Datenschutzbedenken: Kinderärzte bleiben bei ePA-Kritik 23.01.2025 09:27 Uhr
Die elektronische Patientenakte (ePA) könnte grundsätzlich viele Vorteile für Kinder und Jugendliche bieten. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt:innen (BVKJ) warnt jedoch, dass derzeit die „Risiken und Nebenwirkungen“ überwiegen. Besonders die Datenschutzrisiken für Kinder und Jugendliche seien bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Solange Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese Probleme nicht löse, rät der BVKJ Eltern, die Nutzung der ePA bei nicht chronisch erkrankten Kindern und Jugendlichen abzulehnen.
„Wir freuen uns, dass Bundesminister Lauterbach das Gespräch gesucht hat und in enger Abstimmung mit dem BVKJ schnell Eckpunkte für eine Lösung der zahlreichen Probleme vorlegen möchte“, erklärt Dr. Michael Hubmann, Präsident des BVKJ. Gleichzeitig sei es höchst unbefriedigend, der nächsten Regierung eine so große, ungelöste Aufgabe zu hinterlassen, die eigentlich sofortiges gesetzgeberisches Handeln erfordere. Wenigstens müsse das Ministerium jetzt Vorbereitungen treffen, damit eine neue Regierung nicht bei null beginnen, sondern sofort handeln könne.
Der BVKJ hatte empfohlen, für Kinder bis zur Klärung aller offenen Fragen eine Opt-in-Regelung gesetzlich festzulegen. Da dies in der letzten Sitzungswoche voraussichtlich nicht mehr umgesetzt werde, werde der BVKJ in einer Patienteninformation, die in den Praxen aushängt, darauf hinweisen, dass aus seiner Sicht nur bei chronisch kranken Kindern die Vorteile der ePA die Nachteile überwiegen. „Es ist uns nicht leichtgefallen, den Eltern diese Empfehlung auszusprechen. Für uns in der Praxis wäre es am einfachsten, wir hätten eine funktionierende ePA für alle unsere Patientinnen und Patienten“, betont Hubmann.
Datenschutzbedenken
Probleme sieht der BVKJ vor allem beim Datenschutz für Jugendliche unter 15 Jahren. So könnte etwa ein zwölfjähriges Mädchen gemeinsam mit seiner Mutter die HPV-Impfung wünschen, um das Kind vor Gebärmutterhalskrebs zu schützen, während der Vater die Impfung aus religiösen Gründen ablehnt, da er Sex vor der Ehe ablehnt. Dennoch wäre die Ärztin verpflichtet, die erfolgte Impfung in der ePA zu dokumentieren.
Auch bei Kindern mit getrennt lebenden Eltern sieht der BVKJ Konfliktpotenzial. Meldet beispielsweise eine Mutter dem Arzt, dass es dem Kind nach dem Wochenende beim Vater nicht gut geht, wurde diese Information bisher vertraulich in der Arztdokumentation festgehalten. Mit der ePA könnten solche Daten jedoch für beide Eltern einsehbar werden, was Streitigkeiten und gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen könnte – selbst dann, wenn die Speicherung gegen den Willen eines Elternteils erfolgt.
Auch bei der Übernahme kritischer Diagnosen ins Erwachsenenleben sieht der Verband Handlungsbedarf. Würde ein 14-Jähriger laut ärztlicher Diagnose eine kurze depressive Phase durchleben, könnten diese sensiblen Daten ohne erneute Überprüfung ins Erwachsenenleben übernommen werden. Dies könnte negative Auswirkungen auf die Berufslaufbahn oder den Zugang zu Versicherungen wie der privaten Kranken- oder Haftpflichtversicherung haben.
Im Allgemeinen sieht der BVKJ die Befüllungspflicht der Ärzt:innen und Krankenkassen bei Kindern als problematisch an. Leistungserbringer seien verpflichtet, sämtliche Diagnosen in der ePA zu speichern, auch solche wie den Verdacht auf ein Münchhausen-Stellvertretersyndrom, bei dem die Betreuungsperson Krankheiten beim Kind erfindet oder absichtlich hervorruft. Dies betreffe jedoch auch viele andere sensible Daten, deren Speicherung nicht im Interesse des Kindes liege.
Schutz von Kindern geht vor
Im Falle des Kinderschutzes sei laut Verband Vorsicht geboten. Wenn beispielsweise ein Elternteil sexuellen Missbrauch an seinem Kind begehe, würden neben der Polizei auch das Jugendamt, die Jugendhilfe und die Kinder- und Jugendarztpraxis über den Fall informiert. Keine dieser Institutionen könne jedoch sicherstellen, dass dem entsprechenden Elternteil die Zugriffsrechte auf die ePA – einschließlich Informationen über einen neuen Wohnort – unverzüglich entzogen werden.
Für chronisch kranke Kinder könne die ePA ein Segen sein. „Aber bei einer Nutzen-Risiko-Abschätzung wird klar: Der Schutz von Kindern geht vor, sodass wir nicht guten Gewissens schweigen können und gezwungen sind, nochmals klar vor der ePA bei Kindern und Jugendlichen zu warnen. Bei meinen eigenen Kindern würde ich mich derzeit gegen die ePA entscheiden“, so Hubmann.