Keine Abwanderung, keine Insolvenzen

Lieferengpässe: Lauterbach glaubt Herstellern nicht Patrick Hollstein, 27.07.2022 14:58 Uhr

Gesundheitsminister Karl Lauterbach teilt nicht die Sorgen der Pharmaindustrie. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Die Pharmaindustrie protestiert gegen das Spargesetz, doch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) glaubt den Warnungen nicht: Es gebe keinen Beweis für eine unzumutbare Belastung.

Die Kliniken nimmt Lauterbach vom GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) aus, weil er hier keine Sparmöglichkeiten sieht: Ihnen drohe eine Mehrbelastung in den kommenden Monaten, etwa durch höhere Gaspreise. „Uns ist die Situation der Krankenhäuser sehr präsent und die Tatsache, dass es hier Schwierigkeiten gibt.“

Ganz anders seine Wahrnehmung bei der Pharmaindustrie: Die habe ihre Umsätze gesteigert – und zwar auch ohne Corona-bedingte Sondereffekte: Ohne Impfstoffe und Covid-Medikamente seien die Ausgaben 2021 um 13 Prozent gestiegen, in diesem Jahr gehe man von 8 Prozent mehr aus. „Gerade die forschende Industrie hat in Deutschland sehr gute Bedingungen“, rechtfertigte Lauterbach seine Sparpläne im Arzneimittelbereich.

Aber wie denn die Verlängerung des Preismoratoriums in eine Zeit passt, in der die Industrie mit massiv steigenden Preisen konfrontiert ist und ob er denn nicht befürchtet, dass die Lieferengpässe weiter deutlich zunehmen? Lauterbach zufolge gibt es empirisch keine Hinweise, dass die Industrie die Belastungen nicht schultern kann. „Wir sehen keine Abwanderung. Wir sehen keine Insolvenz. Aber wir sehen weiter Gewinne“, so Lauterbach. „Man muss unterscheiden zwischen dem, was vorgetragen wird und teilweise auch plausibel klingt, und dem, was empirisch zu sehen ist.“

Produktion als Verlustgeschäft

Ganz anders sieht es die Industrie selbst: Die Folgen der aktuellen Inflationssteigerungen seien im Markt noch gar nicht angekommen, so Pro Generika. „Diese werden wir erst in den nächsten Monaten beziehungsweise Jahren sehen. In Folge dessen können sich Unternehmen aus einzelnen Wirkstoffmärkten zurückziehen, weil eine Produktion für sie zum Verlustgeschäft geworden ist.“ Der Inflationsausgleich werde das insbesondere im Bereich der Generika nicht verhindern können, denn er sei aufgrund der Festbeträge überhaupt nur auf 23 Prozent der generischen PZN anwendbar. „Wenn wir nicht gegensteuern, besteht die Gefahr einer weiteren Marktverengung in vielen Wirkstoffmärkten. Wozu eine Marktverengung führt, haben wir zuletzt bei den Engpässen beim Brustkrebsmittel Tamoxifen und dem Paracetamol-Fiebersaft für Kinder gesehen.“

„Das GKV-Spargesetz ist eine Gefahr für die Arzneimittelversorgung“, kommentierte auch Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) den Kabinettentwurf. „Angesichts der enorm gestiegenen und absehbar weiter steigenden Kosten für Energie, Rohstoffe und Logistik ist eine kostendeckende Produktion für viele Arzneimittel schon heute nicht mehr möglich. Dass die Bundesregierung nun eine Verlängerung des Preismoratoriums um weitere vier Jahre vorsieht, ist völlig unverständlich und könnte zu weiteren Marktrücknahmen führen.“

Zwar gebe es seit 2018 einen rückwirkenden Inflationsausgleich, über diesen könnten jedoch die Hersteller die derzeitigen Preissteigerungen kaum kompensieren. Im Bereich der festbetragsgedeckelten Arzneimittel – immerhin 72 Prozent der generischen Arzneimittel – seien noch nicht einmal Preissteigerungen im Rahmen der Inflation möglich. „Wichtig ist daher, dass der Gesetzgeber angesichts der hohen Inflation nun nachbessert und diese Situation berücksichtigt. Ziel ist eine Stärkung und nicht weitere Schwächung des Pharmastandorts Deutschland“, so Cranz.

Dr. Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), sieht sogar eine Versorgung der Patientinnen und Patienten und der Arbeitsplätze in der pharmazeutischen Industrie. „Große Teile der generischen Arzneimittelversorgung werden durch den Preisstopp getroffen und können in vielen Bereichen nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Darunter leiden gerade auch standortgebundene Unternehmen, die an Innovationen auf Basis bewährter Wirkstoffe arbeiten. Dazu kommen krisenbedingte, massive Kostensteigerungen. In diesem Jahr sollen die Energiepreise um 70 Prozent ansteigen, die Preise für Rohstoffgewinnung und -verarbeitung sollen sich verdoppeln, in der Metallverarbeitung um ein Drittel steigen.“

Vorschläge werden nicht gehört

Zugleich stabilisiere die Pharmaindustrie durch Rabatte, Festpreise und Abschläge seit Jahren das Gesundheitssystem, so Feldmeier. „Manche pharmazeutische Unternehmen stellen sich mittlerweile die Frage: Wie sollen die Preissteigerungen ohne Produktionsabbau gestemmt werden? Die Folgen der schwindenden Anbietervielfalt spüren wir bereits jetzt in den Apotheken. Antworten darauf müsste eigentlich die Politik geben, an Vorschlägen aus der Industrie mangelt es nicht. Anstatt aber die kritische Infrastruktur der Arzneimittelversorgung zu stärken und krisensicher zu machen, überdreht die Politik die Kostenschraube weiter und riskiert damit einen massiven Schaden für den Standort und unsere Patientinnen und Patienten.“

Spargesetz ist erst der Anfang

Lauterbach räumte ein, dass das Spargesetz erst der Anfang sei, denn jenseits des akuten Finanzlochs („kurzfristige Erschwernis“) gebe es große strukturelle Probleme wie den demografischen Wandel, den medizinischen Fortschritt und weniger Beitragszahler. Das will Lauterbach in den kommenden Monaten angehen, im Mai 2023 soll dazu ein Entwurf vorliegen. „Wir werden die Brücke überschreiten, wenn wir sie erreicht haben.“

Eine externe Kommission zum Thema GKV-Finanzen soll es nun aber doch nicht geben. Man habe diesen Gedanken kurzfristig erwogen, auf seinen Wunsch aber davon Abstand genommen. „Wir werden das hier im Haus selbst entwickeln und externen Sachverstand nur dann hinzuziehen, wenn wir ihn benötigen.“