Porträt

Kassenabschlag statt Kassenapotheken Benjamin Rohrer, 01.10.2012 16:56 Uhr

Berlin - 

In der aktuellen politischen Diskussion wird der Kassenabschlag gerne als Großkundenrabatt gerechtfertigt. Historisch gesehen ist der bundesweit einheitliche Zwangsrabatt aber eher eine Stillhalteprämie: Die ersten Verhandlungen zwischen Apothekern und Kassen gehen auf einen weitreichenden Konflikt zurück: In den 1920er Jahren hatten die Kassen nämlich begonnen, selbst Arzneimittel abzugeben.

 

Schon seit 1911 bittet die Gesetzliche Krankenversicherung die Apotheker zur Kasse: Mit der Urfassung der Reichsversicherungsverordnung (RVO) wurde der Grundsatz geschaffen, dass die Pharmazeuten den Kassen einen prozentualen Abschlag auf die Preise der Deutschen Arzneitaxe zu gewähren haben.

Für die Höhe des Zwangsrabattes waren die einzelnen Verwaltungsbehörden der Länder zuständig. Die Regelung erwies sich jedoch als wenig praktikabel: Der Deutsche Apothekerverein (DAV) setzte sich für eine gesamtdeutsche Kassenliste und einen zentral festgelegten Kassenrabatt ein, um die Abrechnung zu vereinfachen. Ab 1922 war dann das Reichsgesundheitsamt für die Festlegung zuständig.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg spitzte sich aber die Inflation zu: Die Arzneimittelpreise stiegen innerhalb weniger Monate teilweise um 60 Prozent – und damit auch die Kosten der Apotheken. Was zu Quartalsbeginn gekauft wurde, war am Stichtag oft nur noch einen Bruchteil des ursprünglichen Betrags wert. Das Reichsgesundheitsamt versuchte, die Honorare der Apotheker monatlich anzupassen. Doch die Preise stiegen schneller.

 

 

Einige Länder ordneten daher an, dass die Kassen die Apotheker in noch kürzeren Abständen bezahlen sollten. Das wiederum sorgte für Missstimmung bei den Kassen. Deren Verbände forderten immer häufiger, Apotheken in „gemeinwirtschaftliche Einrichtungen“ umzuwandeln. Viele Kassen begannen daher, die Abgabe in die eigene Hand zu nehmen. Über eine zentrale „Heilmittelvertriebsgesellschaft“ konnten die Kassen die Medikamente als Großabnehmer bis zu 50 Prozent günstiger als die Apotheker einkaufen.

Für die Apotheker wurde die Konkurrenz zunehmend zum Problem. Sie schlugen daher einen Kompromiss vor: Wenn die Kassen auf jegliche Form der Abgabe verzichteten, würde ihnen auf jedes abgegebene Medikament ein prozentualer Rabatt gewährt werden. Die Kassen schlugen ein und vereinbarten mit den Apothekern einen Rabatt von 8 Prozent.

1931 erließ die Reichsregierung eine Notverordnung, die sie ermächtigte, die Höhe des Abschlags fortan wieder selbst festzusetzen. Der erste zentral festgelegte Rabatt betrug 7 Prozent. Der Rest ist Geschichte: In kurz- bis mittelfristigen Abständen wird der Abschlag seitdem entweder gesetzlich festgeschrieben oder verhandelt.