Regierungsspitze interessiert Gesundheit nicht 04.09.2025 13:45 Uhr
Ob in Würzburg oder im Koalitionsausschuss – immer wieder wird deutlich, wo die Spitzen der Regierungsparteien ihre Prioritäten sehen und wo eben nicht. Wirtschaftspolitik und sicherheitspolitische Fragen stehen im Mittelpunkt der Statements und Beschlusspapiere. Werden Sozialreformen angesprochen, landet man sogleich beim ewigen Zank um das Bürgergeld. Gesundheitspolitik interessiert die Parteispitze nicht – nur teuer werden darf es nicht. Ein Kommentar von Lilith Teusch.
Im Beschlusspapier der jüngsten Klausurtagung in Würzburg spielen gesundheitspolitische Fragen gar keine Rolle. In keinem einzigen Satz wird auf die aktuellen Problematiken im System Bezug genommen. Der einzige Satz im Rahmen der Klausurtagung, der einen gewissen Zusammenhang zur Gesundheitspolitik vorgaukelt, stammte wohl von CDU-Fraktionschef Jens Spahn, der erklärte, man wolle Beitragssteigerungen verhindern.
Ähnlich sah es auch gestern aus: Beim Pressestatement im Rahmen des Koalitionsausschusses kam Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nur in einem einzigen Satz auf gesundheitspolitische Themen zu sprechen: „Wir sind uns einig darüber, dass wir die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest machen müssen. Wir werden heute Abend noch über ein paar Maßnahmen sprechen, die die Pflegeversicherung und die Krankenversicherung betreffen, weil es hier auch Defizite gibt, die wir im nächsten Jahr ausgleichen müssen.“
Wieder einmal demonstrierte die Parteispitze: Das deutsche Gesundheitswesen interessiert sie, wenn überhaupt, dann ausschließlich im Zusammenhang mit steigenden Lohnnebenkosten. Am Morgen wurde Spahn noch einmal deutlicher: „Wir sind uns einig, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht weiter steigen sollen – ein wichtiges Signal für die Versicherten.“
Betont wurde gestern erneut der Fokus auf das Ankurbeln der Wirtschaft – insbesondere Stahl und, wie könnte es anders sein, die Automobilindustrie, für die Merz gestern Gipfeltreffen ankündigte. Vorhandene Mittel müssen zum Ankurbeln der Wirtschaft fließen – nur mit einer starken Wirtschaft lassen sich unsere Sozialsysteme finanzieren. Und an dieser Front sieht es nicht gut aus: Die Zahl der Arbeitslosen ist jüngst über die Drei-Millionen-Marke gestiegen – das hatte es zuletzt im Februar 2015 gegeben. Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal dieses Jahres um 0,1 Prozent geschrumpft und das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) korrigierte seine Wachstumsprognose noch mal nach unten: Für 2025 erwartet das Institut nur noch 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum, für 2026 und 2027 prognostiziert es 1,1 beziehungsweise 1,4 Prozent – nichts zu spüren also von der wirtschaftlichen Trendwende.
Milliardenlöcher stopfen
Gleichzeitig klafft in den Haushaltsplänen der Koalition ein Milliardenloch, das es irgendwie zu stopfen gilt; unter anderem soll beim Bürgergeld gespart werden. Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat bereits Einsparungen in allen Ressorts gefordert. Dass ausgerechnet für das Gesundheitsministerium auf magische Weise in den nächsten Jahren mehr rausspringt, ist doch mehr als unwahrscheinlich.
Grundsätzlich haben die Politiker hier auch vollkommen recht: Wir können uns unseren Sozialstaat nur deshalb leisten, weil wir eine starke Wirtschaft haben. Schwächelt die Wirtschaft, kann auch der Rest nicht mehr finanziert werden. Aber eine starke Wirtschaft braucht funktionierende Strukturen. Ohne ein intaktes Schienen- und Straßennetz hat es die Industrie logischerweise schwer, und ohne ein verlässliches Gesundheitssystem steuern wir auf weniger der von Merz doch so heiß begehrten Arbeitskraft zu.
Der Gesundheitssektor in Deutschland ist zudem ein riesiges Gewerbe: Rund sechs Millionen Menschen sind im Gesundheitssektor beschäftigt. Apotheken, Praxen – das sind lokale Arbeitgeber. Wer eine funktionierende Wirtschaft möchte, ist wahrlich schlecht beraten, im Gesundheitssektor die Schere anzusetzen. Die Fokussierung auf die reinen Beitragssätze birgt zudem die Gefahr, dass weiterhin Millionen von Euro in ineffiziente Strukturen gesteckt werden, anstatt dass man das System als Ganzes tatsächlich einmal erneuert.
Ein großer Teil der Probleme, die wir heute haben, liegt einem jahrelangen Investitionsstau wegen der Sparpolitik der Regierungen zugrunde. Das hat die schwarz-rote Koalition auch selbst erkannt. Gesundheit ist als Teil der deutschen Infrastruktur und wesentliche Säule für Leistungsstärke und Produktivität nicht der richtige Bereich, um die alten Muster weiterzufahren.
Kein Raum für Mehrkosten
Worauf also dürfen sich die Leistungserbringer und auch die Patienten einstellen? Meiner Prognose nach: Vermutlich auf nicht viel. Wenn Klingbeil die Kohle noch irgendwo rauskratzen kann, wird es die höchstens für eine Schadensbegrenzung bei den Kassenfinanzen geben. Mehr Geld für die Leistungserbringer wird nicht rausspringen und auch grundlegende Strukturreformen, die langfristig vielleicht zu Einsparungen führen, aber kurzfristig erst einmal mit Mehrkosten verbunden sind, werden wohl auf die lange Bank geschoben werden.