Sofortmaßnahmen nötig

GKV-Finanzen: BRH kritisiert Warken 19.08.2025 11:12 Uhr aktualisiert am 19.08.2025 16:12 Uhr

Berlin - 

Den Krankenversicherten in Deutschland drohen spürbar steigende Zusatzbeiträge. Nach einem Rekordwachstum bei den Ausgaben im vergangenen Jahr würden auch künftig die Einnahmen der Krankenkassen durchgängig unter den Ausgaben bleiben, sagt der Bundesrechnungshof (BRH) in einem neuen Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags voraus. Um das zu verhindern, fordert die Behörde kurzfristige Einsparungen.

Das jährliche Milliardendefizit hat laut BRH „einen Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 0,3 Beitragssatzpunkten pro Jahr“ zur Folge.

Die Finanzkontrolleure verweisen auf eine Prognose des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), das in einem mittleren Szenario mit einem Anstieg auf 4,05 Prozent Zusatzbeitrag bis 2029 rechnet. Der 35-seitige Bericht, aus dem das Nachrichtenportal „Politico“ zitierte, liegt der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor.

Bund sei untätig

Der Bundesregierung wirft dem BRH Untätigkeit vor. „Der Bund will eine Expertenkommission einrichten und schiebt notwendige Schritte auf die lange Bank“, kritisiert die Behörde. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte im Mai der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt, „erste Gegenmaßnahmen“ gegen den Beitragsanstieg seien vor den Ergebnissen der geplanten Reformkommission nötig.

Der BRH weist darauf hin, dass der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz seit 2015 von 0,9 Prozent um 1,6 Beitragssatzpunkte gestiegen sei. „Die Finanzsituation der GKV belastet zunehmend Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.“ Dabei sei der Gesamtsozialversicherungsbeitrag – also die Beiträge auch der anderen Sozialversicherungen – im Jahr 2025 um knapp anderthalb Prozentpunkte auf 42,3 Prozent gestiegen.

Stärkster Anstieg seit 30 Jahren

Allein bei der Krankenversicherung wachse die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben jährlich um 6 bis 8 Milliarden Euro. Aktuell seien die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr mit 8,2 Prozent „stärker als in jedem anderen Jahr der vergangenen drei Jahrzehnte“ gestiegen.

Anfang 2025 waren die Zusatzbeiträge, die die Kassen jeweils für ihre Versicherten festlegen, im Schnitt auf 2,9 Prozent gestiegen. Das war mehr als die erwartete Zunahme um 0,8 Punkte auf einen amtlichen Orientierungswert von 2,5 Prozent. Zum Gesamtbeitrag gehört daneben der allgemeine Satz von 14,6 Prozent.

Ausgaben eindämmen

Der BRH empfiehlt in seinem Bericht, die Ausgabenseite in den Blick zu nehmen, um die GKV kurzfristig zu stabilisieren. Dazu zählt auch, ausgelaufene ausgabendämpfende Regelungen möglicherweise wieder einzuführen. „Die Entkopplung von Vergütungssteigerungen an die Grundlohnrate, die Ist-Kosten-Finanzierung von Pflegepersonalkosten und die Entbudgetierung von Teilen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung müssen darum kritisch hinterfragt werden“, heißt es in dem Bericht.

Außerdem dürften Strukturreformen nicht länger aufgeschoben werden, insbesondere die Krankenhausreform. Die aktuelle Planung, Krankenhäuser pauschal mit 4 Milliarden Euro zu stützen bezeichnet der BRH als „verfehlt“. „Förderungen nach dem Gießkannenprinzip verzögern den Reformprozess“, heißt es in dem Bericht. Auch in der Notfall- und Akutversorgung könnten Reformen zu Einsparungen führen.

Sparen ließe sich laut Bericht auch bei den Arzneimittelausgaben. Insbesondere die Erstattungsbedingungen von innovativen und hochpreisigen Arzneimittel sollten in den Blick genommen und Arzneimittelpreise stärker an den patientenrelevanten Mehrwert gekoppelt werden.

Dabei sei Eile geboten. Mögliche Strategien erst im Frühjahr 2027 vorzustellen, bewertet der Bundesrechnungshof als kritisch. Ein entschlossenes und sofortiges Handeln sei nötig.

750 Euro mehr pro Jahr

Die Grünen-Haushalts- und -Gesundheitspolitikerin Dr. Paula Piechotta sagte: „Der Rechnungshof zerreißt den Plan von Warken in der Luft, mit den Reformen von Kranken- und Pflegeversicherung noch länger zu warten und stattdessen jetzt noch Punkte zu beschließen, die die Finanzprobleme sogar noch vergrößern.“ Angesichts der sich auftürmenden Defizite sei allein in der GKV mit einem Beitragssatz von bis zu 18,65 Prozent zu rechnen. „Das sind bei einem Monatsgehalt von 4000 Euro mal eben allein für die Krankenversicherung fast 750 Euro mehr pro Jahr im Vergleich zu heute.“

Piechotta malte ein düsteres Bild: „Zur Wahrheit gehört aber auch: Diese Koalition hat gar nicht die Kraft oder die Geschlossenheit, um eine echte Reform zu stemmen.“ Es brauche den großen Schulterschluss der demokratischen Parteien, die eine gemeinsam erarbeitete Reform vorlegen müssen, damit eine auf Jahre tragfähige Lösung gefunden werden könne.

Auch der Linken-Gesundheitspolitiker Ates Gürpinar kritisiert die Untätigkeit der Ministerin: „Während die Zusatzbeiträge immer weiter steigen, dreht Warken Däumchen und nimmt ihren Vorvorgänger Spahn in Schutz. Spahn trägt eine Mitschuld an der Finanzmisere der Krankenkassen.“ Es brauche dringend eine grundlegende Reform, bei der die Gesundheitsfinanzierung auf breitere Füße gestellt werde.

Dazu sollten alle in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen – mit allen Einkommensarten und ohne Beitragsbemessungsgrenze. „Spitzenverdiener:innen müssen auf das Solidarprinzip verpflichtet werden. Die entsprechenden Konzepte liegen vor und entlasten alle bis zu einem Einkommen von mehr als 6000 Euro. Die Bundesregierung muss ihre ideologischen Gründe für eine echte Reform der Gesundheitsfinanzierung überwinden“, so Gürpinar.

Krankenkassen fordern Ausgabenmoratorium

Der GKV-Spitzenverband forderte ein Ausgabenmoratorium – „also dass Vergütungen, Budgets und Honorare nicht stärker steigen dürfen als die Einnahmen“, wie Verbandssprecher Florian Lanz erläuterte.

„Die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung ist erschreckend schlecht“, sagte Lanz. „Wir erleben in diesem Jahr Beitragssatzerhöhungen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß, aber statt durchgreifender politischer Maßnahmen soll der künftige Beitragsanstieg durch ein Darlehen, also durch neue Schulden, abgemildert werden.“ Das reiche nicht. Nötig seien Strukturreformen.

„Die obersten Rechnungshüter legen den Finger zu Recht in die Wunde. Das ist für die Bundesregierung unbequem, aber sie täte gut daran, die jüngste Analyse des Bundesrechnungshofes zur Finanzsituation der GKV ernst zu nehmen“, so auch Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes. „Dieses Verharren in der Wartestellung sowie die Präsentation von Kurzfrist- und Scheinlösungen wie Darlehen oder die Verringerung der Kassenzahl, bloß um keine unbequemen Entscheidungen treffen zu müssen, ist brandgefährlich.“

Die Beitragszahler würden seit Jahren über die Gebühr belastet, gleichzeitig ächze die Wirtschaft zunehmend unter den steigenden Sozialabgaben, während die Qualität der Gesundheitsversorgung auf der Stelle trete. Die Bundesregierung müsse endlich einen gesundheitspolitischen Masterplan vorlegen, der die Ausgaben eindämmt, die dringend notwendigen Strukturreformen auf den Weg bringt und die vorhandenen Ressourcen im System effizienter einsetzt.