Video-Interview Dr. Carola Reimann

„Kassenabschlag muss festgeschrieben werden“ Alexander Müller, 09.07.2010 13:49 Uhr

Berlin - 



Aus Sicht der SPD ist die Gesundheitsreform der schwarz-gelben Koalition eine große „Netto-Lüge“. Die Gesundheitsexpertin Dr. Carola Reimann findet die Belastungen ungerecht verteilt. Sie hätte lieber auch bei den Apotheken mehr gespart. Mit APOTHEKE ADHOC sprach sie über Großhandelsrabatte, den Kassenabschlag und Qualitätskriterien für Pick-up-Stellen. Reimann ist seit zehn Jahren im Bundestag und seit Herbst 2009 Vorsitzende des Gesundheitsausschusses.



ADHOC: Was halten Sie von der schwarz-gelben Gesundheitsreform?

REIMANN: Diese Gesundheitsreform ist eigentlich keine Reform, sondern eine schlichte Beitragsanhebung und das auf zwei Wegen. Das ist eine blanke Bankrotterklärung gemessen an den Ankündigungen der vergangenen Wochen und Monate, eine echte Strukturreform vorzulegen.



ADHOC: Wo hätte die SPD gespart?

REIMANN: Auf der Ausgabenseite sind jetzt vier Milliarden veranschlagt, die sehe ich aber nie und nimmer. Das wäre das allererste Mal, dass sich in der Realität bewahrheitet, was auf dem Papier steht. Ich halte vor allem eine Nullrunde bei den Ärzten und auch im Apothekenbereich für vertretbar. Hier muss man zu Einsparungen kommen, weil es eine gemeinsame Verantwortung ist, bei der auch alle ihren Beitrag leisten müssen.



ADHOC: Hätte die SPD bei Großhandel und Apotheken mehr gespart?

REIMANN: Die Diskussion um die Großhandelsspanne hatten wir ja schon in der vergangenen Legislaturperiode. Wir waren damals sehr klar dafür, dass man die Vergütung umstellt, also einen Sicherstellungsauftrag und eine Belieferungsverpflichtung etabliert in Kombination mit einem Fixzuschlag und einem kleinen prozentualen Anteil. Damals waren 73 Cent in der Diskussion, heute sind 60 Cent in der Diskussion; mal sehen, wie sich das entwickelt. Ich glaube aber, dass die Großhandelsrabatte, also das, was die Apotheken beitragen sollen, sehr mittelbar sind. Es wäre das erste Mal, dass nicht Mittel und Wege gefunden werden, die Großhandels-Apotheker-Beziehungen auf anderem Wege zu festigen.



ADHOC: Sollte der Kassenabschlag gesetzlich festgeschrieben werden?

REIMANN: Es wäre eine Möglichkeit, die Apotheker in die Verpflichtung zu nehmen, indem man den Kassenabschlag wieder fest gesetzlich verankert. Im Moment leisten die Apotheker da keinen Beitrag zu den Einsparungen. Freiwillig wird das auch schwer zu erzielen sein. Niemand wird freiwillig auf Geld verzichten. Das zu glauben, wäre wirklich naiv. Deswegen kann ich mir nur vorstellen, dass man Einsparungen im Apothekenbereich nur über eine gesetzliche Fixierung erzielt. Das war ja auch auf der Sparliste von Spahn und Koschorrek drauf - ist aber eben jetzt nicht mehr in den Eckpunkten zu finden.



ADHOC: Wie hoch sollte der Kassenabschlag sein?

REIMANN: Man muss sich das Gesamtpaket ansehen. Wir hätten sicher eine ganz andere Situation bei den Einnahmen gehabt, wir hätten mehr Steuern ins System geführt als zwei Milliarden Euro. Letztendlich wäre es aber gar nicht so weit gekommen. Das Defizit ist mit 11 Milliarden Euro größer als jemals zuvor. Das ist auch der Untätigkeit des Ministers zu verdanken: Als das Defizit im Dezember absehbar war, wurde nichts getan. Es ist ein weiteres halbes Jahr ins Land gegangen, bis das erste Mal über Preisabschläge und ein Preismoratorium geredet wurde. Damit verschläft man natürlich diese Entwicklung und verschärft sie.



ADHOC: Wie stehen Sie zu Pick-up?

REIMANN: Ich persönlich war immer gegen Pick-up-Stellen in Bäckereien oder Tankstellen. In Niedersachsen hatten wir das schon, aber das ist alles wieder vom Tisch. Wir haben uns damals auch sehr um das Thema bemüht. Was aber nicht geht, ist einfach ein Verbot auszusprechen. Das hat jetzt auch die schwarz-gelbe Regierung einsehen müssen. Dass das verfassungsrechtlich nicht möglich ist, war schon unsere Position in der Großen Koalition. Wir hatten seinerzeit versucht, Pick-up an Qualitätskriterien zu binden. Das hat aber die Union verhindert.



ADHOC: Führt das nicht zu „Light-Apotheken“?

REIMANN: Das ist eine Frage der Ausgestaltung, darüber muss man diskutieren. Gar nichts zu tun, ist jedenfalls keine Lösung.



ADHOC: Glauben Sie, dass Auflagen für Pick-up-Stellen kommen?

REIMANN: Ich wünsche mir das und hoffe, dass die Union ein Einsehen hat und es jetzt nicht über die schlichte Lösung mit einem Verbot angeht, sondern über die etwas kompliziertere Lösung mit Auflagen.



ADHOC: Ist die SPD für Apothekenketten?

REIMANN: Das ist nicht Konsens in der Fraktion, das ist eine Einzelmeinung von Karl Lauterbach.