Retax wegen Lieferausfall

Rabattvertrag: Apotheke darf auf Schadenersatz klagen Alexander Müller, 16.02.2022 10:38 Uhr

Apotheken dürfen Hersteller auf Schadenersatz verklagen, wenn sie wegen nicht gemeldeten Lieferengpässen retaxiert wurden. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Apotheken können mit Herstellern über Schadenersatz streiten, wenn Retaxationen aufgrund nicht bestätigter Lieferengpässe ausgesprochen wurden. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) hat die Beschwerde einer Apotheke anerkannt, so dass deren Streit mit dem Reimporteur Orifarm nun vor dem Sozialgericht verhandelt werden kann.

Orifarm hat mit der AOK Sachsen-Anhalt einen exklusiven Rabattvertrag über Palexia (Tapentadol) geschlossen, konnte aber nicht jederzeit liefern. Im Frühsommer 2019 hab es einen Lieferengpass. Das wurde auch in der klagenden Apotheke jeweils dokumentiert – mit Ausnahme von vier Rezepten. Zu diesen Fällen hatte der Inhaber keinen Defektbeleg mit der üblichen Folge, dass die AOK retaxierte.

Der Inhaber versuchte anschließend, vom Reimporteur rückwirkend einen Beleg ausgestellt zu bekommen, erhielt aber eine Absage. Die Kasse hatte seinerzeit erklärt, dass sie nicht retaxiere, wenn der Rabattpartner über einen generellen Lieferdefekt informiert habe. „In dem hier fraglichen Fall war der Vertragspartner aber generell lieferfähig“, sagte eine AOK-Sprecherin seinerzeit.

Der Apotheker behauptet, Orifarm sei mehrfach nicht lieferfähig gewesen, weder über den Großhandel, noch im Direktbezug. Als der Reimporteur auch auf erneute Nachfrage keine rückwirkenden Defektbelege ausstellen wollte, klagte der Apotheker im Januar 2020 mit Unterstützung der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover vor dem Sozialgericht Magdeburg auf Schadenersatz. Dabei geht es nur noch um eine Teilsumme der ursprünglichen Retaxation, weil der Inhaber mit der AOK einen Vergleich über eine Teilzahlung geschlossen hatte.

Der Apotheker beruft sich auf Nebenpflichten des Pharmaunternehmens, abgeleitet aus verschiedenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Diese Pflicht bestehe in der Bescheinigung der fehlenden Lieferfähigkeit. Orifarm hatte vorgetragen, die eigene Lieferfähigkeit sei „lediglich eingeschränkt“ gewesen, so dass nicht an allen Tagen die Nachfrage hätte vollständig gestillt werden können.

In seiner Klage vor dem Sozialgericht hatte der Apotheker zudem geltend gemacht, die Rabattverträge seien Verträge mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter. Doch das Sozialgericht hatte sich am 1. April für unzuständig erklärt und wollte den Fall an das Amtsgericht Leverkusen verweisen. Denn es gehe um eine Schadenersatzklage aus dem Zivilrecht.

Dagegen richtete sich die letztlich erfolgreiche Beschwerde des Apothekers. Denn beide Seiten – Apotheke und Rabattpartner – seien als Leistungserbringerinnen der gesetzlichen Krankenversicherung tätig geworden. Orifarm wollte dagegen nicht vor dem Sozialgericht verhandeln. Der Retax-Streit zwischen Apotheke und Kasse sei im Vergleich geklärt worden, etwaige Schadenersatzansprüche müssten vor den Zivilgerichten geklärt werden.

Doch das LSG sah es anders: Es handele sich um Streitigkeiten in Angelegenheiten der GKV, dazu könnten auch Auseinandersetzungen zwischen Leistungserbringern gehören. Denn es gehe hier gerade nicht um einen Vertrag zwischen Apotheke und Hersteller.

Die Apotheke beruft sich auf die „Rücksichtnahmepflicht“, weil mit den Rabattverträgen Rechte und Pflichten aller Beteiligten besonders verzahnt seien. Das LSG erkennt an, dass „die Regelungen eine spezifische Auswirkung auf die Geschäftstätigkeit“ der Apotheke habe, „die im allgemeinen bürgerlichen Vertragsrecht so nicht denkbar ist“. Schön, dass das auch mal anerkannt wird, werden sich viele Apotheken bei diesen Zeilen denken.

Das Gericht führt das weiter aus: Einerseits werde den Rabattvertragspartner von der AOK eine Monopolstellung eingeräumt, andererseits sei die Apotheke „verpflichtet, das benannte Medikament auszuliefern, ohne eigenen Einfluss auf die Auswahl nehmen zu können“. Gleichzeitig müsse sie gegenüber der Kasse „in Eilfällen unverzüglich ein wirkstoffgleiches Medikament ausgeben“. Um eine Retaxation zu vermeiden, müsse die Apotheke den Lieferausfall des Rabattarzneimittels beweisen, ohne jedoch „Zugang zur Leistungsorganisation“ des Rabattpartners zu haben – die Apotheke kann den Herstellern schließlich nicht in die Bücher gucken. Diese wiederum benötigten umgekehrt die Apotheken zur Umsetzung der Verträge.

Das LSG hat noch nicht entschieden, ob tatsächlich Anspruch auf Schadenersatz besteht. Aber es hat den Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit für zulässig erklärt. Die Sache geht also jetzt in die nächste Runde.