Bundessozialgericht

Ärzte als billigere Apotheker? Julia Pradel, 10.03.2016 12:36 Uhr

Berlin - 

Ärzte dürfen in bestimmten Fällen Arzneimittel herstellen. Ob sie das auch tun müssen, weil es günstiger ist als eine Rezeptur aus der Apotheke, ist allerdings noch nicht geklärt. Über diese Frage muss nun das Bayerische Landessozialgericht (LSG) entscheiden. Denn das Bundessozialgericht (BSG) hält die Sache für weniger eindeutig als die Vorinstanzen, die dem Arzt recht gegeben hatten.

In dem Streit geht es um einen Onkologen, der monoklonale Antikörper als Rezepturen in Apotheken anforderte. Die AOK Bayern beantragte bei der Prüfungsstelle der bayerischen Ärzte eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Laut Kasse war ein Schaden von rund 4800 Euro entstanden, weil der Mediziner die Präparate nicht selbst in den anwendungsfertigen Zustand überführt hatte. Die Prüfungsstelle lehnte den Antrag allerdings ab und argumentierte, dass die Zubereitung toxischer Fertigarzneimittel nicht von dem Onkologen gefordert werden könne. Dagegen klagte die Kasse.

In den ersten beiden Instanzen bekamen die Mediziner recht: Das LSG stellte klar, dass Ärzte zwar Medikamente zur Anwendung bei Patienten zubereiten dürfen, es aber nicht tun müssen. Im Arzneimittelgesetz (AMG) ist geregelt, dass Ärzte, die Arzneimittel „zum Zwecke der persönlichen Anwendung bei einem bestimmten Patienten“ herstellen können. Sie brauchen dafür keine Herstellungserlaubnis.

Allerdings sei die Herstellung von Arzneimitteln nicht von der vertragsärztlichen Leistungspflicht umfasst, so das LSG. Es gebe keine Verpflichtung, Medikamente zuzubereiten. Auch aus dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) sei eine solche Pflicht nicht abzuleiten. Ob die monoklonalen Antikörper toxisch sind, spielte für die Richter keine Rolle.

Die AOK wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren und legte Revision ein. Die Kasse blieb bei ihrer Argumentation: Der Arzt handele unwirtschaftlich, indem er die Arzneimittel nicht selbst gebrauchsfertig mache, sondern eine Apotheke einschalte. Die Herstellung einer Infusionslösung sei ohnehin keine Herstellung im Sinne des AMG. Monoklonale Antikörper seien zudem nicht als toxisch einzustufen.

Die Revision war erfolgreich: Das BSG verwies die Sache zurück an das LSG. Dessen Auffassung, die Herstellung von Arzneimitteln gehöre nicht zum Leistungsumfang der Ärzte, teilten die Richter in Kassel nicht. Das Einbringen von monoklonalen Antikörpern in eine Kochsalzlösung sei zwar als Herstellung von Arzneimitteln anzusehen – „das bedeutet jedoch nicht, dass diese Handlung stets dem pharmazeutischen Bereich zugeordnet und zugleich dem Bereich der ärztlichen Behandlung entzogen ist“.

Das AMG finde ausdrücklich keine Anwendung auf Arzneimittel, die ein Arzt ausschließlich zu dem Zweck herstelle, sie unter seiner unmittelbaren fachlichen Verantwortung bei einem Patienten anzuwenden. „Damit trägt das AMG dem Umstand Rechnung, dass die patientengerechte Gebrauchsfertigmachung von Arzneimitteln in einer Vielzahl von Fällen Bestandteil ärztlichen Handels ist“, so die Richter.

Ob der Onkologe tatsächlich unwirtschaftlich gehandelt hat, muss nun das LSG prüfen. Das Gericht soll herausfinden, ob es üblich ist, dass Ärzte oder medizinisches Fachpersonal unter ärztlicher Aufsicht die Arzneimittel zubereiten – und es daher grundsätzlich von Praxen erwartet werden kann. Außerdem soll das LSG prüfen, ob der Arzt objektive, medizinisch begründete Zweifel gegen die Rekonstitution, also die Fertigmachung für den Gebrauch, in der Praxis vorbringen kann.

Die AOK hatte in dem Verfahren argumentiert, dass die meisten Praxen in Bayern die monoklonalen Antikörper selbst anwendungsfertig machten. Dem stehe auch die Fachinformation nicht entgegen. Eine mutagene Wirkung der monoklonalen Antikörper könne laut einem pharmakologischen Gutachten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Die Prüfungsstelle der Ärzte hatten sich hingegen auf ein Gutachten der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) gestützt und betont, dass die Wirkstoffe toxisch seien. Zudem müssten für die Herstellung aseptische Bedingungen vorherrschen. Es sei den Onkologen aber nicht zuzumuten, personell, apparativ und räumlich aufzurüsten – zumal es weder gesetzlich, noch untergesetzlich noch vertraglich eine Verpflichtung gebe, die Arzneimittel in der Praxis gebrauchsfertig zu machen.

Im Extremfall könnte den Zytoapotheken ein Segment wegbrechen. Laut Arzneiverordnungsreport wurden 2014 1,2 Millionen Rezepte über monoklonale Antikörper ausgestellt. Die Ausgaben der Kassen lagen bei 1,5 Milliarden Euro.

Es ist bereits das zweite Mal, dass sich das BSG mit der Wirtschaftlichkeit der Versorgung von Arztpraxen durch Apotheken befasst hat. Im vergangenen Jahr hatten die Richter in Kassel entschieden, dass Ärzte sich an das Wirtschaftlichkeitsgebot halten und notfalls auch die Apotheken umgehen müssen. Eine Medizinerin aus Sachsen-Anhalt bekam 16.000 Euro gekürzt, weil sie einen Bluterpatienten mit den Rezepten in die Apotheke schickte. Aus Sicht der Richter hätte sie die Medikamente günstiger direkt beim Hersteller bestellen müssen.

Hintergrund ist eine Ausnahme bei der Apothekenpflicht: Im AMG ist geregelt, dass Hersteller und Großhändler bestimmte Produkte – darunter Gerinnungsfaktoren – direkt an Ärzte liefern dürfen. Zwar lässt sich laut BSG aus der Ausnahmeregelung im AMG noch keine allgemeine Pflicht der Ärzte ableiten. So müsse es eine Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots geben, wenn Ärzten bei dessen Nichtbeachtung rechtliche Folge drohen. Im konkreten Fall sahen sie die Ärztin aber in der Verantwortung. Immerhin hätten Mitarbeiter der Kasse die Ärztin im konkreten Behandlungsfall auf die Möglichkeit des Direktbezugs hingewiesen. Die Ärztin habe ihr Vorgehen weder geändert noch dies gegenüber der Kasse begründet.