GKV-Statistik: Kassen mit Überschuss, aber ... 05.12.2025 14:47 Uhr
Die Ausgaben der Krankenkassen steigen in den ersten drei Quartalen um rund 7,8 Prozent und damit deutlich stärker als die Beitragseinnahmen mit rund 5,3 Prozent. Zwar wurde ein Überschuss in Höhe von 3,6 Milliarden Euro verbucht, dieser dient jedoch vorrangig der Auffüllung der Finanzreserven, die rund 5,4 Milliarden Euro beziehungsweise 0,19 Monatsausgaben weiterhin unterhalb der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve in Höhe von 0,2 Monatsausgaben liegen.
„Die erzielten Überschüsse der Krankenkassen sollten keine falschen Schlüsse zulassen: Die gesetzliche Krankenversicherung steht unter größtem finanziellen Druck“, so Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU). „Unser zentrales politisches Ziel ist die nachhaltige Stabilisierung der Finanzsituation der Krankenkassen, indem wir den Entwicklungen der vergangenen Jahre endlich etwas entgegensetzen.“ Im ersten Schritt sei ein kurzfristiges Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht worden; die Verzögerungen durch die erfolgte Anrufung des Vermittlungsausschusses durch eine Mehrheit der Länder bedeuteten hohe Unsicherheiten für die Planungen der Krankenkassen und führten möglicherweise zu höheren Zusatzbeiträgen im kommenden Jahr. „Deshalb ist es notwendig, dass der Vermittlungsausschuss schnell zu einer Entscheidung kommt.“
Allen Entscheidungsträgern müsse bewusst sein, dass die Herausforderungen im kommenden Jahr ungleich höher sein werden: Ab 2027 seien Defizite in der GKV in zweistelliger Milliardenhöhe zu erwarten. „Daher werden die Expertinnen und Experten der Finanzkommission Gesundheit bereits im März Vorschläge zur kurzfristigen Stabilisierung der Finanzen der GKV vorlegen, auf deren Basis der Gesetzgebungsprozess zügig beginnen wird. Der Reformdruck ist gewaltig, doch bietet er auch die Chance unser Gesundheitssystem zukunftsfest und nachhaltig finanzierbar aufzustellen. Notwendige Strukturreformen werden weiter vorangetrieben, um die Weichen für ein zukunftsfestes und nachhaltig finanzierbares Gesundheitssystem zu stellen.“
Den Einnahmen der Krankenkassen in Höhe von 265,6 Milliarden Euro standen Ausgaben in Höhe von 262 Milliarden Euro gegenüber. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten verzeichneten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 0,1 Prozent einen Zuwachs von unverändert 7,8 Prozent. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz entsprach Ende September 2,94 Prozent und lag damit deutlich oberhalb des Ende Oktober 2024 für das Jahr 2025 bekanntgegebenen durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatzes von 2,5 Prozent. Ursächlich hierfür ist laut Bundesgesundheitsministerium (BMG), dass viele Krankenkassen gezwungen sind, einen höheren Zusatzbeitragssatz zu erheben, als zur Deckung der laufenden Ausgaben nötig wäre, um so ihre im vergangenen Jahr aufgrund der unerwartet hohen Ausgabendynamik stark gesunkenen Finanzreserven auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestniveau aufzufüllen.
Ergebnis des Gesundheitsfonds
Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2025 über eine Liquiditätsreserve von rund 5,7 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete ein buchhalterisches Defizit von 6,7 Milliarden Euro. Der größere Teil dieses Defizits ist laut BMG saisonüblich: So fließen die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Krankenkassen, während die Einnahmen unterjährig erheblich schwanken und insbesondere im vierten Quartal aufgrund der Verbeitragung von Jahressonderzahlungen wie dem Weihnachtsgeld höher ausfallen.
Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent. Verantwortlich für die gute Einnahmenentwicklung sind laut BMG insbesondere die deutlich gestiegenen beitragspflichtigen Löhne und Gehälter. Zwischen Ende 2022 und Ende 2024 konnten Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und beitragsfreie Inflationsausgleichsprämien gewähren, die nun vielfach durch höhere reguläre – und damit beitragspflichtige – Lohnsteigerungen abgelöst werden.
Entwicklungen bei den Ausgaben
Die Leistungsausgaben stiegen um 8 Prozent beziehungsweise 18,6 Milliarden Euro und damit ähnlich stark wie im Jahr 2024 und weiterhin deutlich über dem langfristigen Durchschnitt.
Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen sind um 9,9 Prozent beziehungsweise 7,4 Milliarden Euro gestiegen und stellen damit den maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar. Der prozentuale Zuwachs liegt mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnitt der jährlichen Zuwächse im Zehnjahres-Zeitraum zuvor und übertrifft laut BMG die Dynamik im bisherigen Rekordjahr 2024. Ursächlich seien vor allem hohe Vergütungssteigerungen sowie die Refinanzierung bisher nicht abgebildeter Tarifkostensteigerungen aus dem Jahr 2024. Zudem trügen die stark steigenden Aufwendungen für psychiatrische Behandlungen (14,3 Prozent = 1,08 Milliarden Euro) und die per Selbstkostendeckungsprinzip finanzierten Pflegepersonalkosten (13,3 Prozent = 2,19 Milliarden Euro) zum starken Ausgabenanstieg im Krankenhausbereich bei. Doch auch bei den somatischen Behandlungen (inklusive ambulanter Behandlungen) wird mit 8,2 Prozent (4,16 Milliarden Euro) eine hohe Dynamik im Zeitraum Januar bis September verzeichnet.
Die Aufwendungen für die Versorgung mit Arzneimitteln stiegen um 6 Prozent beziehungsweise 2,5 Milliarden Euro und bleiben damit gegenüber dem 1. Halbjahr nahezu unverändert. Innerhalb der Arzneimittel verzeichnen die Aufwendungen für Arzneimittel im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung deutlich überdurchschnittliche Zuwächse (25 Prozent = 559 Millionen Euro). Auch die Arzneimittelausgaben steigen damit stärker als im Durchschnitt der Jahre 2013 bis 2024.
Die Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen sind um 7,6 Prozent beziehungsweise 2,9 Milliarden Euro gestiegen. Zwar hat sich der Ausgabenzuwachs gegenüber dem ersten Halbjahr (7,8 Prozent) geringfügig abgeschwächt, dennoch liegt das Wachstum der ersten neun Monate annähernd doppelt so hoch wie das durchschnittliche jährliche Wachstum seit 2013. Für die weiterhin hohe Rate ist laut BMG unter anderem entscheidend, dass für den bundeseinheitlichen Orientierungspunktwert wie bereits für 2024 ein gegenüber dem langjährigen Durchschnitt höherer Anstieg um 3,85 Prozent vereinbart wurde.
Zur hohen Dynamik tragen auch die kräftig steigenden Ausgaben für das ambulante Operieren (18,8 Prozent = 365 Millionen Euro) bei. Ursache sind vor allem die 2024 eingeführten Eingriffe mit spezieller sektorengleicher Vergütung (Hybrid-DRGs), die u.a. zu einer Ambulantisierung bisher häufig stationär durchgeführter Behandlungen führen. Die Aufwendungen für diese neuen Leistungen betrugen im rund 306 Millionen Euro. Die Aufwendungen für extrabudgetär vergütete Psychotherapeutische Leistungen verzeichnen mit 9,3 Prozent (250 Millionen Euro) eine Beschleunigung gegenüber dem 1. Halbjahr (8,7 Prozent). Bei der Interpretation der Aufwüchse ist zu berücksichtigen, dass die Buchungen im ärztlichen Bereich im ersten bis dritten Quartal stets auch von Schätzungen geprägt sind, da insbesondere für das dritte Quartal Abrechnungsdaten nur in sehr geringem Umfang vorliegen.
Ein stark überdurchschnittliches Wachstum von 12,8 Prozent (1,0 Milliarden Euro) verzeichnet der Bereich der medizinischen Behandlungspflege, der bereits 2024 (11,8 Prozent) und 2023 (12,9 Prozent) stark überdurchschnittliche Aufwüchse verzeichnete. Dazu trägt insbesondere das kräftige Wachstum der Aufwendungen für die außerklinische Intensivpflege (16,2 Prozent = 445 Millionen Euro) bei, wenngleich auch die restlichen Aufwendungen in diesem Bereich mit 11,0 Prozent (559 Millionen Euro) dynamisch anwachsen.
Die Ausgaben für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen, die nach den pandemiebedingten Einbrüchen des Jahres 2020 im Schnitt um rund 10,5 Prozent pro Jahr wuchsen, entwickelten sich mit einer Steigerung von 10,7 Prozent beziehungsweise 373 Millionen Euro ungebrochen dynamisch fort. Auch die Aufwendungen für Behandlungen durch Heilmittelerbringer, welche nach pandemiebedingten Rückgängen des Jahres 2020 jedes Jahr um durchschnittlich 10,6 Prozent beziehungsweise um insgesamt 4,4 Milliarden Euro gestiegen sind, verzeichnen mit 10,0 Prozent beziehungsweise 992 Millionen Euro erneut eine sehr dynamische Entwicklung. Dynamisch ist dabei die Entwicklung der Aufwendungen für Heilmittelversorgung mit erweiterter Versorgungsverantwortung der Heilmittelerbringer („Blankoverordnung“), für die in den ersten neun Monaten Aufwendungen von 315 Millionen Euro in der Physiotherapie und 242 Millionen Euro in der Ergotherapie verzeichnet wurden.
Auch die Aufwendungen für Fahrkosten verzeichnen mit 10,1 Prozent (720 Millionen Euro) eine zweistellige Wachstumsrate. Ursächlich dafür sind insbesondere die Aufwendungen für Fahrten mit Rettungswagen und Notarztwagen, die um 11,0 Prozent beziehungsweise 503 Millionen Euro steigen, während sich die restlichen Aufwendungen in diesem Bereich mit 8,5 Prozent beziehungsweise 217 Millionen Euro etwas moderater entwickeln.
Die Verwaltungskosten der Krankenkassen stiegen um 3,2 Prozent oder 301 Millionen Euro. Hier entwickelten sich sowohl die sächlichen Verwaltungskosten (3,5 Prozent = 132 Millionen Euro) als auch die persönlichen Verwaltungskosten (4,1 Prozent = 332 Millionen Euro) wesentlich moderater als die Leistungsausgaben.
Das BMG hat auf Basis der Prognose des GKV-Schätzerkreises vom 14. und 15. Oktober einen durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2026 von 2,9 Prozent bekanntgegeben. Dies entspricht einem Anstieg von 0,4 Prozentpunkten gegenüber dem für 2025 bekanntgegebenen durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz von 2,5 Prozent. Er liegt damit auf dem Niveau des im Jahr 2025 von den Kassen im Durchschnitt erhobenen Zusatzbeitragssatzes.
Die Festlegung der kassenindividuellen Zusatzbeitragssätze unterliegt der Autonomie der Krankenkassen im Rahmen ihrer Haushaltsplanung. Neben kassenindividuellen Faktoren wie der teils auch 2026 noch bestehenden Notwendigkeit zur Auffüllung der Finanzreserven hängen diese insbesondere auch davon ab, ob die Krankenkassen das vom Bundestag verabschiedete Maßnahmenpaket zur Reduktion der Ausgaben um 2 Milliarden Euro eingeplant haben.