Abrechnungsdaten

Der DAV und das Daten-Desaster Patrick Hollstein, 14.02.2012 12:43 Uhr

Berlin - 

Zur Stunde tagt im Berliner Apothekerhaus der Vorstand des Deutschen Apothekerverbands (DAV). Obwohl es beim Treffen der 17 Verbandschefs primär um Themen wie die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) geht, dürfte kurzfristig ein weiterer Punkt auf die Tagesordnung gerutscht sein: der mutmaßliche Skandal im Umgang von Abrechnungsdaten der apothekereigenen Rechenzentren. Denn an der Firma pharmafakt/Gesellschaft für Datenverarbeitung (GFD), die im Mittelpunkt der Affäre steht, sind neben der Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken (VSA) die Landesapothekerverbände Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen beteiligt. Nicht nur Datenschützer, sondern auch Gesundheitspolitiker und Verhandlungspartner könnten den Vertretern der Apotheker bei nächster Gelegenheit unangenehme Fragen stellen.

 

So wie es aussieht, war für die Überwachung der Vorgänge bei der GFD stellvertretend für alle Gesellschafter die VSA zuständig. Das Münchener Rechenzentrum, an dem über den Förderungsverein der Süddeutschen Apotheken (FSA) rund 5200 Pharmazeuten als Mitglieder beteiligt sind, versuchte gestern, die Verantwortung auf einen ehemaligen GFD-Geschäftsführer abzuschieben.

Doch egal, wie viel die VSA-Chefs wirklich wussten: Die Vorwürfe des „Spiegel“ haben gewaltige Sprengkraft im Verhältnis des Rechenzentrums und der Apothekerverbände. Denn sowohl die VSA, insbesondere aber auch die GFD sind bei den Verbänden Chefsache: Für den Sächsischen Apothekerverband (SAV) betreute Geschäftsführer Dr. Ulrich Bethge die Beteiligung an der Datenfirma, für den Bayerischen Apothekerverband war mit Josef Kammermeier der 2. Vorsitzende zuständig. Auch die Baden-Württemberger schickten mit Uwe Geiß ihren langjährigen Verbandsvize ins Rennen. Geiß war parallel Vorstandsvize bei der VSA und wurde im Sommer vergangenen Jahres zum Chef des neu geschaffenen Aufsichtsrats gewählt.

 

 

Besonders brisant: Mit den drei Verbänden sind Schwergewichte innerhalb von DAV und ABDA in den Fall verwickelt – nicht nur was die Größe angeht. Der baden-württembergische Verbandschef Fritz Becker ist zugleich DAV-Vorsitzender; die sächsische Vorsitzende Monika Koch ist ebenfalls im DAV-Vorstand aktiv. Beide hatten erst vor anderthalb Jahren den VSA-Vorstand im Streit verlassen; damals ging es um die Beteiligung der zur Gruppe gehörenden Softwaresparte Awinta am Pick-up-Modell „Vorteil24“. Die Sachsen waren daraufhin zum Norddeutschen Apothekenrechenzentrum (NARZ) gewechselt, wo zwar die Rezepte von „Vorteil24“ nach wie vor abgerechnet werden, wo Koch aber trotzdem seitdem Vorstandmitglied ist.

Sowohl die VSA als auch das NARZ hatten Abrechnungsdaten an die GFD geliefert. Die Affäre bringt die Standesvertreter damit gleich mehrfach in Erklärungsnot: Wenn der DAV mit den Kassen über Verträge verhandelt, sitzen unter anderem Bethge und seine baden-württembergische Kollegin Ina Hofferberth mit am Tisch. Deren Verbänden würde vermutlich so mancher Kassenfunktionär gerne die eine oder andere Frage stellen. Sollten sich die Vorwürfe erhärten und in einem handfesten Skandal münden, könnten es die Apotheker künftig auch schwerer haben, zu bestimmten politischen Themen – etwa dem Einfluss der Pharmaindustrie – klare Positionen zu beziehen.

In der Jägerstraße versucht man derzeit, den Ball flach zu halten und unangenehmen Nachfragen aus dem Weg zu gehen. Beim „Gesundheitspolitischen Jahresauftakt“ der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank) in Düsseldorf gab ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf kleinlaut zu Protokoll, dass Patienten auch in Zukunft den Apothekern vertrauen können müssten. Er habe den Spiegel-Bericht nicht glauben können. Wichtig sei aber, dass – wenn etwas dran sein sollte an dem mit vielen Konjunktiven geschriebenen Artikel – „reiner Tisch“ gemacht werden müsse.