Hilfsmittel: Warum zahlt jeder fünfte Versicherte drauf? 31.07.2025 15:21 Uhr
Geht es um die Versorgung mit Hilfsmitteln, haben die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) einen Anspruch auf eine mehrkostenfreie Versorgung mit beispielsweise Hörhilfen, Gehhilfen oder Bandagen. Medizinisch notwendige und gleichzeitig wirtschaftlichste Hilfsmittel zahlten die Kassen, informiert der GKV-Spitzenverband. Mehrkosten für Extras, die selbst getragen werden müssen, lehnten hingegen vier von fünf Versicherten ab.
Die Höhe von Mehrkosten werde öffentlich immer wieder diskutiert, so der Verband. „Unser Mehrkostenbericht zeigt, dass gut 80 Prozent der GKV-Hilfsmittelversorgungen mehrkostenfrei erfolgen. Für die verbleibenden 20 Prozent zahlen GKV-Versicherte im Durchschnitt rund 149 Euro aus eigener Tasche. „Bringen diese Mehrkosten aber auch eine bessere Versorgung?“, fragt Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.
Warum die Mehrkosten von den Versicherten überhaupt übernommen werden, wissen die Kassen nicht. „Das muss sich unbedingt ändern“, findet Blatt – und mutmaßt, dass hinter den selbst getragenen Kosten vor allem unnötige Kosten stecken könnten: „Nur, wenn wir die Gründe kennen, weshalb sich Versicherte für Hilfsmittel mit Mehrkosten entscheiden, können wir einschätzen, ob es sich um die bewusste Entscheidung für eine Leistung handelt, die über den gesetzlichen Rahmen hinausgeht, oder ob es andere Gründe gibt. Erst wenn wir das wissen, können unsere Versicherten besser vor ungerechtfertigten Mehrkosten geschützt werden“, erklärt Blatt weiter.
Daher sieht der Kassenverband hier die Regierung in der Pflicht: „Wir fordern den Gesetzgeber daher auf, endlich eine gesetzliche Meldepflicht für die Gründe von Mehrkosten festzulegen“, wiederholt Blatt die seit Langem geforderte Änderung.
Die höchsten Ausgaben im Hilfsmittelbereich hatten die Kassen mit mehr als 1,3 Milliarden Euro für Hörhilfen, gefolgt von Inhalations- und Atemtherapiegeräte (1,26 Milliarden Euro) und Orthesen/Schienen (1,04 Milliarden Euro). Wer die Hilfsmittelversorgung in den verscheidenen Fällen übernimmt, geht nicht aus der Statistik hervor.
1,04 Milliarden Euro aus eigenen Taschen
31,75 Millionen Hilfsmittelversorgungen gab es 2024 – etwas weniger als im Vorjahr – ausgegeben wurden hierfür etwa 11,5 Milliarden Euro, was wiederum etwas mehr ist als 2023. 80 Prozent der Hilfsmittel wurden dabei regelhaft mehrkostenfrei bezogen. In sieben Millionen Fällen wurde jedoch eine Versorgung mit Mehrkosten gewählt, wofür etwa 1,04 Milliarden Euro von den Versicherten ausgegeben wurden. Die betroffenen Versicherten zahlten damit im Schnitt 148,70 Euro – ähnlich wie auch 2023.
Leistungserbringer wie Sanitätshäuser, Hörakustiker und Apotheken seien gesetzlich dazu verpflichtet, GKV-Versicherten zuerst eine mehrkostenfreie Versorgung anzubieten, betont der Verband. Die Kassen fordern hier mehr Transparenz, da sie vermuten, dass Versicherte auch zu teuren, übermäßigen Versorgungen gedrängt oder unzureichend über ihren Leistungsanspruch beraten werden.
Daher sollten die Kassen erfahren, warum Versicherte von der Regelversorgung abweichen und zusätzliche Kosten tragen. Nach wie vor fehlten hier qualitative Daten, bemängelt der GKV-Spitzenverband, da es keine gesetzliche Grundlage für eine solche Angabe gibt. Aber nur so könnten Versicherte wirksamer vor ungerechtfertigten Mehrkosten geschützt werden.
Mehrkosten vor allem auch für Inkontinenzhilfen
Was die Statistik der Kassen aber hergibt: 96 Prozent aller Mehrkostenfälle verteilen sich auf nur acht Produktgruppen. Der größte Anteil daran entfiel mit 38 Prozent auf Einlagen. Mit etwas Abstand folgen dann die Hilfsmittel zur Kompressionstherapie (15 Prozent) und Inkontinenzhilfen (11 Prozent). Mehrkosten werden außerdem in den Produktgruppen Bandagen, Sehhilfen, Orthesen/Schienen, Hörhilfen und Gehhilfen in Kauf genommen.
Bei den Inkontinenzhilfen kommen laut Kassen fast 100 Millionen Euro an selbst getragenen Mehrkosten zusammen. Pro Versorgungsfall waren das knapp 127 Euro, die „aus Gründen der Ästhetik oder des Komforts“, wie es die Kasse beschreibt, selbst bezahlt wurden.
Aktuelle Gesetzeslage
Im Regelfall beteiligen sich GKV-Patient:innen mit einer Zuzahlung von mindestens 5 und höchstens 10 Euro an den Hilfsmitteln; kostet es weniger als 5 Euro, fällt nur der tatsächliche Preis an. Die jährliche Eigenbeteiligung der Versicherten darf 2 Prozent der Bruttoeinnahmen nicht überschreiten, hinzu kommen Ausnahme- und Härtefallregelungen. Mehrkosten aus Gründen der Ästhetik oder des Komforts müssen selbst gezahlt werden.
2017 wurde das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) beschlossen. Es verpflichtet Leistungserbringer, GKV-Versicherten stets mehrkostenfreie Hilfsmittel anzubieten und sie über ihren Versorgungsanspruch zu informieren. Werden zusätzliche Leistungen gewünscht, müssen Leistungserbringer den Kassen die Höhe der mit den Versicherten abgerechneten Mehrkosten mitteilen, was zu mehr Transparenz führen soll, aber laut Kassen noch zu kurz greift.