Clopidogrel-Generika

EuGH: Rückruf trotz Unbedenklichkeit Julia Pradel, 03.04.2013 13:13 Uhr

Verdacht ist ausreichend: Die EU-Kommission hatte 2010 zahlreiche Clopidogrel-Generika, darunter Präparate von Hexal und Ratiopharm, zurückgerufen. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Vor drei Jahren hatte die EU-Kommission Clopidogrel-Generika von zahlreichen Herstellern zurückgerufen. Grund waren Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis (GMP). Der Generikahersteller Acino hatte sich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erfolglos gegen den Rückruf gewehrt. Aus Sicht der Richter können die Behörden Arzneimittel zurückrufen, wenn sie eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Gesundheit sehen – auch wenn ein Gutachten die Unbedenklichkeit der Präparate nachweist.

Acino hatte 2004 acht Zulassungen für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Clopidogrel erhalten: drei Acino-Präparate, zwei Ratiopharm-Produkte sowie Generika von 1A, Hexal und Sandoz. Die Arzneimittel wurden in mehreren Produktionsstätten, darunter ein Betrieb im indischen Visakhapatnam, hergestellt.

Anfang 2010 wurde das Werk des indischen Herstellers Glochem im Auftrag der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) inspiziert. Dabei wurden ein kritischer Mangel und acht schwerwiegende Mängel festgestellt: So waren etwa 70 Herstellungsprotokolle neu geschrieben und ursprüngliche Einträge geändert worden.

Die EMA empfahl neben der Schließung der betroffenen Betriebsstätte den Rückruf der Produkte. Acino wehrte sich gegen diese Entscheidung und legte der EMA ein Gutachten vor, das belegte, dass sich die GMP-Verstöße nicht auf die Qualität der Arzneimittel ausgewirkt hätten. Die EMA hielt trotzdem an ihrer Empfehlung fest, sodass die EU-Kommission die betroffenen Präparate zurückrief und das Werk in Visakhapatnam von der Liste der zugelassenen Betriebsstätten strich.

Acino klagte gegen den Beschluss der Kommission, um anschließend Schadensersatzforderungen geltend machen zu können. Aus Sicht der Firma hatte die Kommission die Arzneimittel nicht zurückrufen dürfen: Sie habe keinen Grund zu der Annahme gehabt, dass die GMP-Verstöße einen Einfluss auf die quantitative und qualitative Zusammensetzung der Arzneimittel habe. Außerdem seien bei der Untersuchung der Wirkstoffe keinerlei Verunreinigungen festgestellt worden, sodass keine Gefahr für die Patienten bestanden habe.

Die Richter gaben jedoch der EU-Kommission recht: Da die GMP-Regeln nicht beachtet worden seien, habe die Kommission davon ausgehen dürfen, dass das Herstellungsverfahren nicht eingehalten worden sei. Die Einhaltung dieses Verfahrens sei aber eine Komponente, die die quantitative und qualitative Zusammensetzung des Arzneimittels gewährleiste.

Schwerwiegende Mängel führen aus Sicht der Richter zwar nicht automatisch zu einer Beeinträchtigung der Arzneimittel, „doch sie bergen als solche die potenzielle Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Zusammensetzung und damit der öffentlichen Gesundheit“. Es sei ausreichend, wenn die Gefahren für die öffentliche Gesundheit potenziell bestünden, da die zuständigen Behörden Risiken ausschließen sollten.

Dafür verfüge die Kommission, wenn es um die Bewertung der GMP-Verstöße und deren Auswirkungen auf die Arzneimittelqualität gehe, über ein weites Ermessen. Sie unterliege dabei nur einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung, bei der lediglich untersucht werde, ob ein offensichtlicher Irrtum oder ein Ermessensmissbrauch vorgelegen habe.

Auch die Entscheidung der EMA, ihre Empfehlung trotz des von Acino eingereichten Gutachtens nicht zu ändern, ist den Richtern zufolge gerechtfertigt. Der kritische Mangel könne durch nachträgliche Tests nicht ungeschehen gemacht werden. Es liefe aber den Grundsätzen der europäischen Behörden zuwider, dass Arzneimittel mit einem Wirkstoff, der in einem nicht nachvollziehbaren Verfahren hergestellt worden sei, an Patienten verabreicht würden.

In Deutschland hatte das Verwaltungsgericht Köln im vergangenen Jahr Hexal recht gegeben und entschieden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Arzneimittel nicht auf Verdacht zurückrufen darf. Dieses Urteil ist inzwischen allerdings eher historischer Natur, da es der Bundesbehörde seit der AMG-Novelle erlaubt ist, die Zulassung zu entziehen, wenn die GMP-Regeln nicht eingehalten werden.