GKV-Finanzen: Klinik-Umbau und Ambulantisierung 21.11.2025 12:51 Uhr
Die Sozialbeiträge steigen, die Koalition streitet um die Rentenreform, die Kassen mahnen, dass das Sparpaket nicht ausreichen wird, um Beiträge stabil zu halten, die Pflegeversicherung kämpft mit immer mehr Eigenanteilen. Und eine Entlastung des Systems ist nicht in Sicht: In den kommenden Jahren wird es nicht leichter, sondern schwerer werden, denn immer mehr der geburtenstarken Jahrgänge werden in Rente gehen – und die steigenden Kosten werden von immer weniger jungen Erwerbstätigen getragen werden müssen. Mit Blick auf die Krankenversicherung müsse man nun dringend strukturelle Reformen auf den Weg bringen, erklärt Dr. Martin Albrecht, Geschäftsführer des Iges-Instituts auf dem PKV-Forum der Wissenschaft.
„Ein fortgesetzter Anstieg der Beitragssätze in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld nicht akzeptabel“, mahnte Albrecht. „Die Finanzlage in der GKV ist angespannt, und das, obwohl wir gerade in dieser Woche gehört haben, dass Überschüsse erzielt wurden“, erklärte er weiter. Doch dieser Überschuss werde gebraucht, um die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserven aufzufüllen, daher sei auch im nächsten Jahr mit Erhöhungen der Zusatzbeitragssätze zu rechnen.
Würde sich die trendmäßige Entwicklung fortsetzen, würde in den nächsten zehn Jahren die 20-Prozent-Marke beim Beitragssatzniveau insgesamt überschritten. „Das Grundproblem ist bekannt: Die Ausgaben wachsen schneller als die Einnahmen“, so Albrecht.
Wo nun ansetzen? „Das ist relativ klar, dass nach diesen starken Beitragssteigerungen jetzt die Ausgabenseite in den Blick kommt“, erklärte Albrecht. Nötig sei eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik. Um die Ausgabendynamik zu bremsen, müssten nun Maßnahmen entwickelt werden, um die Effizienz zu steigern.
Großes Einsparpotential bei Kliniken
Das größte Einsparpotenzial sieht Albrecht in der Krankenhausversorgung. Auf die Krankenhausversorgung falle der größte Kostenblock der GKV. Auch die Effizienzdefizite seien relativ klar bekannt. „Wir haben eine überdehnte Krankenhausstruktur mit zu vielen Standorten, zu vielen Betten, und das Fachpersonal, über das wir verfügen, reicht heute kaum aus, aber in der Zukunft wird es noch viel weniger ausreichen, diese überdehnte Struktur zu betreiben.“
Außerdem habe man in Deutschland immer noch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu viele Fälle, die stationär behandelt würden. Erforderlich sei ein Dreiklang aus stärkerer Spezialisierung an größeren Standorten, begleitet von einer konsequenten Ambulantisierung und in Verbindung damit einem Umbau vollstationärer Kapazitäten.
„Es ist auch klar, dass das nicht auf den Krankenhausbereich begrenzt bleibt, sondern viele weitere Leistungsbereiche von diesen Reformen unmittelbar betroffen sind“, erklärte er. Das beginne mit der Notfallversorgung und dem Rettungsdienst und betreffe ganz massiv die ambulante Versorgung. „Das bedeutet auch, dass wiederum die ambulante – hier insbesondere die Vertragsärztliche – Versorgung entlastet wird von Fällen, die auch ohne Praxisbesuch versorgt werden können.“ Hierzu gehöre auch der Ausbau digitaler Zugangsmöglichkeiten.
Kurzfristig seien Sparmaßnahmen nötig, die alle Bereiche miteinbezögen und zeitlich begrenzt seien, um die Zeit für Strukturreformen zu ebnen. Auch unpopuläre Maßnahmen wie Zuzahlungen, Eigenbeteiligung und Budgetierungen seien möglich.
Pflegeversicherung
Auch in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) sind die Beiträge in den letzten Jahren stark angestiegen. Prof. Dr. Jürgen Wasem, Vorsitzender des Expertenrats `Pflegefinanzen´, warnt davor, dass uns die Zeit davonlaufe, „um die Pflegeversicherung auf die Babyboomer-Generation vorzubereiten.“
Der Expertenrat habe eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung entwickelt, um die steigenden Eigenanteile in der stationären Pflege zu begrenzen. Diese verpflichtende „Pflege+“ Versicherung gewährleiste, „dass das angesparte Kapital – anders als in einem staatlichen, umlagefinanzierten Pflegevorsorgefonds – eigentumsrechtlich vor politischer Zweckentfremdung geschützt wird“, erläutert Wasem.
„Es darf keine umlagefinanzierten Leistungsausweitungen zum Nachteil der jungen und kommenden Generationen geben“, betont Professor Dr. Christine Arentz, Mitglied im Expertenrat „Pflegefinanzen“. Sie empfiehlt unter anderem, die Leistungen in Pflegegrad 1 klarer auf Prävention und Rehabilitation auszurichten, um ein Fortschreiten der Pflegebedürftigkeit wirksam zu bremsen.
Rente stabilisieren – länger Arbeiten
Aber nicht nur in der Kranken- und Pflegeversicherung laufen die beiträge aus dem Ruder: Bereits seit Jahren versiuche die die Politik, die steigenden Beitragssätze in den Sozialversicherungen durch zusätzliche steuer- und schuldenfinanzierte Haushaltsmittel zu begrenzen. Das werde immer kostspieliger, sagt Professor Dr. Thiess Büttner, Vorsitzender des Unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats. „Um die Beitragssätze auf dem aktuellen Niveau zu stabilisieren, müssten im Jahr 2035 zusätzlich rund 150 Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln – zu heutigen Preisen – aufgebracht werden“, mahnt er. Dabei würde der Bund schon heute Sozialversicherungszuschüsse in Höhe von rund 137 Milliarden Euro jährlich leisten – deutlich mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts. „Weitere Zuschüsse sind hier schlicht nicht darstellbar. Sie würden den Bund dazu zwingen, zukunftsorientierte Ausgaben etwa für Forschung, Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung zurückzuführen“, so Büttner.
Auch der Wirtschaftsweise Prof. Dr. Martin Werding weist auf die zunehmende Belastung der jüngeren Generationen durch massiv steigende Sozialabgaben hin: „Wer im Jahr 2020 geboren wurde, wird über die Hälfte seines Erwerbseinkommens (55,6 Prozent) an Sozialabgaben zahlen müssen. Bei Menschen, die im Jahr 1940 zur Welt gekommen sind, sind es nur etwas mehr als ein Drittel (34,2 Prozent).“
Komme die geplante Rentenreform, würden die Ausgaben zu Lasten der Jüngeren weiter steigen. Um die Rentenversicherung zu stabilisieren, plädiert Werding für eine längere oder flexiblere Lebensarbeitszeit und einen Ausbau ergänzender kapitalgedeckter Vorsorge.