„Hier arbeiten Menschen für die Versorgung Kranker!“

Overwiening schreibt Brandbrief an Lauterbach Patrick Hollstein, 17.02.2023 13:09 Uhr

Abda-Präsidentin Gabriele Overwiening hat sich in einem Brandbrief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach den Frust von der Seele geschrieben. Foto: Abda
Berlin - 

Mit seinen Plänen für ein Generika-Gesetz hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei Herstellern und Leistungserbringern große Hoffnungen auf die Möglichkeit einer besseren Versorgung geweckt. Die Enttäuschung über den Referentenentwurf ist groß – auch bei Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Sie hat Lauterbach einen offenen Brief geschickt, denn aus ihrer Sicht könnte die Situation sogar noch schlechter werden.

All ihre Erwartungen seien durch den Referentenentwurf zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) enttäuscht worden, so Overwiening. „Das Papier lässt mich sowohl in meiner Rolle als Abda-Präsidentin als auch als Inhaberin einer vor Ort versorgenden Apotheke fassungslos zurück.“ Die millionenfachen Lieferengpässe ließen sich nur wirksam zu bekämpfen, wenn man den Apotheken dauerhaft Entscheidungskompetenzen für den therapiegerechten Austausch von verordneten Arzneimitteln zugesteht. Der Entwurf zeige aber, dass die Leistungen der Apotheken nicht gewürdigt würden. „Stattdessen ist dieser Entwurf für mich ein Ausweis von Missachtung und Misstrauen uns Apothekerinnen und Apothekern gegenüber.“

Aufgabe des Gesundheitsministeriums wäre aus gewesen, mit einem geeigneten Gesetz eine zeitnahe und verlässliche Arzneimittelversorgung wieder sicherzustellen und Verbesserungen zu erreichen. „Was haben wir aber stattdessen erhalten? Ein Gesetz, das Patientinnen und Patienten mehr belasten wird, das die Arzneimittelversorgung verlangsamt und zu mehr Bürokratieaufwand führt.“

Enttäuscht und demotiviert

Aus der im Koalitionsvertrag angekündigten Apothekenstärkung werde so eine weitere Apothekenschwächung, mahnt Overwiening: „All die Patientinnen und Patienten, die von Woche zu Woche mit einem immer kürzeren Geduldsfaden unsere Apotheken aufsuchen, werden durch diesen neuerlichen Entwurf nur noch schlechter versorgt. Während wir uns als Leistungserbringerinnen und -erbringer, Tag für Tag, Nacht für Nacht, für unsere Patientinnen und Patienten reinhängen, lassen Sie uns hängen. Damit ist es Ihnen zum wiederholten Male gelungen, meine Kolleginnen und Kollegen nicht nur zu enttäuschen, sondern auch zu demotivieren.“

50 Cent sind unverschämt

Die als Engpass-Ausgleich geplanten 50 Cent können nur als Platzhalter für eine angemessene Honorierung verstanden werden. „Oder sollen sie einen echten Symbolcharakter haben? Dann sind sie ein Symbol für die Geringschätzung und das Abqualifizieren der apothekerlichen Leistungen. Mit diesem schamlosen Betrag vergüten Sie 24 Sekunden Arbeitszeit. Wie soll das reichen, den zeitlichen und personellen Aufwand für das gesamte Management der Lieferengpässe abzufedern?“

Das tägliche Prüfen der Verfügbarkeit von Alternativen, die Auswahl, das Bestellen, die wiederholte Ärztinnen- und Arztrücksprache, die erneute Prüfung auf Verträglichkeit und die sich daraus ergebenden zusätzlichen Beratungen, der Botendienst – all diese und weitere Tätigkeiten gehörten zu den apothekerlichen Pflichten, die man gewissenhaft und mit hohem Zeitaufwand verlässlich zum Wohle der Patientinnen und Patienten erbringe.

„Es sind heilberufliche Leistungen für die Gesundheit, für die Gesellschaft, für den Staat, die honoriert werden müssen, die selbstverständlich vergütet gehören! Wir fordern einen Engpass-Ausgleich, der sich an der tatsächlichen Arbeitsrealität und Arbeitslast der Apothekerinnen und Apotheker bemisst.“

Versorgung in Gefahr

Das Problem gehe aber weit darüber hinaus: „Die Regierung muss endlich damit beginnen, unser Gesundheitssystem nachhaltig aufzustellen. Hier arbeiten Menschen für die Versorgung Kranker – das muss auch in Zukunft nachhaltig gesichert werden! Mit weiteren Apothekenschließungen wird die Arbeitslast in den übrigbleibenden Apotheken weiter zunehmen, die Wege für die kranken Menschen werden länger, Wartezeiten steigen und eine flächendeckende Versorgungssicherheit kann nicht mehr garantiert werden. Ihre 50 Cent sind nicht einmal mehr als ein Pflaster zu verstehen, das aufgeklebt wird, sie sind ein Affront.“

Austausch ohne Listen

Massiv verschärfen wird sich das Problem laut Overwiening, wenn im April auch noch die vor fast drei Jahren eingeführten gelockerten Abgaberegeln tatsächlich auslaufen. „Dass die vielen Lieferengpässe nicht noch dramatischer ausfallen, liegt insbesondere an der vor drei Jahren eröffneten Austauschmöglichkeit für die Apotheken durch die Sars-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (Sars-CoV-2-AMVVO).“ Diese Entscheidungsspielräume für die Apotheke hätten sich bewährt! „Den Patientinnen und Patienten kann bürokratieärmer und weiterhin therapiegerecht geholfen werden, wobei die Einsparungen für die Krankenkassen durch Rabattverträge in voller Höhe erhalten blieben, ja sogar ausgebaut wurden – dank der sehr verantwortungsbewussten Vorgehensweise der Apotheken.“

Aus diesem Grund sei die gesetzliche Neuverankerung dieser erleichterten Austauschregeln für die Apotheken „zwingend erforderlich“. „Die Austauschregeln geben Apothekerinnen und Apothekern Entscheidungsräume, die unserem heilberuflichen Auftrag gerecht werden und die Bürokratie abzubauen helfen. Nur mit dieser Beinfreiheit können wir auch die Arztpraxen vor Überbeanspruchung schützen.“

Laut Entwurf sollen die Ausnahmen nur gelten für Wirkstoffe, für die der Beirat am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Engpass festgestellt hat. „Diese Einschränkungen bedeuten eine bürokratische Hürde und verschärfen die Versorgungsprobleme. Listen hinken zeitlich immer hinterher, bilden niemals regionale Situationen ab, gelten nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel und erfassen dadurch nur einen Teil der Lieferprobleme. Die bewährte Eröffnung von Entscheidungsspielräumen muss dauerhaft unbürokratisch und für alle Arzneimittel gelten – nur dann kann sie helfen.“

Apotheken einbeziehen

Apothekerinnen und Apotheker vor Ort bewältigten mit großem Erfolg zahlreiche Mammutaufgaben und hätten bewiesen, dass sie auch in Krisenzeiten unentbehrliche Partner sind, die Tag und Nacht verlässlich an der Seite der Patientinnen und Patienten stehen. „Vor diesem Hintergrund ist es mir unbegreiflich, warum Sie das Potenzial, über das wir durch unsere Apotheken verfügen, nicht ausschöpfen, sondern eindämmen. In die gesundheitspolitische Debatte zur Zukunftsfähigkeit der Apotheken – das schreibe ich der Politik mit allem Nachdruck ins Stammbuch – müssen die Apotheken einbezogen werden. Die Regierung trägt die Verantwortung für 18.000 Apotheken und die dort tätigen 60.000 Apothekerinnen und Apotheker. Diese Verantwortung vermissen wir aktuell bei Ihnen, sollte sie Ihnen als Gesundheitsminister doch ein besonderes Anliegen sein.