Krebsforschung

Lauterbach: Goldgräberstimmung bei Herstellern APOTHEKE ADHOC, 23.08.2015 12:36 Uhr

Berlin - 

Der SPD-Gesundheitsexperte Professor Dr. Karl Lauterbach hat schwere Vorwürfe gegen die Pharmaindustrie erhoben: „Die Konzerne missbrauchen ihre Marktmacht“, schreibt er in einem im „Spiegel“ veröffentlichten Essay. Sie diktierten die Preise neuer Krebsmedikamente, die meist gar nicht von den eigenen Forschungsabteilungen entwickelt worden seien und deren Nutzen oft zweifelhaft sei. „Ihre Marktstellung ist so mächtig wie die von Google oder Amazon“, kritisiert Lauterbach.

Dem SPD-Fraktionsvize zufolge gibt es nur fünf bis zehn internationale Konzerne, die neue Krebsmedikamente auf den Markt bringen können. Der Rest könne beim Tempo in den Zulassungsverfahren einfach nicht mehr mithalten. „Ihnen fehlen Geld und Einfluss auf die Wissenschaftler und Behörden“, so Lauterbach. Studien würden unter enormem Zeitdruck gemacht, der deutsche Mittelstand sei dabei vollkommen abgeschlagen. „Die Kernkompetenz der Krebsindustrie ist nicht ihre Forschung, es sind ihr Kapital und ihre Kontakte“, so Lauterbach.

Weil die Pharmariesen in Kooperation mit amerikanischen Spitzenuniversitäten die Preise diktierten, explodierten die Kosten: Lauterbach beziffert die Gewinnspannen der Konzerne bei Hightech-Mitteln gegen Krebs auf 25 bis 50 Prozent – bei Jahrestherapiekosten zwischen 50.000 und 150.000 Euro pro Patient. Schon 2017 würden in den USA 120 weitere Medikamente in die letzte Phase der klinischen Prüfung eintreten, bei de Pharmaherstellern herrsche „Goldgräberstimmung“.

Demnach stünden die Krankenversicherungssysteme vor einem gewaltigen neuen Kostenblock. Auch hierzulande seien neue Medikamente bis zu 40-mal teurer als die etablierten Krebstherapien. „Wenn wir von jährlich zu erwartenden 600.000 neuen Krebspatienten nur rund die Hälfte mit den neuen Medikamentenkombinationen behandeln, sind Mehrkosten von bis zu 45 Milliarden Euro pro Jahr zu erwarten – mehr als die Ausgaben der Pflegeversicherung.

Der Nutzen dieser extrem hochpreisigen Medikamente ist Lauterbach zufolge dabei begrenzt. Weil sich schnell Resistenzen bildeten, komme der Krebs oft umso stärker zurück. Die Präparate verlängerten das Leben der Patienten zudem oft nur um wenige Wochen, zu Heilungen komme es fast nie. „Durch aggressives Marketing und darauf zugeschnittene Studien wird der Nutzen der Medikamente durch Ärzte und Patienten systematisch überschätzt, es werden unrealistische Hoffnungen geweckt“, so Lauterbach.

Auch das Argument der Pharmalobby, die Entwicklung eines neuen Präparates koste mehr als eine Milliarde US-Dollar, hält Lauterbach für übertrieben. Tatsächlich lägen die Forschungskosten zwischen 100 und 200 Millionen Dollar. Diese Beträge seien übrigens sehr schnell wieder eingespielt.

Ohnehin gäben die Pharmafirmen nur 1,3 Prozent ihres Umsatzes für Grundlagenforschung aus. Die Innovationen kämen tatsächlich aus den Universitäten und staatlichen Forschungseinrichtungen. Die Industrie verändere die bekannten Wirkstoffe dann nur leicht und lasse sie für neue Indikationen zu – mit verheerenden Folgen für die Forschung.

Lauterbach ist in der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema Gesundheit zuständig. Bislang habe sich die Große Koalition aber zu wenig mit dem Thema befasst, bemängelt der Arzt und Gesundheitsökonom. Das Thema werde ausgeklammert, „es findet nur ein eher zäher Pharmadialog statt, bei dem es bisher nie um die neuen Krebsmedikamente ging“, so Lauterbach. Die Industrie weiche dem Thema aus.

Lauterbach wünscht sich eine bessere und längere Prüfung neuer Arzneimittel. Die europäischen Zulassungsregeln müssten erneuert werden, mit weniger Einfluss der Pharmaindustrie, so Lauterbach. Und nach der Zulassung müsse es vor allem industrieunabhängige Untersuchungen geben. Würden die Patienten zudem neutral aufgeklärt, würden sich viele gegen eine Behandlung entscheiden, ist der SPD-Politiker überzeugt.

Gleichzeitig will Lauterbach die Preise angehen, da aus seiner Sicht die Erstattungsregelungen der Krankenkassen nicht mehr funktionieren. „Damit die Länder Europas nicht gegeneinander ausgespielt werden können, sollte ein europäischer Erstattungspreis durch eine zentrale neue Einrichtung ermittelt werden, ähnlich wie bei der Zulassung“, schreibt Lauterbach im Spiegel. Tatsächlicher Nutzen der Medikamente und Alternativen müssten dabei miteinfließen.