die Exporte aus Deutschland schaffen Arbeitsplätze und stabilisieren die sozialen Sicherungssysteme im Land. Pfundner wirbt dringend dafür, dass in der Politik ein Verständnis dafür entsteht, dass Gesundheitspolitik auch Industrie- und Standortpolitik ist.

„Man hat es einfach passieren lassen“

Das Selbstbild vom sogenannten Super-Deutschland sei jedoch gefährlich ins Rutschen gekommen. Etwa bei den Arzneimittel-Versorgungsengpässen. Dies ist laut Pfundner „eine politisch ausgelöste Krise“. Seit zwei Jahrzehnten würde die Politik darauf hingewiesen, dass man sich immer weiter in eine Abhängigkeit bei Rohstoffen und Produktion von Indien und China begebe. „Heute kommen 90 Prozent der wesentlichen Arzneimittelwirkstoffe aus Asien.“

Kein Zusammenkommen mit Lauterbach

Zudem kritisiert der Roche-Chef im Gespräch mit der Bild die Kommunikationsstrategie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Da finden keine Gespräche statt.“ Sein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz treffe die Branche ins Mark. Dieses müsse in Teilen rückgängig gemacht werden. Die Art und Weise, wie Lauterbach mit Zwangsabschlägen und Zwangsrabatten die Industrie ins Visier genommen habe, führe dazu, dass die Patientenversorgung leidet. „Lauterbach nimmt uns die Liquidität für die Zukunft.“

Pfundner plädiert im Bild-Interview dafür, dass Genehmigungen und Bürokratie wieder in ein anständiges Verhältnis zurückgebracht werden. Bei klinischen Studien habe Deutschland den Anschluss in Europa schon verloren – „da hat uns Spanien längst überholt“. Bürokratische Genehmigungsverfahren seien schuld daran. Zusätzlich seien hohe Energiepreise hemmend. Vor allem für den Mittelstand werde es bedrohlich, äußert Pfundner gegenüber der Bild.