Exklusiv-Interview mit Bayerns Gesundheitsminister

Holetschek: Dem Gesundheitssystem droht ein Blackout Alexander Müller, 15.09.2022 07:58 Uhr

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) warnt vor einem „Blackout“ im Gesundheitssystem Foto: StMGP Bayern
Berlin - 

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) warnt vor einem „Blackout“ im Gesundheitssystem, wenn keine Strukturreformen angegangen werden. Veränderungen am Apothekenhonorar würde er mit den Betroffenen besprechen wollen und nicht – wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach – über ihre Köpfe der Apotheker:innen hinweg entscheiden. Holetschek spricht sich im Interview mit APOTHEKE ADHOC über Bürokratieabbau und weniger Regulierung gerade für Landapotheken aus.

ADHOC: Laut einer aktuellen Abda-Umfrage sehen die Apotheken so pessimistisch in die Zukunft wie nie zuvor. Haben sie Grund dazu?
HOLETSCHEK: Wir haben alle Grund zu Besorgnis. Denn wenn die Bundesregierung jetzt nicht die politischen Weichen stellt, dann laufen wir auf einen Blackout im Gesundheitswesen zu. Und natürlich werden auch die Apotheken belastet durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – aus meiner Sicht zu Unrecht. Der Bund müsste seiner Verpflichtung endlich mal nachkommen und die Beiträge aus der ALG-II-Versicherung zahlen, zehn Milliarden Euro. Das würde uns schon helfen, bevor man jetzt einzelne Gruppen herausgreift, die für die Versorgung in den ländlichen Räumen einen unverzichtbaren Beitrag leisten.

ADHOC: Die Apotheken beklagen, dass die massiven Kostensteigerungen voll bei ihnen hängenbleiben, weil das Packungshonorar nicht dynamisch ist. Wie bewerten Sie den Ruf nach einer Honorarerhöhung?
HOLETSCHEK: Ich denke, man muss alle Bereiche austarieren. Wir sehen die Steigerungen bei den Energiekosten, die unheimlich reinschlagen in den Betrieben. Darum werbe ich dafür, dass man nicht über die Köpfe derer hinwegdiskutiert, die betroffen sind, sondern mit Verbänden und Institutionen spricht – und gemeinsam nach Lösungen sucht.

ADHOC: Das Finanzloch der Krankenkassen ist unbestreitbar da. Wo sehen Sie im Apothekensektor Raum für Einsparmöglichkeiten?
HOLETSCHEK: Ich glaube, dass das nicht so einfach sein wird. Es ist wie bei den Kassenärzten mit den Budgets für die Neupatienten: Da packt man am falschen Ende an. Gerade in den ländlichen Räumen müssen wir die Strukturen weiter stärken. Natürlich müssen wir darüber reden, wer wo Beiträge leisten kann, aber – nochmal – das muss man miteinander tun. Wir brauchen jetzt eine Lösung fürs System, sonst sind wir ja in einem Jahr auch nicht weiter als heute.

ADHOC: Was wären denn Ihre Vorschläge?
HOLETSCHEK: Ich will der Diskussion da nicht vorgreifen. Ich sehe die Arzneimittelversorgung insgesamt eher als Investition in die Gesundheit und nicht als Kostenfaktor.

ADHOC: Aber was würden Sie an der Stelle von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach grundsätzlich anders machen?
HOLETSCHEK: Wir haben aus meiner Sicht drei große Baustellen: Die Krankenhausreform, Stichwort Ausgestaltung der DRG, die zweite ist die angesprochene Verpflichtung des Staates, Stichwort ALG-II-Beiträge, und die dritte Baustelle ist die Pflegeversicherung, die komplett unterfinanziert ist. Wir müssen im Gesundheitswesen schauen, wo wir mit der Digitalisierung noch Potenziale haben. Wir müssen dringend entbürokratisieren und die Regulierung zurückfahren, das ist eins der größten Probleme in der Belastung der Hausärzte und Apotheken. Da sollten wir tatsächlich jetzt Einschnitte machen und mutig die Weichen stellen und nicht so zaghaft drangehen. Wir brauchen jetzt aus der Pandemie heraus einen großen Wurf, wenn wir die Zukunft gut meistern wollen.

ADHOC: Welche alternativen Konzepte sehen Sie im Apothekenmarkt?
HOLETSCHEK: Wir sollten in allen Bereichen mutig darüber nachdenken, welche Möglichkeiten es gibt. Herr Lauterbach hat Gesundheitskioske ins Spiel gebracht – ich glaube nicht, dass das ein Modell ist für die ländliche Versorgung.

Wir müssen dringend entbürokratisieren und die Regulierung zurückfahren, das ist eins der größten Probleme in der Belastung der Hausärzte und Apotheken.

ADHOC: Aber wenn es gar keine Apotheke mehr gibt?
HOLETSCHEK: Es sollte keine Denkverbote geben. Aber ich glaube, wir haben gute Strukturen in der ländlichen Versorgung, ich war selbst zwölf Jahre lang Bürgermeister, ich weiß um die Bedeutung der Apotheken für die Menschen. Deswegen bin ich ein großer Verfechter und Anhänger der Apotheken, aber natürlich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sich die Gesellschaft und die Situation auf dem Land ändert. Deswegen würde ich jetzt nicht sagen wollen: Das eine ist richtig, das andere ist falsch. Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, im Dialog.

ADHOC: Wie erleben Sie denn die Berufsvertretung der Apotheken in diesem Dialog?
HOLETSCHEK: Immer sehr positiv. Wir hatten extrem konstruktive Gespräche in der Pandemie, mit regelmäßigen Schaltungen. Es gab zwar auch immer Kontroversen zwischen Apothekern und der Ärzteschaft, weil sich in diesem Prozess gerade viel bewegt, aber insgesamt war das für uns sehr positiv, weil wir auf funktionierende Strukturen zurückgreifen konnten.

ADHOC: Sollten die Auflagen für den Betrieb einer Apotheke gelockert werden, um die Versorgung zu sichern – Stichwort Apotheke light?
HOLETSCHEK: Wir müssen insgesamt Maß und Mitte wiederfinden. Wir sind in einer Überregulierung, die uns nicht mehr guttut. Ich bin für alle Dinge zu haben, wo wir mehr Flexibilisierung haben und uns innerhalb von Leitplanken bewegen können – ohne natürlich die Qualität einzuschränken. Wir sollten uns aber frei machen von dem Gedanken, dass jeder Rückgang von Bürokratie sofort zum Qualitätsverlust führt. Es ist doch ein Fachkundiger vor Ort, der die Verantwortung übernimmt – und da müssen wir mehr Vertrauen haben.