Unnötig und wettbewerbsverzerrend

Bundestags-Gutachter zerlegen Spahns Gesundheitsportal Tobias Lau, 20.02.2021 08:14 Uhr

Schlechte Prognose: Bundesgesundheitsminister Jens Spahns (CDU) „Nationales Gesundheitsportal“ ist nicht nur unnötig, sein Google-Deal ist auch ein Verstoß gegen Presse- und Wettbewerbsrecht, urteilt der wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahns (CDU) „Nationales Gesundheitsportal“ wird ein immer peinlicherer Reinfall: Nachdem das Landgericht München I eine einstweilige Verfügung gegen Spahns Google-Deal erlassen hat, legte nun auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages sein Gutachten zur Rechtmäßigkeit des Portals sowie dessen bevorzugter Behandlung durch Google vor. Und die Juristen lassen das Bundesgesundheitsministerium (BMG) schlecht dastehen: Sie widersprechen allen zentralen Argumenten, die das BMG zuletzt vor Gericht vorbrachte, und werfen aktiv die Frage auf, ob es das Portal überhaupt braucht. Antwort: Nein.

Jens Spahn wollte mit seinem Nationalen Gesundheitsportal vor allen anderen Anbietern stehen. Den Deal, den er dazu mit Google abschloss und der eine Hervorhebung des Portals vor andere Suchergebnisse garantierte, wurde aber am 10. Februar gerichtlich kassiert. Knapp eine Woche später war der wissenschaftliche Dienst des Bundestages mit seinem nun veröffentlichten Gutachten zur Zulässigkeit des Deals fertig und brachte weitere schlechte Nachrichten für die noch anhängigen Verfahren gegen das Portal: Die Juristen stützen die Argumentation des Landgerichts und widerlegen dabei auch die zentralen Argumente, die das BMG vorgebracht hatte.

So hatte das BMG abgestritten, dass es sich bei seinem Portal überhaupt um ein Presseerzeugnis im presserechtlichen Sinne handelt. Doch, wenden die Gutachter nun ein, das sei eindeutig der Fall. „Die Angebote von Gesundheitsportalen sind als Presse zu bewerten“, das gelte auch für ein staatliches Gesundheitsportal. Dazu komme, dass das Portal sich indirekt sogar selbst so qualifiziere: „Alle Inhalte […] werden von den Fachredakteurinnen und -redakteuren der Portalredaktion oder unseren Partnern recherchiert, erstellt und geprüft“, heiße es auf dessen Seite. „Ähnliche Selbstauskünfte sind auf den Seiten von Netdoktor und anderen Gesundheitsportalen zu finden.“

Es handelt sich also um ein Presseangebot des Staates. „Mit der Pressefreiheit vereinbar sind solche vom Staat abhängige Presseorgane aber nur dann, wenn sie an dem für die Pressefreiheit maßgeblichen Gesamtbild der staatsunabhängigen Presseangebote nichts ändern.“ Und daran habe das BMG allein schon mit seiner Bewerbung des Portals Zweifel geweckt. Denn schon „pauschale, konkret nicht belegte staatliche Aussagen“, wie die des BMG, dass viele der im Internet frei zugänglichen Gesundheitsinformationen „unzuverlässig, lückenhaft, von bestimmten Interessen beeinflusst oder sogar falsch und irreführend“ seien, „dürften zumindest nicht förderlich für das Ansehen anderer seriöser Gesundheitsportalanbieter und deren Gesundheitsinformationen sein“, so die Gutachter.

Schon ob das Nationale Gesundheitsportal als solches zulässig ist, kann demnach laut Gutachten debattiert werden. Einen dahingehenden Antrag hatte Netdoktor vor dem Landgericht zurückgezogen. Hier gebe es Argumente, die gegen eine Zulässigkeit sprechen, urteilen die Bundestagsjuristen nun. Letztlich würden jedoch jene leicht überwiegen, die dafürsprechen. Davon unberührt sei allerdings eine Frage, die weiter zu prüfen sei: Nämlich, ob das Portal überhaupt notwendig ist – denn mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gebe es ja bereits ein spezielles Aufklärungsportal des Bundes. „Zusätzlich gibt es seriöse private Portale, die zuverlässige Informationen in umfassender Form zur Verfügung stellen“, so die Gutachter. „Das staatliche Portal ‚gesund.bund.de‘ füllt also keine Informationslücke auf einem Gebiet, über das keine ausgewogene zuverlässige Berichterstattung stattfände.“ Man muss sich also fragen, ob es das Portal überhaupt braucht. Die Gutachter deuten an, dass sie davon nicht ausgehen. Im Rahmen der eigenen Öffentlichkeitsarbeit wäre es aber wohl zulässig – allerdings nur, wenn das Portal nicht in Wettbewerb zu privaten Anbietern tritt. Das hatte das BMG bestritten. „Wenn es aber ministerielles Ziel ist, ‚Wer Gesundheit googelt, soll künftig auf dem Nationalen Gesundheitsportal landen‘ wird aber eine Veränderung des Gesamtbildes mit einer Verdrängung staatsunabhängiger Presseangebote angestrebt“, urteilen die Gutachter nun, wobei sie Spahn persönlich zitieren. Denn nichts anderes bedeutet der Google-Deal.

Hier hatte sich das BMG vor Gericht allerdings mit der steilen These verteidigt, dass Google doch gar nicht marktbeherrschend sei. Die Begründung von Netdoktor, dass die EU-Kommission das ja schon mehrmals durch verhängte Milliardenstrafen bestätigt habe, wies es unter dem Verweis zurück, dass die schon zwei und drei Jahre her seien. Weder das Gericht noch die Bundestagsgutachter konnte das BMG damit überzeugen. Die Suchmaschine habe in Deutschland einen Marktanteil von 97,6 Prozent, schreiben sie: „Sie ist in Deutschland ein Quasi-Monopolist.“ Dabei verweisen sie nicht nur auf die vom BMG in Abrede gestellten Entscheidungen der EU-Kommission, sondern führen sogar die Klagen gegen Googles Missbrauch seiner Marktmacht in den USA ins Feld.

Würden die Nutzer*innen mehr oder weniger ausschließlich die von Google hervorgehobenen Inhalte abrufen, „hätte das Gesundheitsportal des BMG eine faktische Monopolstellung“. Auch so würde die Bevorzugung allerdings „zur massiven Benachteiligung der Mitkonkurrenten führen und wäre schließlich unangemessen und damit ein ungerechtfertigter Eingriff in die Pressefreiheit der anderen Gesundheitsinformationsanbieter“, so die Juristen, deren Beurteilung sogar zu einer beinahe politischen Kritik am Vorgehen des BMG gereicht: „Hier stellt sich zum einen die Frage, ob die Kooperation einer obersten Bundesbehörde mit einem Quasi-Monopolisten, der immer wieder wegen seiner wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen bestraft wurde, auf Vertrauenswürdigkeit beim Nutzer stößt und zum anderen, inwieweit durch die staatliche Kooperation die Marktposition des Quasi-Monopolisten weiter gestärkt und das Aktionsfeld seines missbräuchlichen Verhaltens vergrößert wird.“