Reimann: Keine Ausnahme für Pharma 11.11.2025 15:14 Uhr
„Wir werden Deutschland zum weltweit innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort machen“, habe die schwarz-rote Koalition im Koalitionsvertrag erklärt. Morgen solle im Kanzleramt der Pharma-Dialog beginnen. Allerdings dürfe die Pharmabranche nicht in Folge der Standortförderung davon ausgenommen werden, einen Sparbeitrag zur Stabilisierung der GKV-Finanzierung zu leisten, fordert AOK-Chefin Dr. Carola Reimann.
„Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung die Pharmabranche zur ‚Leitwirtschaft‘ machen“, erklärt Reimann. Es sei dabei grundsätzlich zu begrüßen, dass die Regierung mit Vertretern der Branche zusammenkomme, um über wachstumsförderliche Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Potenziale der Arzneimittelproduktion und -versorgung in Deutschland zu sprechen.
Das dürfe aber nicht dazu führen, dass die „blendend verdienende Pharmabranche“ von allen Effizienzanstrengungen im deutschen Gesundheitswesen ausgenommen werde und keinen Sparbeitrag zur Stabilisierung der GKV-Finanzen leiste. “Allein die kurzfristige Anhebung des Herstellerrabatts von heute 9 auf 16 Prozent könnte die Branche gut verschmerzen. Ein solcher Schritt wäre ausgewogen, zudem hocheffektiv, brächte er doch der GKV in der angespannten Finanzlage auf einen Schlag 1,8 Milliarden Euro Entlastung“, erklärt die AOK-Chefin.
Standortförderung ist nicht Kassen-Sache
Zwar könne Reimann nachvollziehen, dass die Bundesregierung mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland es für notwendig erachte, die pharmazeutische Industrie zu fördern. Doch daraus scheine die Bundesregierung abzuleiten, dass die Pharmaindustrie durch weniger Wettbewerb und ein überhöhtes Preisniveau in der Gesetzlichen Krankenversicherung unterstützt werden müsse.
„Die GKV ist jedoch nicht für Absatzförderung sowie Standortsicherung der Pharmabranche zuständig, sondern für gute Gesundheitsversorgung zu bezahlbaren Preisen. Wirtschaftsförderung und faire Rahmenbedingungen für den internationalen Wettbewerb sind dagegen Aufgaben der Außen-, Wirtschafts- und Steuerpolitik“, stellt Reimann klar.
Die Bundesregierung müsse deshalb beim Pharmadialog die Arzneimittelpreise in der GKV mit auf die Agenda nehmen. Überhöhte Arzneimittelkosten müssten von allen Beitragszahlern und Unternehmen getragen werden. Auch das müsse berücksichtigt werden, wenn über wirtschaftspolitische Fördermaßnahmen nachgedacht werde.
„Was wir brauchen, sind strikt nutzenbasierte Arzneimittelpreise und dementsprechend eine Weiterentwicklung des AMNOG-Verfahrens“, so die Forderung der AOK. „Zudem sollten wir einen verschärften Blick auf Wirtschaftlichkeits- und Wettbewerbspotentiale im Arzneimittelmarkt richten, statt Schutzzäune um die hochprofitable Branche zu ziehen.“
Austauschpflicht bei Biosimilars
Große Effizienzpotenziale sieht Reimann zum Beispiel im Biosimilar-Bereich: „Die Substitution könnte noch effizienter werden, wenn sich die Austauschpflicht – wie bei Generika – auf ein gemeinsames Anwendungsgebiet bezieht.“
Die erheblichen Wirtschaftlichkeitspotenziale in diesem Bereich zeige auch eine aktuelle Berechnung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Demnach summierten sich die Nettokosten aller grundsätzlich austauschfähigen biosimilarfähigen Fertigarzneimittel im Jahr 2024 auf 4,23 Milliarden Euro. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) habe im Juni ein Beratungsverfahren zur Ausweitung der Biosimilar-Substitution eingeleitet und führe in diesen Tagen dazu eine Anhörung durch. Künftig könnten damit weitere hochpreisige biologische Fertigarzneimittel durch gleichwertige Biosimilars ersetzt werden, sofern sie durch den G-BA als austauschfähig eingestuft wurden.
In einem dann möglichen Preiswettbewerb ließen sich laut WIdO, je nach Umsetzungsgrad, jährliche Einsparungen in Höhe von bis zu 2,33 Milliarden Euro erzielen. „Damit die aus anderen europäischen Ländern bekannten Preisnachlässe auch in Deutschland auf diesem stetig wachsenden Markt realisiert werden können, muss der Gesetzgeber allerdings den verbindlichen Austausch der Biosimilars in der Apotheke erweitern, analog der Regelung zu den Generika“, so Helmut Schröder, Geschäftsführer des WIdO.
Basierend auf der Austauschliste des G-BA und unter Berücksichtigung der Applikationsformen wurde in einem konservativen Szenario ein Preisabschlag von 30 Prozent auf die Preise des Referenzarzneimittels sowie eine Umstellungsquote von 60 Prozent angenommen. Bei diesem ergäben sich Einsparungen in Höhe von 693,3 Millionen Euro pro Jahr. In einem ambitionierteren Szenario werde von einer Preisreduktion von 70 Prozent und einer Umstellungsquote von 80 Prozent ausgegangen. In diesem Szenario ergäben sich Einsparungen von 2,33 Milliarden Euro pro Jahr.
„Angesichts der dynamischen Preis- und Umsatzentwicklung bei biologischen Arzneimitteln und der Perspektive, dass zahlreiche weitere Biologika in den kommenden Jahren aus dem Patentschutz fallen werden, könnte die politische Festlegung der Austauschfähigkeit im biosimilarfähigen Markt und der verpflichtende Austausch in der Apotheke entscheidend dazu beitragen, die weiterhin steigenden Arzneimittelausgaben wenigstens ein Stück weit im Zaum zu halten und die Beitragszahlenden etwas zu entlasten“, so Schröder. Damit würde sich Deutschland dann mit Frankreich, wo der durchschnittliche Packungspreis von Biosimilars nur knapp die Hälfte des deutschen Preises beträgt, in guter Gesellschaft befinden.
Austauschbarkeit bei gleicher Versorgungsqualität
Dass die Behandlungsqualität bei einem Austausch eines Biological-Originals durch ein Biosimilar gleich hoch bleibt, sei in einer Vielzahl von Studien für fast alle Biologika-Wirkstoffe umfassend nachgewiesen worden. Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI), der deutschen Zulassungsbehörde für Biosimilars, seien demnach keine zusätzlichen systematischen Switch-Studien erforderlich. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) empfiehle in einem Leitfaden den Biosimilar-Einsatz sowohl bei der Erstverordnung von Biologika als auch bei der Folgeverordnung zur Fortsetzung der Therapie.
Damit die Effizienzreserven von Biosimilars auch in Deutschland genutzt werden könnten, müsse laut Schröder mehr Wettbewerb bei biologischen Arzneimitteln entstehen. „Ein verpflichtender Austausch in der Apotheke bei direkter Abgabe an Patientinnen und Patienten stellt damit sicher, dass die Wirtschaftlichkeitspotenziale auch in diesem Marksegment gehoben werden können. Dies würde die Realisierung von Wirtschaftlichkeitspotenziale ermöglichen – ohne Qualitätseinbußen für die Patientinnen und Patienten“, schließt Schröder.